„Ich glaube nicht, dass das jetzt der große Wurf ist“, meinte Finanzminister Hans Jörg Schelling, und damit hat er Recht. Das von Kanzler Faymann als „größte Steuerreform aller Zeiten“ gefeierte Umverteilungspaket ist in Wahrheit eine Kanzler-Rettungs-Aktion gewesen, bei der die ÖVP aus unerfindlichen Gründen zugestimmt hat.
Natürlich ist es erfreulich, wenn einige Steuertarife angepasst werden um die kalte Progression ein wenig abzumildern. Aber dieser Effekt wird – wie der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes betont – in zwei Jahren verpufft sein, während wir unter den negativen Aspekten dieses Belastungspaketes noch länger leiden werden.
Kein Wunder, dass die SPÖ jubelt und schon am Sonntag, 15. März, Inserate schaltete, was sie „erkämpft“ hat. Im Gleichschritt sehen auch die von SPÖ-Politikern mit Inseraten aus Steuergeld gut geschmierten Boulevardzeitungen dieses unverschämte Belastungspaket positiv. So spricht etwa Claus Pándi in der „Kronenzeitung“ von einer „grosso modo gelungenen Steuerreform“. Und Faymann-Freund Wolfgang Fellner jubelt in seinem Gratis-Blatt über den SPÖ-Erfolg und merkt zynisch über den VP-Chef an: „Er hat durch seine Kompromissbereitschaft diese Steuer-Reform erst möglich gemacht“. Das ist keine falsche Einschätzung, weshalb sich viele fragen, warum die ÖVP diesem Belastungspaket für die Familien, den Mittelstand und die Wirtschaft zugestimmt hat.
Damit ist auch der neue Finanzminister, in den viele ihre Hoffnung gesetzt haben, entzaubert. Er hatte zu Beginn der Verhandlungen völlig richtig festgestellt, dass Österreich kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem hat. Und er hat auf Ausgabensenkungen gepocht. Diese sind praktisch nicht gekommen, beziehungsweise in nebulosen Ankündigungen – etwa einer Verwaltungsreform, die uns seit Jahrzehnten versprochen wird – versteckt. Und der Kampf gegen den Steuerbetrug hat nichts mit einer Steuerreform zu tun. Steuerbetrugsbekämpfung sollte jeder Finanzminister, der sich ernst nimmt, jederzeit auf der Agenda haben.
Man muss daran erinnern: Michael Spindelegger ist zurückgetreten, weil er sich „nicht verbiegen“ wollte. Nunmehr hat sich die ÖVP unter seinem Nachfolger gewaltig verbogen. Über die Motive kann man nur rätseln. Aber möglicherweise sitzen auch bereits in der ÖVP so viele Sozialisten – wie etwa der neue Vorarlberger Landeshauptmann – dass es der Faymann-SPÖ ein Leichtes war, die Schwarzen über den Tisch zu ziehen. Dabei wurde eine primitive PR-Strategie angewandt: Es wurden noch größere Grausamkeiten wie etwa „echte Erbschafts- oder Vermögenssteuern“ angekündigt, die dann „verhindert“ wurden. Dafür wurden durch die Hintertür eine familien- und mittelstandsfeindliche Erhöhung der Grunderwerbssteuer (als neue Erbschaftssteuer), die Erhöhung der Steuern auf Dividenden, eine weitere Aushöhlung des Bankgeheimnisses sowie die Erhöhung des Spitzensteuersatzes durchgesetzt.
Es wurde keine einzige Strukturverbesserung, keine einzige konkrete Ausgabenreduktion beschlossen; weder bei den Pensionen und Subventionen, noch bei der teuren Schulverwaltung oder beim kostspieligen Gesundheitssystem – ein Wahnsinn, wie eine ÖVP hier zustimmen konnte. Und die SPÖ macht sich weiter über die ÖVP lustig, indem sie betont, dass selbstverständlich Vermögens- und Erbschaftssteuern weiterhin auf der Agenda der SPÖ stehen. Sie wird ihre Salami-Taktik ungehindert weiter fortsetzen. Umgekehrt wird sie Reformwünsche der ÖVP weiter bremsen, konkret bei der Pensionsreform, wo die SPÖ Hand-in-Hand mit dem ÖGB seit 1995 (!) erfolgreich blockiert.
Ältere Semester können sich noch an den rührenden Vranitzky-Brief zu Weihnachten erinnern. An der nächsten Pensionsreform scheiterte Viktor Klima und es kam die schwarz-blaue Regierung. Seit 2006 ist wieder die SPÖ Kanzlerpartei und da ist etwa ein Gusenbauer-Brief aus 2008 an die Pensionisten in Erinnerung. Heute erklärt uns ein stets fröhlich gestimmter Rudolf Hundstorfer, dass bei den Pensionen „ohnehin alles in Ordnung" sei – was sämtliche seriöse Experten heftigst bezweifeln. Und die SPÖ ist auch anno 2015 nicht bereit, sich hier auch nur einen Millimeter zu bewegen. Die ÖVP muss dieses Spiel mitspielen, weil sie das Junktim etwa mit der Steuerreform leichtfertig aus der Hand gegeben hat.
Und obwohl alle notwendigen Daten und Projektionen in punkto Pensionsentwicklung in vielfältigen Studien und Expertisen auf dem Tisch liegen, gibt sich die Regierung nunmehr ein Jahr Zeit (bis 29. Februar 2016), um das Pensionsthema zu „studieren“ – wahrlich eine besondere Frotzelei der Steuerzahler.
Ein pikantes Detail der Pensionsreformdebatte ist die Tatsache, dass Sozialminister Hundstorfer eine Diskussion über Änderungen beim Frauenpensionsalter mit dem Argument ablehnt, dass dieses Thema nicht im Regierungsprogramm steht. Auch die Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer stehen nicht im Regierungsprogramm, werden aber trotzdem von der SPÖ nach wie vor gefordert.
Eine ÖGB-getriebene SPÖ mauert seit Jahren bei Reformen. Dadurch hat sich in den Faymann-Jahren die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs dramatisch verschlechtert. Das zeigen internationale Vergleiche mit erschreckender Deutlichkeit und Regelmäßigkeit.
Es scheint, dass sich Werner Faymann, der ja neulich in Alexis Tsipras „einen guten Freund gefunden hat“, eher Griechenland als Vorbild nimmt als etwa Reformstaaten wie Schweden. Unter diesem Kanzler wird Österreich weiter absandeln – und die ÖVP schaut zu.
Prof. Dr. Herbert Kaspar, Chefredakteur ACADEMIA
Dies ist eine aktualisierte Fassung eines Kommentars aus der April -ACADEMIA 2015.