Der Sparer sieht sich in einem Dilemma: Einerseits wird er zum Opfer einer eigentumsfeindlichen Politik der „finanziellen Repression", die nicht nur risikolose Zinserträge verunmöglicht, sondern sogar an die Substanz geht. Anderseits erhebt sich – angesichts weltweit zunehmender Unsicherheiten – die schwer zu beantwortende Frage nach sinnvollen Alternativen zu Sparbuch und Festgeld.
Welches sind die Gefahren, die dem Anleger gegenwärtig drohen? Gibt es „sichere Häfen", in die er sein Vermögen retten kann?
Diesem Thema ist auch das vorliegende Buch gewidmet. Im Zentrum steht die Würdigung „langer Wellen" der Konjunktur, wie sie erstmals vom russischen Ökonomen Nikolai Kondratieff beschrieben wurden. Der macht den Ausgangspunkt von Wirtschaftszyklen an Paradigmenwechseln fest – den ersten davon am Ausbruch der Französischen Revolution. Der Verlauf eines „Kondratieff-Zyklus" ist gekennzeichnet vom Aufschwung durch die Einführung neuer Technologien; dessen Nachlassen mit dem allmählichen Rückgang der Investitionen, einer darauf folgenden krisenhaften Rezession und dem Neustart durch den nächsten Paradigmenwechsel.
Der Autor meint, in jedem Fall demographische Entwicklungen als treibende Kraft hinter diesen langfristigen, 40 bis 60 Jahre laufenden, Wirtschaftszyklen am Werk zu sehen. Den größten Teil seines Buches füllt er daher mit einer beeindruckenden Sammlung einschlägiger Untersuchungen und Statistiken. Er kommt zum empirischen Befund, dass es stets eine starke Kohorte von am Anfang ihrer 20er stehenden Personen ist, die eine neue „Langwelle" auslöst. Ebenso typisch sei es, dass jeweils rund 20 Jahre später – die „Boomgeneration" steht dann am Beginn ihrer 40er – eine nach unten gerichtete Gegenbewegung zum einst aufwärts strebenden „Aufbruch" der Jungen einsetzt.
Lingnau will keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen langfristigen Konjunkturwellen und der demographischen Entwicklung beweisen, aber er zeigt eindeutige Korrelationen, die er anhand zahlreicher Beispiele illustriert. Konkretes Ergebnis dieser Betrachtungen ist seine Prognose einer demnächst von China ausgehenden Abwärtsentwicklung und die Warnung vor vermeintlich „sicheren Häfen" wie der Schweiz oder Norwegen.
Das Buch bietet zweifellos eine profunde Datenbasis im Hinblick auf internationale Bevölkerungstrends. Inwieweit diese in der Tat gut abgesicherten Daten Schlüsse zulassen, die konkret umsetzbare Anlagestrategien erlauben, sei indes dahingestellt. Zu asynchron laufen doch die „Langwellen" in den verschiedenen Wirtschaftsräumen unserer mittlerweile stark vernetzten Welt. Zu unterschiedlich wirken demographische Trends auf verschiedene Branchen.
Wer originelle, praktisch verwertbare Anlagetipps vom Autor erwartet, könnte sich herb enttäuscht sehen. Dass es in unsicheren Zeiten keine üble Idee ist, nicht sein ganzes Vermögen auf eine Karte zu setzen und auch Gold ins Anlageportfolio zu nehmen, ist ja nun wirklich keine bahnbrechend neue Erkenntnis…
Auch die Sicheren Häfen sind in Gefahr
Guido Lingnau
FBV, 2014
288 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-89879-860-3
€ 21,99,-
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.