Seit den Tagen, an denen der deutsche Dichter und Denker August Heinrich Hoffmann von Fallersleben diese Zeilen niederschrieb, sind schon einige Jahre vergangen. Vieles hat sich seither grundlegend geändert. So steht etwa der Denunziant heutzutage in höchstem Ansehen – zumindest in Kreisen von Staatsschergen und -klienten. Steuerbehörden richten inzwischen Internetportale ein, unter denen „Whistleblower“ jene Mitmenschen verpfeifen können, die sie verdächtigen, ihre Tribute nicht auf Heller und Pfennig an den ewig klammen Gewaltmonopolisten abzuführen.
Darüber hinaus macht sich im Zuge des zwar unter höchsten Kosten, aber ohne jeden Erfolg geführten „Kampfes gegen den Terror“ mittlerweile jeder verdächtig, der die Bezahlung von Rechnungen in der Höhe von mehr als drei Euro nicht über sein Girokonto abwickelt. Die Abschaffung des Bargeldes (ausschließlich zwecks Hebung unser aller Sicherheit, versteht sich!) ist daher nur noch eine Frage der Zeit. Die dazu notwendigen Vorarbeiten laufen auf Hochtouren.
Die Redakteure der Massemedien wiederum feiern es als beispiellosen Akt von Zivilcourage, wenn Aktivisten hochsubventionierter linker NGOs Arbeitgeber und Vermieter an den Pranger stellen, von denen es heißt, sie würden – horribile dictu – Verträge nur mit solchen Menschen abschließen wollen, die ihnen selbst und nicht dem demokratischen Kollektiv gefallen. Diskriminierung? Geht gar nicht (es sei denn, sie erfolgt durch den Staat – etwa im Wege der Steuergesetzgebung).
Kurzum: Deutlicher könnte die schon von Friedrich Nietzsche beklagte „Umwertung aller Werte“ nicht dokumentiert werden. Was einst als Tugend gepriesen wurde, wie zum Beispiel Familiensinn, Sparsamkeit und Strebsamkeit, stellt heute eine grobe Abweichung – demnächst vermutlich sogar einen Straftatbestand – dar. Wer einst als Lump galt, ist unserer Tage – Massengesellschaft und Demokratie sei Lob und Dank – zum Helden mutiert.
Interessant ist allerdings, dass unschuldige Kinder, deren Geist noch nicht restlos korrumpiert wurde, sehr wohl noch ein Gespür dafür haben, wie niederträchtig es ist, andere zu verraten. Wer seine Sandkastengespielen oder Mitschüler bei der Kindergärtnerin oder bei der Schulmeisterin anschwärzt, erfreut sich durchaus nicht der Wertschätzung durch andere Angehörige seiner Gruppe. Er fällt vielmehr allgemeiner Verachtung anheim.
Es bedarf einer intensiven, langjährigen Gehirnwäsche, um dieses Bewusstsein in sein Gegenteil zu verkehren. Der Staat verfügt über nahezu unbegrenzte (Gewalt-)Mittel, um unschuldige Kinder von ihrem von Grund auf gesunden, natürlichen Empfinden für Recht und Unrecht zu befreien und zu bis ins Mark korrupten Untertanen zu verbiegen, die es als ihre Pflicht betrachten, unbotsame Mitmenschen ans Messer zu liefern.
Fallerslebens Zeilen passten indes perfekt in unsere Tage, würde nur ein einziges Wort geändert: Man ersetze Denunziant durch Spekulant und es alles wird gut. Der „Spekulant“ ist in der Spätzeit des sozialistischen Wohlfahrtsstaats zum Inbegriff des niederträchtigen Volksschädlings avanciert. Es ist so weit gekommen, dass linksradikale Nichtsnutze im staatlichen Fernsehen inzwischen öffentlich zum Massenmord an „Spekulanten“ aufrufen dürfen („Spekulanten gehören aufgehängt. Punkt.“), ohne dass ein Staatsanwalt deshalb von Amts wegen gegen diesen Akt der (Volks-)Verhetzung (§ 130 StGB in Deutschland und § 283 StGB in Österreich), einschreiten würde.
Manche sind eben gleicher als andere. Sie dürfen, was andere nicht dürfen. Von der Herrschaft des Rechts zur (Gesinnungs-)Diktatur selbsternannter Moralapostel ist es in einer Ochlokratie eben nur ein recht kurzer Weg.
Dabei lohnt es sich, einen etwas schärferen Blick auf den Begriff „Spekulant“ zu richten. Wikipedia definiert: „Spekulation ist in der Wirtschaft eine auf Gewinnerzielung aus Preisveränderungen gerichtete Geschäftstätigkeit.“ Trifft diese Definition zu (und das ist unzweifelhaft der Fall), würde nach den Wünschen des zitierten Schweizer Soziologen die Erde bald als recht einsamer Planet um die Sonne ziehen. Denn danach wäre faktisch jede geschäftliche Tätigkeit als spekulative Handlung zu werten. Die Losung lautete demnach: alle aufhängen!
Jeder Maschinenproduzent erwartet einen Gewinn als Lohn seines heißen Bemühens. Jeder Händler „spekuliert“ darauf, zum Preis von x eingekaufte Waren zum Preis von x+y absetzen zu können. Wer sich dazu entschließt, eine bestimmte Berufsausbildung zu machen, erwartet, damit später seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Da dies unter Bedingungen unvollständiger Information geschieht (die Zukunft ist eben immer ungewiss), macht auch er sich einer „Spekulation“ schuldig. Überleben dürften demnach nur noch Eremiten und in Subsistenzwirtschaft lebende Steinzeitmenschen auf Papua Neuguinea und im brasilianischen Urwald (und natürlich parasitär lebende Intellektuelle, die schon allein deshalb niemals Spekulanten sein können, weil sie ja nie etwas produzieren, wofür je einer freiwillig bezahlen würde).
Doch selbst dann, wenn man den Begriff sehr eng zieht und auf die Bereiche Nahrungsmittel und/oder Finanzwirtschaft begrenzt, wird man schwerlich belastbare Gründe dafür finden, „Spekulation“ als Verbrechen zu qualifizieren, das mit Todesstrafe oder Lynchjustiz zu ahnden ist. Denn immerhin bedarf der „Spekulant“ zumindest zweier Partner, die aus freien Stücken mit ihm in Geschäftsbeziehungen treten: Einen, der ihm zum Zeitpunkt a eine Ware zum frei vereinbarten Preis überlässt, und einen anderen, der sie ihm zum Zeitpunkt b zu einem ebenfalls frei verhandelten Preis wieder abnimmt. Von „Spekulanten“, die über Armeen oder Geheimdienste verfügen, um ihre Geschäftspartner mit vorgehaltener Waffe zum Abschluss zu überreden, wurde bisher jedenfalls nichts bekannt. Und da grundsätzlich niemals ein Geschäft zustande kommt, an dem nicht beide Seiten profitieren, ist auch weit und breit kein Geschädigter auszumachen.
Weshalb „Spekulanten“ also aufgehängt werden sollten, während Politiker und deren Büttel schier jede Schandtat – bis hin zum Hunderttausendfachen Massenmord – begehen dürfen sollen, ohne dafür jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden, wird wohl für immer Jean Zieglers Geheimnis bleiben…
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.