Haft für Nothelfer – in Italien

Was soll man davon halten, wenn eine gute Tat zur gerichtlichen Verurteilung führt? Wer dabei an unlautere Machenschaften denkt und also die blinde Justitia ohne Augenbinde vor sich sieht, hat die Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit zurecht im Blick: Es geht um einen bizarren Fall von Rechtsprechung in Bozen.

Helga Christian ist eine in Australien lebende Österreicherin. 1966 brachte die Tochter eines Wiener Industriellen große Teile ihres beachtlichen ererbten Vermögens in eine Stiftung ein und unterstützt seitdem aus den Erträgen bedürftige Menschen.

Helga Christian ist nicht nur Philantropin, sie hat auch ein Faible für Südtirol. Weshalb Stiftungserträge vornehmlich an in Not geratene Bergbauern flossen, die meist in Steillagen oberhalb der Baumgrenze wirtschaften und einen Stall voller Kinder zu ernähren haben. Geld fließt aber auch in die Kulturarbeit Südtirols: So erhalten Trachtenvereine, Schützenkompanien, Heimat- und Gesangvereine, Kindergärten, Kulturheime und Kirchen Unterstützung aus den in Liechtenstein angelegten, verwalteten und vom Kuratorium freigegebenen Mitteln.

Was in erster Linie Begünstigten der deutsch-österreichischen Volksgruppe Südtirols frommt, ist anderen ein Dorn im Auge. Ein italienischer Oberstaatsanwalt ermittelte jahrelang gegen die Stiftung. Der Eifer des Guido Rispoli war (und ist) hauptsächlich bestimmten Kuratoriumsmitgliedern der Stiftung geschuldet: Univ.-Prof. Dr. med. Erhard Hartung gehört dem Gremium an und Peter Kienesberger. Die in Deutschland lebenden Österreicher zählen zu den in ihrer Heimat einst für Idealisten gehaltenen Südtiroler Freiheitskämpfern.

Von denen sich heute jedoch distanziert, wer zu den politisch Korrekten zählt – so man sie nicht gar „Terroristen“ heißt – und Politisch Korrekt wollen nicht nur zwischen Wien, Innsbruck, Bozen und Wien die meisten Zeitgenossen sein. Auch Dr. med. Otto Scrinzi, einst FPÖ-Nationalratsabgeordneter, gehörte bis zu seinem Ableben (2012) dem Kuratorium an. Auf ihn geht die Eröffnung eines kleinen Büros der Stiftung in Bozen zurück, was sich im Nachhinein als Kardinalfehler erweisen sollte. Denn bei soviel aus der Antifa-Truppe, vornehmlich dem linkslastigen „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“ (DÖW), behaupteter „Rechtslastigkeit“ besagter Akteure, lässt sich unschwer ausmalen, mit welchem „Gefahrenpotential“ Rispoli sich konfrontiert zu sehen glaubte.

Rispolis Interesse dürfte durch Presseartikel geweckt worden sein, in denen behauptet worden war, die Laurin-Stiftung Stiftung finanziere in Opposition zur seit 1945 regierenden Südtiroler Volkspartei (SVP) stehende politische Kräfte. Dass Funktionäre der SVP über Jahre hin eng mit der Laurin-Stiftung zusammenarbeiteten, wurde dabei ebenso verschwiegen wie der Umstand, dass die Sammelpartei wie von ihr gestellte Mitglieder der Landesregierung den Geldfluss aus Liechtenstein stets wohlwollend beäugt haben. Früher waren „die armen Südtiroler“ darauf ebenso angewiesen wie auf Unterstützung der „Stillen Hilfe“ aus Österreich und Bayern, die der Münchner Unternehmer Gerhard Bletschacher organisiert hatte.

Seit Südtirol zu den prosperierenden Landstrichen Europas zählte, rümpfte man hingegen in Kreisen der SVP darüber die Nase und applaudierte Rispoli. Die SVP heftet sich ja allzu gerne den wirtschaftlich-sozialen Erfolg zwischen Brenner und Salurner Klause an die Parteifahne heftet und tut so, als hätte sie Anspruch auf die Alleinvertretung der Bewohner.

Rispoli hat(te) es zuvorderst auf Hartung und Kienesberger abgesehen. Beide zählen zu denjenigen, die sich aufgrund der römischen Politik gegenüber Südtirol in den 1960er Jahren gedrängt sahen, mittels Anschlägen auf das Los ihrer Landsleute aufmerksam zu machen. Beide waren, zusammen mit Egon Kufner, dem dritten beteiligten Österreicher, wegen eines Anschlags auf der Porzescharte, einem Grenzübergang zwischen Osttirol und der Provinz Belluno, bei dem am 25. Juni 1967 drei Carabinieri und ein Alpini-Soldat zu Tode kamen, 1971 in Florenz zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Das in Abwesenheit der Angeklagten ergangene Urteil ist bis heute höchst umstritten. In einem Verfahren in Österreich konnte die Verteidigung derart viele Zweifel am Sachverhalt aufwerfen, dass sie freigesprochen wurden. Hartung, vor der Pensionierung Anästhesie-Professor am Uni-Klinikum Düsseldorf, und der schwerkranke Kienesberger, der in Nürnberg lebt, beharren bis heute darauf, dass sie damit nichts zu tun hatten, sondern in die Sprengfalle eines italienischen Geheimdienstes gelockt werden sollten, in die schließlich die Carabinieri tappten.

Das deckt sich mit neueren Erkenntnissen über die Schreckensjahre in Südtirol, wonach zahlreiche Anschläge, welche Tiroler Patrioten angelastet worden waren, in italienischen Kreisen ausgeheckt und initiiert worden sind. Die Drahtzieher, in Geheimdiensten und dubiosen Vereinigungen wie dem italienischen „Gladio“-Arm der westlichen „Stay behind“-Geheimtruppe während des Kalten Krieges angesiedelt, waren darauf aus, eine Stimmung zur Unterfütterung ihrer „Strategie der Spannung“ zu erzeugen. Der Südtirol-Konflikt passte ihnen daher nur zu gut ins Konzept.

Der venezianische Untersuchungsrichter Felice Casson hatte 1990 nach Recherchen in Archiven des Militärgeheimdienstes SISMI „die Existenz einer geheimen komplexen Struktur innerhalb des italienischen Staates“ aufgedeckt. Er fand  heraus, dass sowohl Mitarbeiter des SISMI (respektive der Vorgängerorganisation SID) als auch neofaschistische Organisationen wie „Avanguardia Nazionale“ und „Ordine Nuovo“ sowie Teile des „Gladio“-Netzwerks von den 60er bis in die 80er Jahre „zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde in Italien begangen“ hatten.

1991 war eine Untersuchungskommission des italienischen Parlaments zu dem Schluss gelangt, italienische Geheimdienste hätten „Aktivitäten des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) durchdrungen“; Hartung, Kienesberger und Kufner bildeten einst eine von mehreren österreichischen BAS-Gruppen. Und der österreichische (Militär-)Historiker Hubert Speckner wies in seiner 2013 publizierten voluminösen Studie „,Zwischen Porze und Roßkarspitz… Der Vorfall vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“, Wien (Verlag GraWis; ISBN 978-3-902455-21-5; 368 Seiten) zweifelsfrei nach,  dass die Genannten die Tat nicht begangen haben konnten, daher gänzlich wahrheits- und rechtswidrig verurteilt und somit zu Mördern gestempelt worden sind.

Weshalb sie eigentlich dringend der öffentlichen Rehabilitierung und – zumindest der moralischen – Entschädigung für die Jahrzehnte währende Bezichtigung als (vermeintliche) „Attentäter und Terroristen“ bedürften. Italien, das ja den Anspruch erhebt, ein Rechtsstaat zu sein, und dessen Justiz hätten dazu die dringlichste Verpflichtung.

Derlei ist indes nicht im Entferntesten zu sehen. Im Gegenteil: In Bozen ließ Rispoli zuerst besagtes Büro der Laurin-Stiftung durchsuchen. Danach rückte er mit Mitarbeitern einer Sondereinheit der italienischen Finanzwache nach Nürnberg aus, um zusammen mit der dortigen Kriminalpolizei bei Kienesberger eine Hausdurchsuchung durchzuführen und dabei  Unterlagen zu beschlagnahmen. Dem war ein Rechtshilfeersuchen vorausgegangen, dem das Amtsgericht Nürnberg zwar zunächst entsprochen, das das zuständige Oberlandesgericht jedoch hinterher als rechtwidrig verworfen hatte. Auch in Liechtenstein und in Österreich wollte Rispoli Durchsuchungen durchführen (lassen), doch die Justizbehörden beider Staaten lehnten Rispolis fragwürdiges Ersuchen von vornherein ab.

Wieso fragwürdig? Wer Geld hat, eine Stiftung einrichtet und seinen Mitmenschen hilft, tut damit etwas für die Gemeinschaft. Wer stiftet, hat auch das Recht, selber zu bestimmen, was mit seinem Geld geschieht. Er muss sich zwar für die Registrierung der Stiftung, nicht jedoch für Akte praktizierten Altruismus behördliche Genehmigungen einholen. Auch hat er das Recht, selbst zu entscheiden, welchen Personen seines Vertrauens er die Verwaltung seines Geldes anvertraut, staatliche Organe braucht er darob nicht konsultieren. Das sollte der gesunde Menschenverstand meinen.

Nicht jedoch der italienische Oberstaatsanwalt Rispoli. Der konstruierte aus der durch die Stiftung während mehr als zwei Jahrzehnten erbrachten Wohltat, nämlich der „Umschuldung von über 200 bäuerlichen Betrieben, wobei sicher 30 bis 40 Betriebe vor der Zwangsversteigerung gerettet wurden“ (Scrinzi), eine „illegale Finanzierungstätigkeit“, womit wegen „Fehlens der gesetzlich vorgeschriebenen Ermächtigung der italienischen Zentralbank gegen das Bankengesetz verstoßen“ worden sei. Und er erhob Anklage gegen die Nothelfer (im wahrsten Wortsinne): gegen die zeitweise im Bozner Stiftungsbüro ehrenamtlich tätigen Südtiroler Karl Lobis und Walter Stirner; sowie gegen die abwesenden Kuratoren Hartung und Kienesberger- Diese würden ja wegen des aufrechten Urteils von Florenz von anno 1971 sofort verhaftet, sollten sie nach Italien einreisen.

Im Juni 2014 waren die Angeklagten in Bozen erstinstanzlich freigesprochen worden. Richterin Carla Scheidle befand, sie hätten „keine illegale Finanzierungstätigkeit ausgeübt“ und die Laurin-Stiftung habe „weder Gewinnabsichten verfolgt“ noch sei sie „unrechtmäßig in den Finanzmarkt eingedrungen“. Auch habe sie nur für ausgewählte, bedürftige Personen gebürgt und keine öffentliche Finanzierungstätigkeit ausgeübt. Damit war die Richterin weithin den Argumenten von Verteidiger Carlo Bertacchi gefolgt, wonach es stets Ziel der Stiftung gewesen sei, zu helfen und nicht zu verdienen. Als Bank eingestuft werden könne nur ein professionell organisiertes Institut, das seine Dienste öffentlich anbietet und Gewinnabsichten verfolgt. Diese Voraussetzungen habe die Laurin-Stiftung nicht, unterstrich Bertacchi.

Gegen den Freispruch hatte Rispoli umgehend Berufung eingelegt, über den die Bozner Außenstelle des Oberlandesgerichts Trient soeben entschied. Sein Strafsenat hob den erstinstanzlichen Freispruch auf und verurteilte die Genannten: Hartung und Kienesberger zu je sechs Monaten Haft, Lobis und Stirner zu je vier Monaten Haft auf Bewährung. Das werden sowohl die Verurteilten, als auch ihre Verteidiger beeinspruchen, womit der Kassationsgerichtshof in Rom und, falls auch dieser bestätigen würde, der Europäische Gerichtshof in Straßburg eingeschaltet würden.

Hinsichtlich Hartung und Kienesberger würde eine Strafvollstreckungsübernahme durch Deutschland – gegebenenfalls wohl auch durch Österreich – nach dem Übernahmeübereinkommen von 1983 die Rechtskraft des Urteils, mithin die Strafbarkeit der Tat nach dem Recht des die Vollstreckung übernehmenden Staates, voraussetzen. Das wäre im gegebenen Fall kaum denkbar, denn kein deutsches (oder österreichisches) Gericht würde angesichts eines Abwesenheitsurteils dessen Vollstreckbarkeit erklären. Ohnehin müsste dem ein Auslieferungsantrag Italiens an Deutschland respektive Österreich vorausgehen, der wegen der historisch-politischen und italo-juristischen Vorgeschichte abzulehnen wäre.

Dazu zählen auch Begleitumstände, unter denen das OLG-Urteil von Trient/Bozen zustande kam. So etwa, dass Rispoli ausgetauscht und durch Generalanwalt Paul Ranzi ersetzt wurde. Bedeutend schwerer wiegt, dass dem für den Urteilsspruch verantwortlichen Strafsenat unter Vorsitz des Richters Manfred Klammer auch die beisitzende Richterin Dott. Isabella Martin angehörte. Die Juristin wäre eigentlich, was bedenklicherweise unterblieb, von der Verteidigung wegen Befangenheit abzulehnen gewesen, denn sie ist die Tochter des nicht nur von der „Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer“, welcher Hartung vorsteht, übel beleumundeten Untersuchungsrichters Dott. Mario Martin.

Der ehemalige Faschist Martin, auf den das aus der „Affäre Filbinger“ stammende Diktum des Schriftstellers Rolf Hochhuth vom „furchtbaren Juristen“ ebenso passt, wie (im ideologisch-weltanschaulichen Sinne) der Begriff „Kronjurist des Dritten Reiches“ auf den deutschen Strafrechtler Carl Schmitt, sprach auch im „demokratischen“ Italien der 1960er Jahre Recht auf der Grundlage des aus dem Faschismus stammenden „Codice Rocco“.

Er hatte daher nicht das Geringste gegen die von oben, vom damaligen christdemokratischen Innenminister Mario Scelba mittels „Carta bianca“ gutgeheißene Folterung der BAS-Aktivisten unternommen. Im Gegenteil: 1961 widmete er sich mit so großem Eifer der ihm anvertrauten Aufgabe, die Prozesse gegen die „Bumser“  vom BAS vorzubereiten, dass sich die Tageszeitung „Dolomiten“ in ihrer Ausgabe vom 20. Dezember 1962 veranlasst sah, darauf hinzuweisen, er verweigere noch immer die Freilassung von elf Südtirolern aus der Untersuchungshaft, obschon sie selbst von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war.

Deswegen und wegen anderen unredlichen Tuns war Martin von Hartung und Kienesberger immer wieder in der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift „Der Tiroler“ – und nicht nur darin – öffentlich angegriffen worden. Und dessen eingedenk können allenfalls Ignoranten annehmen, dass sich Martins Tochter Isabella als beisitzende Richterin bei der  Urteilsfindung des OLG-Strafsenats unvoreingenommen entschied. Nach allen Erfahrungen, die Hartung und Kienesberger mit ihr machen mussten, glauben sie kaum mehr daran, dass Justitia in Italien die Augenbinde doch noch einmal anlegen könnte.

Der Verfasser ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.

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