… mit dem, was man früher noch gemeinhin unter Kultur verstanden hat. Es obliegt der Politik, hier lenkend einzugreifen, folglich wird selektiv entweder gefördert oder auch eingedämmt, was vom Gutdünken der Entscheidungsträger abhängt. Derzeit scheint die so bezeichnete Kulturpolitik zu einer Karikatur ihrer selbst zu verkommen.
Vereinzelt wird dieser Umstand neuerdings sogar in den Medien wahrgenommen, die sich bislang zum allergrößten Teil nach der Decke streckten und die Hand nicht bissen, von der sie gefüttert wurden. Zu schön um wahr zu sein wäre eine Trendwende im Lager der Fütterer oder ein Aufmucken seitens der Gefütterten. „News“ brachte erstaunlicherweise auf dem Titelblatt die Ansage: „Ein Land zerstört seine Geschichte“. Das bezog sich im konkreten Fall auf die Baugeschichte, hat aber für einen durch alle Sparten gehenden Niedergang seine Gültigkeit. Das hat besonders im Umgang des Kulturministers mit der Musikinstrumentensammlung in der Hofburg einen bedauerlichen Höhepunkt erreicht. Doch das ist eine andere Geschichte.
Hier geht es vor allem um die Stadtentwicklung und um den Umgang mit dem kulturellen Erbe der Bausubstanz, welches das Stadtbild (noch) prägt.
Wenn es richtig ist, dass ein Budget in Zahlen gegossene Politik ist, so ist die Situation sehr bezeichnend. So wurde anlässlich einer Demonstration mehrerer Bürgerinitiativen gegen die fortschreitende Zerstörung der Baukultur in Wien durch einen Sprecher mitgeteilt, dass Österreich nur ungefähr die Hälfte des in vergleichbaren Staaten üblichen Etats für den Denkmalschutz widme und gar nur ein Fünftel des Personals, das beispielsweise in Tschechien für diesen Bereich eingesetzt würde. Sieht man sich in anderen europäischen Ländern um, so erkennt man deutlich den Unterschied gegenüber der Interesselosigkeit und Inkompetenz der hiesigen Politik.
Es ist evident geworden, dass die Wiener Entscheidungsträger in Sachen Kultur drauf und dran sind, dem von ihnen zu betreuenden Gebiet den Garaus zu machen. Ein besonders spektakulärer Fall ist das Bauprojekt Hotel Intercontinental/Eislaufverein.
Bei diesem Projekt sind bananenrepublikartige Verfilzungen zwischen den Stakeholdern eine unverkennbare Tatsache. Die Stadt Wien hat dem Investor die Zusage zur Realisierung des Projekts gegeben, bevor alle erforderlichen Verfahren abgewickelt (bzw. noch gar nicht begonnen) waren, was wohl schon einiges aussagt.
Im Wirtschaftsblatt vom 14.6. 2014 kann man in einem Interview mit dem Investor DDr. Tojner folgendes lesen: „Die UNESCO wird sich aufregen, ja. Aber die Stadt Wien hat das Commitment gegeben, das umzusetzen.“
Und weiter: „Das Ganze wird querfinanziert durch einen Widmungsgewinn. Der Wohnturm hinter dem Intercont soll im Endeffekt den Rest mitfinanzieren – auch die Straßenverlegung. Die Stadt Wien muss keinen Euro für das Projekt leisten.“
Das bedeutet zweierlei: Erstens kann die Stadt Wien den völkerrechtlich gültigen Vertrag der Republik mit der UNESCO aushebeln und hat offenbar die Absicht, das zu tun. Zweitens: Die Stadt Wien muss keinen Euro für das Projekt leisten.
Das klingt erfreulich für den Steuerzahler, hat aber einen Pferdefuß: Der Wiener Eislaufverein (WEV) behauptete (mir ist nichts Gegenteiliges bekannt), die Beibehaltung der Größe der bisherigen Eisfläche sei Bedingung für die Zustimmung zum Projekt. Der WEV ist im Besitz eines bis 2058 gültigen Mietvertrages für den teilweise zu verbauenden Grund und daher berechtigt, gegen verschlechterte Bedingungen Einspruch zu erheben.
Die Beibehaltung des bisherigen Flächeninhalts kann nur durch Schwenkung der Eisfläche in Richtung Lothringerstraße ermöglicht werden. Der Eislaufverein soll also mit öffentlichem Grund entschädigt werden. Der Investor müsste der Stadt den Grund abkaufen, oder diese stellt ihm den Grund gratis zur Verfügung, schenkt ihn also praktisch her.
Dazu richtete ich einige Fragen an den Bürgermeister; die Antwort erfolgte seitens des Büros der Vizebürgermeisterin Vassilakou: „Abgesehen von der neuen Baukörperkonfiguration sieht das von der Jury prämierte Siegerprojekt auch eine Neuorganisation der Eisfläche vor. In einer Breite von rund 10 m soll diese in die bestehende öffentliche Verkehrsfläche hineinragen. Die betroffenen Grundflächen sind im Eigentum der Stadt Wien bzw. der Wiener Linien. Aus heutiger Sicht ist kein Verkauf der Flächen angedacht. Die Bedingungen für die Überlassung der Flächen sind selbstverständlich noch in entsprechenden Verträgen festzusetzen. Grundsätzlich hat die Stadt Wien sowie jede private oder juristische Person das Recht, Grundflächen zu veräußern oder Dritten zur Nutzung zu überlassen. Da die Flächen derzeit jedoch im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan als öffentliche Verkehrsfläche ausgewiesen sind, wird zu prüfen sein, inwieweit für die Überlassung der Grundfläche eine Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans erforderlich ist.“
Hat nun also die Stadt dem Investor das „Commitment“ gegeben oder wird alles erst Gegenstand von Verhandlungen sein? Oder hat man gar den Eislaufverein dazu bewogen, seine Ansprüche zu reduzieren? Wie könnte man das erzielt haben? Schenkt die Stadt Wien dem Investor den fraglichen Grund, wenn er nicht verkauft werden soll? Aus schierer Liebe? Oder gibt es hier doch irgendwelche Gegenleistungen, die man besser unter Verschluss hält? Welche Rolle spielen hier die Wiener Linien?
Anfragen von Bürgerinitiativen oder einzelnen Aktivisten werden widersprüchlich beantwortet. Einmal ist eine Änderung der Flächenwidmung schon eingereicht, dann wieder noch nicht, entweder herrscht bereits Einverständnis zu gewissen Punkten, dann muss wiederum alles erst ausverhandelt werden, gewisse Fragen (z.B. nach einer Strategischen Umweltprüfung, die laut Gesetz geboten wäre) werden elegant umschifft, Briefe häufig überhaupt unbeantwortet gelassen oder so beantwortet, dass man sich die Antwort schon vorher selbst hätte schreiben können, da man die diversen Textbausteine bereits kennt. Das Ganze heißt Transparenz und Bürgerbeteiligung. Man spielt auf Zeit, versucht die Bürger ruhigzustellen und hofft, im Windschatten diverser anderer Aktivitäten seine Schäfchen ins Trockene zu bringen.
Die ICOMOS Austria (Nationalkomitee des Internationalen Rats für Denkmalpflege) und die österreichische UNESCO-Kommission stehen auf mehr oder weniger verlorenem Posten, da man ihnen ja wohlweislich nur beratende Funktion zubilligt, während die Stadtplaner in quasi autonomer Machtvollkommenheit vor Halb- und Unwahrheiten strotzende Jubelbroschüren verbreiten und mit haarsträubenden Argumenten die Öffentlichkeit und wohl auch die UNESCO davon zu überzeugen trachten, dass praktisch jede geplante bauliche Aktivität mit den Welterbekriterien kompatibel sei, da Wien ja wachse und daher Hochhäuser brauche. Die Richtlinien der UNESCO werden gewissermaßen auf ein Prokrustesbett gespannt.
Was Wien eventuell noch vor dem Absacken auf das Erscheinungsbild einer amerikanischen Mittelstadt retten könnte, wäre ein genügend großer öffentlicher Druck, vielleicht auch der Blick auf kommende Wahlen. Bei Realisierung dieses Projekts hätten diverse Investoren den gewünschten Präzedenzfall für Hochhäuser auf dem Karlsplatz und anderen sensiblen Standorten; Pläne liegen schon bereit.
ICOMOS Austria empfiehlt, Briefe von möglichst vielen Seiten nicht nur an die lokalen Politiker zu schreiben, sondern vor allem auch an die UNESCO, die allerdings nur englische oder französische Dokumente liest. Man muss auch bedenken, dass die mit Weltkulturerbe-Angelegenheiten betrauten Referenten hunderte von Objekten zu verwalten haben und überdies weit weg sind, sodass man bei Eingaben viele Informationen nicht ohne weiteres voraussetzen kann. Das macht es diversen Leuten leicht, die UNESCO – salopp ausgedrückt – auszutricksen.
Notfalls wäre die Stadt wohl auch bereit, auf das Kulturerbeprädikat zu verzichten, obgleich sich das den Wählern gegenüber nicht übermäßig gut ausnehmen würde. Auch für den Tourismus wäre das nicht gerade zuträglich.
Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Aber vielleicht stirbt sie ja gar nicht.
Dkfm. Waltraut Kupf, Studium an der Hochschule für Welthandel, Angestellte der IAEO, dort zugunsten der Kindererziehung ausgeschieden, verheiratet mit dem akad. Restaurator Prof. Martin Kupf. Gelegentliche Abfassung von Kommentaren in online-Medien.