Im neuen Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) wird die Präimplantationsdiagnostik (PID) in gewissen Fällen erlaubt. Mit der PID betreten wir aber sehr heikles Terrain: Diese Technik macht es nämlich möglich, bereits während oder kurz nach der Befruchtung genetische Defekte, Erbkrankheiten und gesundheitliche Risikosituationen, aber auch das Geschlecht des Embryonen festzustellen. Viele jubeln über diesen medizintechnologischen Fortschritt, der im Falle des Falles ein „humanes", weil extrem frühes Beenden des neuen menschlichen Lebens möglich macht. Wenn einem ein Embryo aus genannten Gründen (Erbkrankheiten, Risikoprofil etc) nicht genehm ist, wird er noch im Reagenzglas aussortiert.
Klarer formuliert: Es wird aus eugenischer Indikation der Embryo abgetötet und „verworfen" (so lautet der Fachausdruck). De facto ist es nicht nur möglich, wegen eines Gendefekts den Embryo zu vernichten, sondern auch aus einem ganz banalen Grund: Es gefällt den Eltern das Geschlecht nicht. Das ist in Österreich zwar verboten, aber in anderen Ländern erlaubt.
Die Grenze zur beliebigen, von den Eltern oder auch vom Labor gesteuerten Selektion ist international bei der PID längst überschritten. Übrigens: In Ländern, wo die Abtreibung in einer späteren Phase der Schwangerschaft gesetzlich gestattet und daher die Geschlechtsbestimmung beim Fetus generell möglich ist (zB in Schweden), werden deutlich mehr Mädchen als Buben abgetrieben. Dieses Faktum war seltsamerweise noch nie Thema einer Gender-Diskussion. Das Binnen-I scheint uns da wichtiger zu sein als diese krasse tödliche Diskriminierung.
Doch zurück zur PID. Die Tatsache, dass wir mit dieser Technik exakt jenen Ideen, die ein Teil des eugenischen Rassen- und Reinheitswahns waren, heute wieder Vorschub leisten, fällt bei der PID-Debatte (so sie überhaupt geführt wird), elegant unter den Tisch. Man verwendet lieber eine euphemistische Argumentationslinie und bezieht sich sofort auf das angeblich „humane" Element dieser Tötungsform. Die Standardantwort auf die Frage nach der Eugenik lautet, es sei doch viel menschlicher, einen Zellhaufen zu entsorgen als später einen Fetus abtreiben zu müssen, wenn sich herausstellt, dass er behindert oder nur eingeschränkt lebensfähig ist.
Dieses Argument ist aber grob falsch: Durch die Option, im Labor Früh-Abtreibungen mit der Pipette durchführen zu können, steigt erstens die Anzahl der vernichteten („verworfenen") Embryonen dramatisch an. Zweitens wird die Tatsache, dass Leben auf diese Weise klar und deutlich in eine werte und eine unwerte Variante eingeteilt wird, verschwiegen.
Dass Abtreibungen von behinderten Föten auch bei uns bis kurz vor der Geburt erlaubt sind, rechtfertigt nämlich keinesfalls die „Segnungen" der PID und die daraus gewonnen Indikationen zur frühen Tötung. Vielmehr ist überhaupt die Indikation der Tötung von als wertlos diagnostiziertem menschlichen Leben sehr kritisch zu hinterfragen. Was bedeutet diese Sichtweise für jetzt lebende Menschen mit Behinderung oder für Menschen mit genetischen Störungen?
Auch das Argument, dass eben die Fetozide (so nennt man Abtreibungen kurz vor der Geburt) durch die PID verhindert würden, rechtfertigt dieselbe nicht: Es bleibt ja trotzdem die eugenische Absicht der Vernichtung unwerten Lebens bestehen. Diese Absicht wird nur verharmlost und vernebelt.
Und schließlich geht es auch darum, dass durch die PID das menschliche Leben an sich bzw. vor allem der Beginn des Mensch-Seins einer technokratischen Transformation unterzogen werden. Das natürliche Wesen der Zeugung und auch die natürliche Selektion in utero gehen dadurch verloren, weil der Mensch in den archaischen Bereich der Zeugung gezielt und steuernd eingreift und mittels einer speziellen Technik die Kreation von Leben selbst übernimmt.
Man kann das natürlich aus einer rein materialistischen und fortschrittsgläubigen Sicht gutheißen und als positive Entwicklung sehen. Der Wunsch nach gesunden Kindern ist nachvollziehbar und natürlich. Und die PID verlockt eben mit ihren Versprechungen, dass nur gesunde Kinder zur Welt kommen werden. Wenn man diesen Versprechungen glaubt, dann muss einem aber klar sein, dass man sich damit in das Feld der Eugenik begibt.
Man kann dort freilich in guter Gesellschaft sein, denn manche Eugeniker sind durchaus honorige Personen: Der Literat George Bernard Shaw oder der bekannte Ökonom John Maynard Keynes waren Eugeniker. Uns muss aber auch bewusst sein, dass die Eugenik von den Nürnberger Rasse-Philosophen quasi als Religion ausgeformt wurde und dass die eugenischen Ansichten als ein wesentlicher Teil der NS-Ideologie im Einsatz waren.
Wer also heute Eugeniker und Befürworter einer breitflächig eingesetzten PID ist, muss sich in Zukunft mit Kritik an Rasse-Ideologien zurückhalten und sich überlegen, wie er/sie für sich diese fragwürdige Sicht auf das menschliche Leben grundsätzlich rechtfertigen kann. Tendenziell wollen Rasse-Philosophen und Gen-Tester ja dasselbe: Nämlich eine möglichst hohe genetische Qualität beim Nachwuchs sicherstellen.
Die in Österreich laufende Debatte über die PID, die ja nur bei In-Vitro-Fertilisationen (IVF) angewendet werden kann, ist noch im Anfangsstadium. Das neue FMedG wird hier sicherlich die Diskussion befördern.
In Wirklichkeit steht uns die große und grundsätzliche Eugenik-Debatte erst bevor: Die Gentechnik schreitet fort und wir werden in Bälde relativ einfache Gen-Tests in großer Zahl günstig zur Verfügung haben. Mit diesen können wir nicht nur das Geschlecht oder Krankheitsrisiken, sondern auch Haar- und Augenfarbe, IQ, Körpergröße usw. bei jedem Embryo bestimmen. Die Versuchung, sich sein Designer-Baby zu basteln, ist dann in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Und damit wird die Frage der Eugenik nicht mehr nur eine Randthematik in den Kinderwunschzentren sein, sondern zu einer brisanten gesamtgesellschaftlichen ethischen Grundsatzdebatte führen.
Dr. Marcus Franz ist Arzt und Nationalrats-Abgeordneter des Team Stronach.