Die sozialen Netzwerke bieten nicht nur neue Formen der Kommunikation, sondern auch das Problem der Identifikation von Kommentaren in Form geposteter Botschaften, wenn diese mit einem Pseudonym zu einem Beitrag ins Netz gestellt werden. Bisher war man gewohnt, dass sich Leserbriefschreiber oder Kommentatoren namentlich ausweisen.
In sozialen Medien ist es möglich, sich anonym oder mit einer fremden Identität auf der jeweiligen Plattform einzuloggen und damit sein wahres Ich als Autor zu verbergen. Warum man das macht, dafür gibt es einige Gründe. Vordergründig ist die Feigheit vor dem Feind, den man aus der Tarnung der Anonymität leichter und bisher ungestraft mit seinem verbalen Shitstorm beglücken kann.
Der Kampf der Worte und Argumente mit offenem Visier scheint nur mehr einem kleinen Kreis der sich der Wahrhaftigkeit verpflichteten Schreibwilligen überlassen zu sein. Dass auch bekannte und berühmte Autoren nicht unter ihrem im Taufschein eingetragenen Familiennamen ihre Werke verfassten, das ist bekannt und nichts Ungewöhnliches.
Es kommt auf die Motive an, warum man das tut. Will man seine Privatheit schützen oder sich durch das Zulegen einer Parallelidentität – wie durch das Tragen einer Maske – besonders interessant machen, um sich damit einen besonderen Nimbus zu verleihen. Manchmal hat es schlicht und einfach kommerzielle und werbetechnische Gründe, dass man sich, wie man sagt, einen Künstlernamen zulegt.
Mit Kunst und Können haben die Decknamen, unter denen in den neuen sozialen Medien gepostet wird, nicht viel gemein. Es ist schlicht und einfach eine Form der selbst gewählten Bequemlichkeit, sich im Schutz der Anonymität Sachen heraus zu nehmen, die man sich unter seinem wahren Namen aus Angst vor Strafverfolgung nie getrauen würde.
Zumeist sind es Neid, Missgunst und Rachegelüste, die einen anonymen Poster verleiten, sich beim Akt seines mehr oder weniger zynischen Kommentars eine tugendlose Tarnkappe zuzulegen. Es gehört nicht sehr viel Mut dazu, seine aufgestaute Aggression und den Argwohn auf die jeweilige Posting-Adresse in Form von unschönen oder lustigen Pamphleten abzulassen.
Inzwischen werden professionell positive Postings im Zuge von „Reinwaschkampagnen“ als Gegenmittel auf laufende negative Diskussionen mit gefälschter Identität in den sozialen Medien abgesetzt. Ärgern sich über Privat-Postings nur Einzelpersonen oder Gruppen, so regen sich über strategische Kampagnen-Postings ganze Interessengruppen auf, die, so vermutet man, aus einer ähnlichen Branche kommen. Fakt ist, dass wir im Zeitalter der Fiktion und der virtuellen Realitäten mit diesen Phänomenen leben müssen.
Dr. Franz Witzeling: Psychologe und Soziologe