Vorweg: Einen „Staatsvertrag“ zwischen Islam und Österreich kann es nicht geben, da nur Österreich ein (moderner) Staat getrennt von den in ihm existierenden Religionsgemeinschaften ist, der Islam aber die (antik-mittelalterliche) Verquickung von Staat und Religionsgemeinschaft fortsetzt.
Geschichtliches: Berührung zwischen Christen und Moslems gibt es, seit es den Islam gibt. Und diese Berührungen waren meist nicht friedlich. Viele westliche Christen halten sich für intellektuell, indem sie die „Schuld“ den Christen anzulasten – etwa an den Kreuzzügen.
Sie übersehen:
- dass die von Jesus geforderte Ausbreitung des Christentums (Mt 28) kein Wort von Gewaltanwendung enthält;
- dass die Kreuzzüge ein Verteidigungskrieg gegen den Zangenangriff der Moslems über Spanien einerseits, über den Balkan andererseits waren;
- dass nur die Moslems die eroberten Gebiete nahezu 1400 Jahre behielten und bis heute behalten, ja in Syrien und Irak sogar urchristliche Gebiete derzeit komplett vernichten.
Nach Abwehr der beiden Türkenbelagerungen kam es erst Ende des 19. Jahrhunderts innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie zu engeren Kontakten mit Moslems, als Bosnien-Herzegowina 1878 unter die Verwaltung der Monarchie gestellt und 1908 annektiert wurde, was 1914 einer der Hintergründe zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war. 1912 legalisierte Kaiser Franz Joseph in Österreich die „Anhänger des Islam“ als anerkannte Religionsgesellschaft, weltweit das erste Gesetz dieser Art. Die Novellierung des Islamgesetzes schien aufgrund des raschen Anwachsens des islamischen Bevölkerungsanteils in Österreich – bisher auf eine halbe Million – daher dringend notwendig.
Was wollte die Gesetzesnovellierung und was wurde erreicht?
Die IGGiÖ (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich) wünschte eine weitere Ausweitung ihrer Rechte, etwa eigene Uni-Fakultäten, staatlich bezahlte Seelsorger beim Bundesheer, in Spitälern und Haftanstalten, islamische Friedhöfe, Recht auf Versorgung mit „Halal“-Speisen (d.h. mit islamischen Speisegesetzen entsprechenden Speisen) in öffentlichen Einrichtungen.
Was waren die christlichen Gegenforderungen?
Vorbemerkung: In einer pluralistischen Gesellschaft müssen alle Religionen und Weltanschauungen toleriert werden, die der Allgemeinen Menschenrechtserklärung nicht widersprechen. Daher darf keine Religion oder Konfession bevorzugt oder benachteiligt werden. Der Islam hatte – als Kleingruppe – in der Monarchie Privilegien, die jetzt den anderen Religionen/Konfessionen angeglichen werden sollten. Von dieser Basis konnte Österreich als Rechtstaat nicht abweichen – oder hätte es nicht gekonnt, denn es ereigneten sich unter dem Druck der IGGiÖ einige Merkwürdigkeiten.
Daher wurde intendiert:
Alle Glaubensverkündiger (Religionslehrer, Prediger etc) müssen den österreichischen Gesetzen entsprechen, d.h. entweder in Österreich ausgebildet sein oder, wenn im Ausland ausgebildet, die Gleichwertigkeit ihrer Ausbildung mit den österreichischen Gesetzen, besonders mit der österreichischen Verfassung und den Schulgesetzen, nachweisen bzw. Ausbildungen nachholen. Alle christlichen Konfessionen und die Juden haben sich von jeher an diese Regelungen gehalten. Wenn der Gesetzesentwurf im Ausland ausgebildete islamische Verkündiger als „Lebendsubventionen“ ablehnt bzw. ihre Kompatibilität mit den österreichischen Gesetzen einfordert, kann nicht von einer Benachteiligung des Islam gesprochen werden.
Alle christlichen Konfessionen müssen ihre Glaubensgrundlage und Unterrichtsbehelfe in unserer Landessprache vorlegen. Der Widerstand gegen die Darlegung der islamischen Glaubenslehre, besonders gegen eine von den islamischen Richtungen selbst anerkannten Übersetzung des Koran, ist daher inakzeptabel. Auch wenn es keine authentische Übersetzung gibt (auch für die Bibel nicht), muss eine Einigung der betroffenen Gruppen auf eine Übersetzung möglich sein. Die christliche Bibel ist sogar um Einiges älter als der Koran und das Alte Testament ist ebenfalls in semitischen Sprachen verfasst, dennoch kann jede christliche Konfession eine von ihr anerkannte Übersetzung vorweisen. Aber auch Religionsbücher müssten staatlich überprüfbar sein – nicht auf ihre religiösen Inhalte, sondern auf ihre Kompatibilität mit der Menschenrechtskonvention und der österreichischen Verfassung.
Diese Forderung wurde zunächst gestellt, dann aber wegen des islamischen Protests zurückgezogen, was schwer zu verstehen ist. Der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt begnügt sich mit einem Digest der wesentlichen Glaubensinhalte.
Weiters wurde die Erfüllung der bereits 1874(!) formulierten Forderung für die Anerkennung von Religionsgesellschaften moniert, „dass der laufende Betrieb autark möglich sein muss“. Das heißt, eine Religionsgesellschaft muss ihre Gebäude, ihre Seelsorger und die Erteilung ihres Religionsunterrichts selbst finanzieren können, Spenden aus dem Ausland sind aber erlaubt. Doch die Realität sieht so aus, dass ausschließlich für den Islam Auslandsfinanzierungen der Regelfall sind, vielfach von Seiten solcher Staaten, die der Menschenrechtserklärung nicht entsprechen. Die Auslandsfinanzierung der evangelischen und orthodoxen Kirchen hingegen ist der Ausnahmefall. Hier scheint noch unklar, was die Gesetzesnovellierung bewirkt.
Eine der wesentlichsten Forderungen wäre gewesen: Die Beseitigung der Möglichkeit der Mitgliedschaft in Kultur- und Moscheevereinen, die sich dem Einfluss und der Kontrolle der anerkannten islamischen Religionsgesellschaften entziehen. Denn der Gesetzesentwurf bekommt das Zweisektorenmodell nicht in den Griff: Einerseits verfügt die IGGiÖ als offizielle Vertretung des Islam über keinen realen Religionsbetrieb, aber beansprucht alle Privilegien einer anerkannten Religionsgesellschaft – anderseits gibt es einen unüberschaubaren Sektor von Vereinen (über 450), die dem Islamgesetz nicht unterstehen, für die also Auslandsfinanzierung und im Ausland ausgebildete Imame nicht illegal wären.
Schwer verständlich ist – auch für Moslems – warum nur die IGGiO und die ALEVI als moslemische Gemeinschaften vom österreichischen Staat anerkannt werden, die Schia und die ILMÖ (Initiative Liberaler Muslime Österreich) hingegen nicht – denn im Christentum sind ja auch mehrere Konfessionen anerkannt.
Der „interreligiöse Dialog“ ist zusätzlich zu der Gesetzesnovellierung von folgenden Schwierigkeiten betroffen:
Die unterschiedliche Auffassung von Offenbarung: Der Islam hält am Glauben an Verbalinspiration fest, d.h. dass der Koran wortwörtlich von Allah stamme. Das ist auch einer der Gründe für die Weigerung einer Übersetzung. Das Christentum hingegen versteht Inspiration (zumindest seit dem Konzil) als Realinspiration, d.h. dass Menschen den Willen Gottes in ihrer Weise verstehen und niederschreiben, daher zeit- und kulturbedingt. Die Bibel ist immer Gotteswort in Menschenwort und bedarf immer einer – nicht bloß sprachlichen – Übersetzung an den Adressatenkreis.
Da im Islam das gesamte Leben durch die Scharia geregelt ist, gibt es keine Trennung von Recht, Sittlichkeit und Religion. Nach christlicher Auffassung soll möglichst weltweit eine Rechtsordnung gelten, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen der verschiedensten Weltanschauungen ermöglicht und offen ist für eine religiöse Überhöhung. Diese Rechtsordnung wurde in der Menschenrechtserklärung sprachlich formuliert.
Unsere Toleranz darf also nur so weit gehen, als ein friedliches Zusammenleben der Menschen verschiedener Weltanschauungen nicht gestört ist. Das ist aber mit der Scharia unverträglich, die weltweit die islamische Rechtsordnung durchsetzen will. Hier sind Konflikte unvermeidlich.
Die letzte Schwierigkeit bereiten wir Christen uns selbst: Auf der Rechtsebene ist grundsätzlich auf Reziprozität zu achten – das tun wir nicht, weil uns das Erdöl und andere wirtschaftliche Vorteile wichtiger sind als die Menschenrechte.
Mag. theol und Dr. phil Elisabeth Deifel ist als Schwester Katharina bei den Dominikanerinnen eingetreten. Sie ist verwitwete Ehefrau und Mutter und hat das Lehramt für Latein und Griechisch. Sie war Professorin an der Pädagogischen Hochschule und ist heute in der Erwachsenenbildung tätig.