Es lebe der Unterschied!

Die Sozialdemokratie ist in einem Dilemma gefangen. Trotz oder gerade wegen der Tatsache, dass die gemäßigte Linke die meisten ihrer Ziele bereits erreicht hat, wenden sich immer mehr Sympathisanten enttäuscht von ihr ab. Vermutlich ist es paradoxerweise vor allem das Streben nach Gleichheit und gesellschaftlichem Ausgleich, welches den Niedergang der Sozialdemokratie vorantreibt. Zwei soziologische Phänomene, die von der Linken lange negiert respektive zu spät bemerkt wurden, könnten dies beweisen.

Zum Ersten mag im Zeitalter des Individualismus kaum jemand a priori von der Politik mit allen anderen in einen Topf geworfen werden, zu unterschiedlich sind die genuinen Interessen und Lebensziele des Einzelnen. Zwar findet die Linke noch immer ihre Anhänger bei vielen Intellektuellen und bei jenen, die sich gesellschaftlich benachteiligt fühlen. Aber unter Letzteren wandern die Leute in Scharen zu den populistischen Parteien ab, weil diese ihnen die besseren Angebote machen. Im Gegenzug äußern die Intellektuellen ihren Frust darüber im Feuilleton und wenden sich den Bobo-Fraktionen zu.

Zum Zweiten hat die Linke die vielen Fragen, welche die europäische Migrationsthematik mit sich bringt, nolens volens lange übersehen. Die von ihr bisher propagierte rasche Gleichstellung von Einwanderern, ihr Versagen beim Schaffen von wirksamen Integrationsmaßnahmen und die Forcierung einer längst nicht von jedem geschätzten Multi-Kulti-Politik ruft bei der autochthonen Bevölkerung Ängste hervor, die von der Linken lange mit einer gewissen Nonchalance behandelt und einfach nicht ernst genommen wurden. Die Rechnung dafür präsentiert der Wähler nun zu jedem Anlass.

Daraus lässt sich ableiten, dass das linksideologische Streben nach sozioökonomischer Gleichheit eher negative Effekte für die Entwicklung und den Zustand unserer Gesellschaft hervorruft. Wenn diese Interpretation stimmt, dann könnte im Umkehrschluss die Ungleichheit positive Auswirkungen für dieselbe haben, zumindest aber kann sie nicht so schlecht sein wie ihr von der Linken geprägter Ruf.

Diese These ist zu untersuchen: Wir behaupten einmal, Ungleichheit ist eine der Grundvoraussetzungen jeder gelungenen gesellschaftlichen Entwicklung. Weiters behaupten wir, dass sozialistische und kollektivistische Ideologien nicht zu jenem allgemeinen Glück führen, welches sie seit Marxens Zeiten versprechen.

Die Argumente für diese These lauten: Nur unter grundsätzlich ungleichen Bedingungen können jene dynamischen Prozesse entstehen, die eine Weiterentwicklung von Gesellschaften ermöglichen. Sozioökonomischer Fortschritt gelingt nur, wenn sich Individuen oder Gruppen bemühen, mehr zu leisten als andere. Gemeinhin nennen wir das Wettbewerb.

Wenn hingegen linksideologische und kollektivistische Inhalte kontinuierlich in die Realität umgesetzt werden, beginnen sie früher oder später in eine für die Gesellschaft kontraproduktive Richtung zu wirken. Erstens, weil die Linke zur Schaffung der Gleichheit notgedrungen gegen so simple menschliche Grundeigenschaften wie Individualität, Konkurrenzdenken, Leistungsbereitschaft und Mut agieren muss.

Zweitens widerspricht das Ideal der Gleichheit demjenigen der Freiheit, denn Gleichheit bedeutet immer auch einen Verlust an Eigenständigkeit. Egalitätsfördernde Maßnahmen sind regelhaft mit Einschränkungen verbunden.

Und drittens attackiert das Ansinnen der Gleichheit das Wesen des Lebens per se, denn alleine schon die biologische Evolution beruht auf Ungleichheit und Veränderung.

Mit dem Wissen, dass Ungleichheit ein essenzielles Merkmal des Lebens ist, kann es keinen Zweifel darüber geben, dass gerade die Unterschiede zwischen den Menschen ganz grundsätzlich die Fülle von individuellen Möglichkeiten und Lebensläufen erzeugen und den Raum für jene Phantasien, Vorbildwirkungen und Kreativitäten bieten, aus welchen wiederum Wandel, Abwechslung und Fortschritt entstehen können.

Das Schaffen von Gleichheit funktioniert prinzipiell nur durch Gewalt oder Druck. Waren es früher Revolutionen, welche das Ideal der Gleichheit zumindest für eine Zeitlang und meist auch nur scheinbar etablieren konnten, ist es in Friedenszeiten nur durch staatliche Zwänge möglich, den Trend zur Egalität aufrecht zu erhalten.

Über die Steuer- und Sozialgesetze wird heute versucht, gesellschaftliche Gleichheit herzustellen. Wenn der egalitäre Staat die Leistungswilligen aber zu sehr bremst, indem er die Umverteilung forciert und die selbst erarbeiteten Einkommen durch steigende Steuersätze limitiert, so kommt es bei den Leistungserbringern unweigerlich zu Unzufriedenheiten und letztlich zu Entsolidarisierungstendenzen.

Der Keim der Spaltung ist gesät: Die einen wollen immer mehr, weil es ihnen ja vom Staat im Namen der Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit versprochen wird, die andern wollen aber die dadurch stetig schwerer werdende Last nicht mehr tragen. Selbst die mahnenden Hinweise auf das Ideal einer möglichst breitflächigen Verteilung des Wohlstandes zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens klingen da nur noch hohl. Am Ende führt der Gleichheitsgedanke jedenfalls zur Hemmung der gesellschaftlichen Prozesse und zur totalen Unzufriedenheit aller.

Freilich: Die grundsätzliche Gleich-Wertigkeit aller Menschen ist heute in allen demokratischen Verfassungen festgeschrieben und das ist eine zu erhaltende Errungenschaft. Zu hinterfragen ist aber, ab welchem Ausmaß das aus der Gleichwertigkeit abgeleitete Recht auf Gleichheit zur Pervertierung seiner selbst führt und danach als üble Farce endet. Die Gleichheit muss untrennbar mit der Pflicht verbunden sein, etwas dafür zu tun. Dies ist eines der großen Missverständnisse in den linken Ideologien, weil in diesen der Einzelne seiner Pflichten quasi enthoben und diese auf das Kollektiv übertragen werden.

Erschwerend für eine Redimensionierung des Gleichheitsprinzips wirken die ihm gerne beigefügten wolkigen Schlagworte Solidarität und Soziale Gerechtigkeit. Solidarität wird gerne übersetzt mit „Die andern sind verantwortlich!“ Und bei der viel beschworenen sozialen Gerechtigkeit weiß zwar keiner, was genau damit gemeint ist, aber jeder will dafür umso mehr von ihr profitieren. Wahrscheinlich ist der Begriff eine der großen politischen Irreführungen unserer Zeit, er dient wohl lediglich dazu, die fortschreitende Umverteilung und das fragwürdige Gleichheitsprinzip zu legitimieren.

Auf was könnte man sich aber nun einigen, wenn man auf der Suche für eine Neuformulierung des Gleichheitsprinzips ist? Ganz ohne Bigotterie: Als Leitbild könnte die christliche Gesellschaftslehre angesehen werden. Die darin festgeschriebene Gleichwertigkeit (nicht Gleichheit!) aller Menschen, die Pflicht zur Eigenverantwortung, zur karitativen Tätigkeit und das generelle Subsidiaritätsprinzip geben dem Einzelnen und der Gesellschaft einen Rahmen vor, in dem sichergestellt ist, dass niemand zurückbleibt.

Auch und gerade in einer säkularisierten Welt könnte sich die Mehrheit mit diesen Gedanken vermutlich anfreunden. Aber wer traut sich überhaupt noch, diese bewährten Ideen neu zu formulieren? Und vor allem: wer hört solchen Vorschlägen heute noch zu?

Dr. Marcus Franz ist Arzt und Nationalrats-Abgeordneter des Team Stronach. 

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