Wie haben wir eigentlich jemals Familien gegründet, ohne staatliche Grundausbildung in der Schule? Und seit wann ist es egal, „wer mit wem wie genau verwandt ist“?
Es muss wohl sexueller Notstand ausgebrochen sein in Deutschland, anders ist es nicht zu erklären, warum gerade ein deutsches Bundesland nach dem anderen sich aufmacht, den Sexualkundeunterricht zu revolutionieren. Baden-Württemberg ist immer noch mit seinem sexuell vielfältigen Lehrplan beschäftigt. Niedersachsen macht gerade Nägel mit Köpfen. Jetzt kommt Schleswig-Holstein mit dazu. Wie haben sich die Deutschen bloß all die Jahre fortgepflanzt, ohne staatliche Grundausbildung und mit nur einer peripheren Unterstützung von Dr. Sommer, der „Bravo“ und abgegriffenen Pornoheftchen?
Wir hatten keinen fächerübergreifenden Unterricht, um über die Ausstattung eines Puffs zu diskutieren oder über die beste Auswahl von Sexspielzeug und noch nicht mal das Internet. Deswegen laufen da draußen vermutlich auf den Straßen haufenweise Menschen herum, die immer noch glauben, Fortpflanzung sei was zwischen Männern und Frauen. Familie sei irgendwas mit Vater und Mutter und Verwandtschaft etwas Natürliches.
Gut, dass man in Schleswig-Holstein nun also durchgreift, und schon Grundschüler demnächst ordentlich vorbereitet werden auf Leihmutterschaft, Samenspende, Polygamie und Regenbogenfamilien. Denn die scheinen der neue Normalfall zu sein in Deutschland, wenn man sich die ersten Entwürfe durchliest, die für den Unterricht zur sexuellen Vielfalt in Schleswig-Holstein erstellt wurden: „Ab und zu gibt es auch Mama und Papa.“ Ja ab und zu, genau – nämlich bei fast allen in Deutschland. Drei Viertel aller Kinder leben sogar bei Mama und Papa und fast der komplette Rest hat in der Regel Mama und Papa, auch wenn die vielleicht nicht mehr verheiratet sind. Oh ja, es gibt Mama und Papa „hin und wieder“.
Soll mein kleiner Kerl überlegen, ob er wohl schwul ist?
„Methodenschatz für Grundschulen zu Lebens- und Liebesweisen“ heißt das Papier für den Grundschulunterricht, und es sind tatsächlich echte Schätzchen darin enthalten. Im Diktat für die dritte und vierte Klasse, also für Kinder zwischen acht und zehn Jahren, heißt es: „Marian erklärt: Meine Mama Loris kommt aus Dänemark und hat dort Samenzellen von einem netten Mann bekommen. Dann bin ich in ihrem Bauch gewachsen. In Deutschland hat mich dann meine Mama Dani adoptiert.“ Das ist ja schön, liebe Marian; wir wollen hoffen, dass der nette Mann gut bezahlt wurde für seine Samenzellen und die Leihmama Loris auch, dafür, dass du in ihrem Bauch wachsen durftest. Das ist in Deutschland zwar strafrechtlich verboten, aber mit dieser Information wollen wir Grundschüler nicht belasten.
Weiter heißt es im Diktat: „Dilan berichtet: Zusätzlich zu meinen Eltern gibt es in meiner Familie noch Robin und Noa. Robin ist die Liebste meines Papas und Noa ist die beste Freundin meiner Mama.“ Das ist wirklich sehr modern, dass auch Grundschülern das Konzept einer offenen Ehe erklärt wird und endlich werden die Geliebte von Papa und die Gespielin von Mama nicht mehr aus dem Familienalbum ausgegrenzt.
Da fällt mir spontan eine Geschichte aus dem Hause Kelle ein. Unser damals Vierjähriger hatte im Kindergarten zwei Lieblingsspielkameraden: Lisa und Yannick. Eines Tages machte Lisa ihm im Wohnzimmer dann einen Heiratsantrag. Der arme Kerl wusste nicht genau, wie er aus der Nummer wieder raus kommt und sagte: „Frag doch mal Yannick.“ Dieser hatte dann die rettende Idee: „Wir können ja zu dritt heiraten.“ Ich habe damals den Fehler begangen, Yannick zu sagen, dass das nicht geht, aber sie waren ja damals auch erst vier Jahre alt.
Bis sie erwachsen sind, ist das sicher Unterrichtsstoff, zumindest in Schleswig-Holstein. Das Ganze gibt es anschließend auch noch als Lückentext, wo man dann noch mal übend zuordnen kann, zu wem die Familie mit den drei Mamas, zwei Papas und dem Opa gehört und wie das heißt, wenn Papa jetzt eine Mama ist, wie bei Kay aus dem Diktat. Im Konzentrationsspiel wiederum sollen verschiedene Möglichkeiten erörtert werden, wie man eine richtige Regenbogenfamilie wird. Also zum Beispiel so: „Joy lebt bei ihrem Papa. Dieser war früher eine Frau, wurde zu dieser Zeit schwanger und hat das Kind bekommen.“ Oder auch die Geschichte von Helge, der mit Mami und Mama zusammenlebt: „Mami hat sowohl weibliche also auch männliche Geschlechtsmerkmale und so konnte sie mit Mama ein Kind zeugen.“
Mal davon abgesehen, dass ein Kind in der Grundschule keine Ahnung hat, was der Unterschied zwischen Geschlechtsmerkmalen und Geschlechtsorganen ist, und selbst für Erwachsene die Begriffe transsexuell und intersexuell nicht immer geläufig sind, stellt sich die Frage, wofür genau Kinder in diesem Alter sich ohne Anlass mit diesen Themen beschäftigen sollen?
Unser drittes Kind ist gerade genau in dem Alter. Ich erlaube mir also einschätzen zu können, was Kinder in diesem Alter geistig verarbeiten können. Und was genau sollen solche Übungen bringen? Soll mein kleiner Kerl überlegen, ob er wohl schwul ist, weil er seinen besten Freund echt gern hat und sie sogar im gleichen Bett am Wochenende übernachten? Oder vielleicht der Frage nachgehen, ob Mama früher vielleicht ein Mann war?
Wo die kleinen Kinder herkommen
In dem Diktat steht auch der Satz: „Eigentlich ist es egal, wer mit wem wie genau verwandt ist.“ Gerne würde ich diese Behauptung einmal ausdiskutieren lassen zwischen den Machern dieses Papiers und den beiden jungen Mädchen aus dem Raum Hannover, die gerade vor Gericht das Recht erstritten haben, den Namen des Samenspenders zu erfahren, der ihr Vater ist. Sie wollen nämlich wissen, von wem sie abstammen. Eine Frage, die auch Adoptivkinder in der Regel spätestens in der Pubertät sehr beschäftigt. Es ist eben nicht egal, es ist offenbar ein tiefes menschliches Bedürfnis, zu wissen, woher und von wem man kommt. Auch dann, wenn man Adoptiveltern hat, die man sehr liebt. Denn der nette Mann mit den Samenzellen ist der eigene Vater.
Wenn Kinder Fragen stellen in diesem Alter, dann wollen sie eine Antwort und dann sollen sie eine kriegen. Wenn es ein Regenbogenkind in der Klasse gibt, dann ist es gut, wenn die Klasse mal darüber redet. Dafür braucht es aber keinen neuen Lehrplan, das schaffen Lehrerinnen auch so, ganz im Rahmen ihrer aktuellen Bildungspläne. Obwohl wir vier Kinder auf drei Schulen mit unzähligen Sportvereinen und mit großem Freundeskreis haben, ist meinen Kindern so eine Familie bislang noch nicht begegnet. Deswegen kam das Thema noch nicht auf. Sie kamen noch nicht in die Verlegenheit, jemanden zu diskriminieren, weil sie so jemanden noch nicht kennen.
Unser Neunjähriger liest gerade ganz angestrengt in dem Buch „Wo die kleinen Kinder herkommen“. Er will aber trotz beiläufiger Nachfrage darüber nicht sprechen, er denkt noch drüber nach. Aber vor zwei Jahren, also mit sieben, wollte er wissen, was „schwul“ ist. Er hatte das Wort aufgeschnappt und hat einfach nachgefragt. Zu Hause. Ich habe es ihm erklärt, mit Worten, von denen ich als Mutter denke, dass er sie versteht. Weil ich ihn kenne. Dass es Männer gibt, die nicht nur andere Männer lieben – das tut er auch, er hat einen Vater und Brüder und Freunde – sondern so sehr lieben, dass sie den anderen Mann auch heiraten wollen. Da hat er den Unterschied verstanden. Es ließ ihn staunend mit offenem Mund zurück.
Mehr wollte er auch nicht wissen. Weder über Sexualität noch über rechtliche Möglichkeiten zur Adoption von Kindern in homosexuellen Partnerschaften. Er war nämlich erst sieben und er musste erst mal darüber nachdenken, wie er das findet.
Die freie Journalistin Birgit Kelle ist Vorstandsmitglied des EU-Dachverbandes „New Women For Europe“ mit Beraterstatus am Europäischen Parlament. Als Vorsitzende des Vereins „Frau 2000plus“ tritt sie für einen neuen Feminismus abseits von Gender Mainstreaming und Quoten ein. Kelle ist verheiratet und Mutter von vier Kindern.
Sie ist außerdem Autorin des Buches „Dann mach doch die Bluse zu: Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn." Adeo, Asslar 2. September 2013, ISBN 978-3-942208-09-3
www.frau2000plus.net