Am 13. Jänner war die Regierungsvorlage zum Islamgesetz Gegenstand heftiger Debatten im Verfassungsausschuss des Nationalrates. Im Rahmen eines Expertenhearings arbeiteten mit der Materie vertraute externe Fachleute die Schwächen des Gesetzesentwurfes heraus, den die Regierung eigentlich an diesem Tag in das Parlamentsplenum zur Beschlussfassung durchwinken wollte.
Der Autor dieser Zeilen konzentrierte sich bei seiner Stellungnahme im Rahmen des Hearings auf die formalen Gebrechen des legistischen Ansatzes und auf die Tatsache, dass dieser völlig an der Wirklichkeit des realen Islam und seiner institutionellen Vertretungseinrichtungen in Österreich vorbeigeht. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes würden die islamischen Organisationen weitere Privilegien erhalten.
Aber noch viel dramatischer: Mit diesem Gesetz würde die wildwüchsige, schleichende Islamisierung unseres Landes gegen jede staatliche Kontrolle und alle zeitgerechten Versuche, eine fortschreitende Radikalisierung behördlicherseits zu behindern, geschützt werden. Der zuständige Kultusminister, Josef Ostermayer, konnte diese Bedenken ebenso wenig entkräften wie seine Beamten.
Was war geschehen? Wie sieht der Hintergrund dieser sperrigen Materie aus? Wieso ist diese Rechtsmaterie für die gesellschaftliche und politische Situation unseres Landes von so großer Relevanz? Wie wird es nun weitergehen?
1912 unterzeichnete der Kaiser in Österreich ein weltweit erstes Gesetz, mit dem die „Anhänger des Islam“ als anerkannte Religionsgesellschaft legalisiert wurden, nachdem Bosnien-Herzegowina vier Jahre vorher in den Rechtskörper der Donaumonarchie eingegliedert worden war. Für 2012 war, quasi zum hundertjährigen Jubiläum, ein „zeitgemäßes“ Islamgesetz geplant, mit dem die aktuelle Situation des „multireligiösen Österreich“ hätte abgebildet werden sollen.
Lange Verhandlungen mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), die für das neue Gesetz eine Ausweitung ihrer Rechte bestellte (eigene Uni-Fakultäten, staatlich bezahlte „Seelsorger“ beim Bundesheer, islamische Betreuung in Spitälern und Haftanstalten, islamische Friedhöfe, Recht auf Versorgung mit Islam-kompatiblen „Halal“-Speisen in öffentlichen Einrichtungen) verzögerten das Projekt zunächst. Deshalb gelang es aber auch, drei der wichtigsten Forderungen aufzunehmen, die seit Jahren von Bürgern erhoben werden, die sich um den Erhalt der säkularen und freiheitlichen Ordnung und des religiösen Friedens im Land Sorge machen. Diese sind:
- Die Verpflichtung zur Offenlegung der Glaubensgrundlagen seitens der islamischen Glaubensgemeinschaften. Eine solche ist nicht nur nötig, um den immer wieder beschworenen „interreligiösen Dialog“ führen zu können. Vielmehr ist sie auch unabdingbar, um feststellen zu können, welche Bestandteile der „Lehre des Islam“ mit den Gesetzen Österreichs nicht vereinbar sind. Eine solche Vorgehensweise verlangt eigentlich bereits das Islamgesetz 1912. Denn es besteht durchaus Grund zu der Annahme, dass insbesondere wesentliche Teile der islamischen Gesellschafts- und Rechtskonzeption (Scharia) nicht mit den Gesetzen eines aufgeklärten Rechtsstaates vereinbar sind. Nicht zuletzt ist es ein Skandal der Sonderklasse, dass es in Österreich Islamkritiker gibt, die nach §188 StGB, „Herabwürdigung religiöser Lehren“, verurteilt wurden, einer Lehre also, die nirgendwo und von niemandem je offengelegt wurde.
- Das Verbot der Finanzierung islamischer Religionsbetriebe (Moscheen u.ä.) durch ausländische Quellen. Diese Regelung wäre insbesondere deshalb wichtig, weil die Erfahrung der letzten Jahrzehnte im In- und im Ausland unzweideutig zeigt, dass eine Radikalisierung moslemischer Gemeinschaften sehr häufig auf dem Weg über die Bedeckung des Investitionsaufwandes („Moscheenbau“) und des Personalaufwandes für Religionsdiener („Imame“) durch ausländische Einrichtungen erfolgt, die eine radikale Vollform des Islam durchsetzen wollen. Saudi Arabien ist hier ebenso besonders tätig wie die türkische Religionsbehörde mit ihren österreichischen ATIB-Ablegern.
- Die Notwendigkeit der Auflösung von Moscheen- und Gebetsvereinen, die in einem völlig unüberschaubaren und wildwüchsigen Prozess in den letzten Jahren gegründet und etabliert wurden und mittlerweile in einem dichten Netz von 460 solcher Einrichtungen ganz Österreich überziehen. Die Realität eines Religionsvollzuges bzw. Kultusbetriebes in gänzlich unkontrollierbaren Vereinen ist jedoch mit dem Konzept einer gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft unvereinbar, die die Handlungen ihrer Funktionsträger und Exponenten zu verantworten hat und deswegen Schutz und gesetzliche Privilegien genießt.
Die drei genannten Forderungen wurden, wie gesagt, in den Ministerialentwurf für das neue Islamgesetz aufgenommen, der am 2. Oktober des Vorjahres veröffentlicht wurde. Sogleich setzte ein Sturm der Entrüstung seitens muslimischer Funktionäre und ihrer politischen und medialen Protektoren ein. Das neue Islamgesetz würde einen „Generalverdacht“ gegen Muslime manifestieren, den Islam „diskriminieren“, Muslime zu „Menschen zweiter Klasse“ machen und deswegen verfassungs- und menschenrechtswidrig sein.
Im Propagandasturm der Islam-Funktionäre, die damit wieder Gelegenheit hatten, sich im archetypischen Beleidigtsein und in der Opferrolle zu inszenieren, gingen die formalen Gebrechen des Gesetzesentwurfes unter. Diese sorgen dafür, dass die genannten Forderungen nicht umsetzbar bzw. nicht vollziehbar sind, sodass die gleichermaßen unbefriedigende wie gefährliche Realverfassung des Islam in Österreich nicht nur unantastbar bleibt, sondern geradezu gesetzlich abgesichert und damit dauerhaft konserviert wird.
Diese Realverfassung des Islam besteht aus einem bizarren Zweisektorenbetrieb: Die gesetzlich anerkannte IGGiÖ (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich) besorgt den – staatlich bezahlten – islamischen Religionsunterricht und die politische Öffentlichkeitsarbeit und kassiert dafür öffentliche Finanzdotationen, während sie keine einzige Moschee oder Kultusgemeinde betreibt. Die 460 islamischen Vereine hingegen betreiben Moschen, bringen Freitagspredigten zur Verlesung und besorgen den kollektiven islamischen Glaubensvollzug, indem sie die Muslime „an der Basis“ betreuen und so den Alltagsislam im Lande definieren.
Der Gesetzesentwurf verheddert sich darin, die Auflösbarkeit der Vereine an die Gleichheit ihrer „Lehre“ mit derjenigen einer gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft zu binden. Für eine ausführliche Analyse dieser sperrigen Materie und eine Darstellung der folgenreichen Effekte der legistischen Fehlkonstruktion ist hier kein Platz. Sie wurde im Zuge einer ausführlichen Stellungnahme des Wiener Akademikerbundes vorgenommen. Fakt ist jedenfalls, dass die Vereine nach diesem Gesetz nicht aufgelöst werden können. Dies ist deswegen tragisch, weil damit die Forderungen der „Offenlegung“ und der „Auslandsfinanzierung“ auf die Träger der Moscheen und islamischen Religionsbetriebe nicht angewendet werden können.
Das nur scheinbar bloß akademisch-juristische Problem ist von eminenter Bedeutung für das gesellschaftliche Miteinander, die kulturelle Selbstbehauptung und den religiösen Frieden im Land. Das zeigt ein Blick in die täglich stattfindende islamrelevante Berichterstattung der Medien allein in den letzten Tagen. Drei einschlägige Beispiele:
In einem Interview, das das Magazin Profil im Gefolge der Anschläge von Paris mit dem Präsidenten der IGGiÖ, Dr. Fuat Sanac, führte (Nr. 3 2015 vom 12.1.2015), stellt dieser die Existenz der Todesstrafe für Blasphemie in islamischen Staaten ebenso in Abrede wie das Faktum der Befürwortung von Selbstmordanschlägen durch den top-einflussreichen islamischen Rechtsgelehrten Yusuf al-Qaradawi. „Der Islam ist nicht politisch.“ „Die islamischen Gelehrten dürfen nicht aufhören zu betonen, dass die Taten der Terroristen absolut unislamisch sind.“ Und dann ein vielzitiertes Mantra aller Islamversteher: „Eine einzige Person zu töten, bedeutet gemäß dem Koran, dass man die ganze Menschheit umgebracht hat.“
Es lohnt sich, hier den dazugehörigen Originalvers aus dem Koran zu zitieren: „Daher haben wir den Kindern Israels vorgeschrieben: dass, wer einen umbringt, ohne dass damit Vergeltung geübt wird, oder ohne dass dieser (der Umgebrachte, Anm.) ein Verderben auf der Erde anrichtete, so sei es, als habe er alle Menschen umgebracht…“ (Sure 5, 33) Der wichtige zweite Teil des Verses wurde von Fuat Sanac aber einfach unterschlagen. Dieser Vers ist nämlich in der Tat eine der Grundlagen für die islamische Blutrache bzw. das Vergeltungsrecht.
Das konkretisiert sich nur einen Vers weiter, wo die konkreten Folgen des angesprochenen „Verderbens auf Erden“ in Aussicht gestellt werden. „Doch der Lohn derer, welche sich gegen Allah und seinen Gesandten empören und sich bestreben, nur Verderben auf der Erde anzurichten, wird sein: dass sie getötet oder gekreuzigt oder ihnen die Hände und Füße an entgegengesetzten Seiten abgehauen oder dass sie aus dem Lande verjagt werden.“ (5, 34) Hier ist nicht der Platz, um die Frage abzuhandeln, ob die Methode der IS im Irak sich in irgendeinem Detail von der Vorgabe dieses Koran-Imperativs unterscheidet. Sehr wohl aber wird die Frage zu stellen sein, warum Sanac hier so konsequent (und zum wiederholten Mal) die Unwahrheit über seine Glaubensgrundlagen vertritt.
Und genau das ist der Punkt.
Wie kann eine ersprießliche Koexistenz, oder gar ein respektvoller Umgang, mit den Vertretern einer Religionsgemeinschaft eingefordert werden, die dauerhaft jede wahrheitsgemäße Auskunft über ihre Glaubensgrundlagen verweigern, ja, ganz im Gegenteil, jeden Versuch einer seriösen Aufarbeitung mit aggressiven Totschlagargumenten quittieren? Hier wäre die Umsetzung der „Offenlegung der Glaubensgrundlagen“ eine unbedingte Voraussetzung für die Errichtung einer gemeinsamen Basis von Muslimen und Nicht-Muslimen in einer österreichischen Wertegemeinschaft.
In der Kurier-Ausgabe vom 19. Jänner alterieren sich muslimische Funktionäre vehement über die von Minister Kurz geforderte Kontrolle der Aktivitäten in den islamischen Kultusbetrieben. Die allgegenwärtige Pressesprecherin der IGGiÖ, Carla Amina Baghajati, spricht „von einem Eingriff in die inneren Angelegenheiten anerkannter Religionsgesellschaften".
Ein weiterer, geradezu archetypischer Anwendungsfall der Verwirrung um das Islamgesetz! Von welcher anerkannten Religionsgesellschaft spricht Baghajati da? Die IGGiÖ betreibt, wie bereits gesagt, keine einzige Moschee. Die Trägervereine aller islamischen Religionsbetriebe sind keine anerkannten Religionsgesellschaften und haben mit der IGGiÖ nichts zu tun, insofern sie weder unter deren Verantwortung arbeiten noch auch von dieser irgendwie inhaltlich kontrolliert werden (können). Und zwar völlig gleichgültig, ob es sich dabei um sog. „Hilfsvereine" handelt oder nicht. Präsident Sanac selbst hat dies im August 2014 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Die IGGiÖ macht sich also – ganz nach Belieben und je nach Situation – entweder zum Sprecher und Protektor des gesamten islamischen Sektors in Österreich oder distanziert sich im Bedarfsfall von einzelnen Einrichtungen, die unangenehm auffallen.
Dieses zweite Medienzitat ist also ein starker Beleg für die Notwendigkeit der Durchsetzbarkeit einer Auflösung der wildwüchsigen Moscheenvereine, wie sie zwar in der Vorlage zum Islamgesetz angedeutet, aber durch dieses nicht vollziehbar gemacht wird. Im oben stehenden Beispiel wird auch erkennbar, warum diese Forderung von so großer politischer Bedeutung ist: Ein Grundpfeiler einer funktionsfähigen und gerechten Religionsgesetzgebung ist die Deckungsgleichheit der Reichweite von Rechten und Pflichten sowie von Verantwortung und Kontrolle, durch die eine gesetzlich anerkannte und privilegierte Religionsgesellschaft charakterisiert sein sollte. Das unwürdige Hase-und-Igel-Spiel zwischen Religionsgesellschaft und Wildwuchs-Vereinen unterminiert diesen Grundpfeiler und muss auf Dauer jedes Vertrauen zwischen der muslimischen Community und der Mehrheitsgesellschaft schädigen oder gar zerstören.
Es ist daher in höchstem Ausmaß nicht nur im Interesse der autochthonen Österreicher, sondern mindestens genauso der integrationswilligen Muslime, dass die Forderungen, denen hier das Wort gesprochen wird, durch ein korrekt aufgesetztes Islamgesetz judizierbar gemacht und politisch umgesetzt werden.
Die integrationswilligen Muslime Österreichs haben ein Recht darauf, von der staatlichen Gemeinschaft, der sie angehören wollen, klipp und klar gesagt zu bekommen, welche Bestandteile der islamischen Lehre in diesem Lande ganz sicher nicht gelebt und vollzogen werden können. Denn wir haben nicht den „Generalverdacht“, sondern die generelle Gewissheit, dass die Scharia in ihrer Gesamtheit nicht mit den Gesetzen, Sitten und Moralvorstellungen Österreichs vereinbar ist (siehe z.B. Vergeltungsrecht, Körperstrafen, Ungleichstellung der Frau, Polygamie und Diskriminierung von „Ungläubigen“). Es ist Ausdruck der Unehrlichkeit und des Versagens der politischen Elite, diese Selbstverständlichkeit bis heute konsequent unterschlagen zu haben.
Es darf daher nicht verwundern, wenn die muslimischen Funktionäre der nächsten Generation in ihren Forderungen nach widerstandsloser Implementierung islamischer Rechtsvorstellungen zunehmend offensiver werden.
Das dritte Medienzitat zeigt dies eindrücklich. Im Standard-Kommentar vom 23. Jänner prangert die Frontfrau der MJÖ (Muslimische Jugend Österreichs), Dudu Kücükgöl, die „täglichen islamfeindlichen Übergriffe des populistischen Politdiskurses“, die „öffentliche Paranoia“, die „gesetzlich festgeschriebene Diskriminierung“ und das Werken „kruder Islamophobie-Thinktanks“ an.
Sie fordert „nicht nur Gleichheit“, sondern „Gehör vom österreichischen Staat“ ein, was wohl soviel heißt, dass es keineswegs nur um „Religionsfreiheit“, sondern um die Verwirklichung polit-islamischer Forderungen geht. Und in diesem Sinn geht es um die Erhaltung und den Ausbau der dafür erforderlichen Instrumente.
Als in Österreich akademisch eduzierte Vorzeige-Muslimin hat Kücükgöl bereits verstanden, dass das neue Islamgesetz diese Instrumente schützen würde, und dass sie ihre Floskel vom „skandalösen Entwurf zum neuen Islamgesetz“ nur als gezieltes Ablenkungsmanöver in Stellung zu bringen hat. Sie weiß genau, dass das Islamgesetz an seinem eigenen Ziel der „Auflösung von Vereinen“ scheitern wird, wenn deren Exponenten sich nur des richtigen „wordings“ im Hinblick auf ihr Selbstverständnis bedienen.
Kucükgöl formuliert daher ebenso selbstbewusst wie zielsicher: „Deshalb zum Mitschreiben: Die MKÖ ist ein Jugendverein und kein religiöser Verein. Sie bekommt nur jene Mittel, die auch ähnliche, österreichische Jugendorganisationen bekommen. Deshalb ist sie an sich vom geplanten Gesetz nicht betroffen.“ Kücükgöl baut bereits für die Zeit nach der Beschlussfassung vor.
Aber die Bundesregierung will genau das nicht sehen, was Kücükgöl erkennt: Das neue Islamgesetz ist in seiner bisherigen Form nicht vollziehbar, muss wirkungslos bleiben und ist bestenfalls als Beruhigungstablette für eine mittlerweile außerordentlich verunsicherte Bevölkerung geeignet.
Es sei daher die Forderung des Wiener Akademikerbundes angeführt, der sich seit langem für eine konstruktive Religionsgesetzgebung einsetzt: Definitiv notwendig ist eine Korrektur des Gesetzesprojektes. Diese muss den Moscheen-Wildwuchs eindämmen, die Verantwortung der islamischen Glaubensgesellschaften für die von ihnen vertretenen und verbreiteten Glaubensinhalte sicherzustellen, und die radikale Einflussnahme auf die islamische Szene in Österreich durch Finanzierung aus dem Ausland zu unterbinden.
Dies ist rechtstechnisch problemlos zu bewerkstelligen, wenn der erforderliche politische Wille aufgebracht wird. Es gibt noch genügend Zeit, um die Kapazitäten aller konstruktiven Kräfte hierfür zum Einsatz zu bringen. Die Bundesregierung ist daher dringend aufzufordern, eine so wichtige Materie nicht als Prestigeprojekt durch das Parlament zu peitschen. Denn ein gutes Islamgesetz ist eine der absolut letzten Chancen, den Religionsfrieden in Österreich auf Dauer zu erhalten.
Mag. Christian Zeitz ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie und Islambeauftragter des Wiener Akademikerbundes.