Die Diskussion um die „Steuergerechtigkeit“ treibt gegenwärtig auf einen neuen Höhepunkt zu. Doch wie passen Steuern und Gerechtigkeit zusammen? Daniel Mitchell, Ökonom des konservativen US-Cato-Instituts, bringt es auf den Punkt, wenn er meint: „Steuern sind schlecht!“ (der nach eigenem Bekunden einzige Satz, den er auf Deutsch beherrscht). Nicht selbst über die Verwendung der Früchte seiner Arbeit entscheiden zu können; Frondienst leisten zu müssen, ohne damit einen verbrieften Anspruch auf eine konkrete Gegenleistung zu erwerben, wie das bei jedem unter Privaten abgeschlossenen Rechtsgeschäft der Fall ist, kann in der Tat nicht gut sein.
Als Steuerzahler zusehen zu müssen, wie ein Klüngel anmaßender Politschranzen und Zehntausendschaften unproduktiver Staatsschergen mühsam erwirtschaftete Einkommen und Vermögen zum Fenster hinauswerfen, ohne dagegen auch nur das Geringste tun zu können, ist in der Tat frustrierend. Das Geld geht in sinnlose Bauprojekte, ein dysfunktionales öffentliches Schulwesen, ein ineffizientes staatliches Krankheitsverwaltungssystem, eine unfähige Polizei, eine dubiose Justiz, fragwürdige militärische Abenteuer im fernen Ausland und einen beispiellos aufgeblähten öffentlichen Dienst. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Debatte um eine „gerechte“ Verteilung der Steuerlasten mutet grotesk an. Da toben etwa heftige Diskussionen darüber, ob eher die Einhebung direkter oder indirekter Steuern forciert werden sollte. Rezente Publikationen, wie „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des linken Ökonomen Thomas Piketty, beflügeln die Geschäftigkeit der Neidgenossenschaft. Diese fordert nun immer lautstärker die Einführung oder Erhöhung von Substanzsteuern auf Vermögen. Heute ist eine Steuerdebatte gar nicht mehr denkbar, in der nicht die Fiktion der „sozialen Gerechtigkeit“ beschworen wird. Das ist der wohl blödsinnigste Agitpropbegriff, der in den letzten hundert Jahren erfunden worden ist. Seine Verwirklichung soll angeblich durch die Einhebung konfiskatorischer Steuern gelingen.
In Wahrheit geht es allein um die Sicherstellung eines maximalen Steueraufkommens für den Staat und um die technischen Details zur Gestaltung der dafür nötigen Enteignungsaktionen. Was hat das mit „Steuergerechtigkeit“ zu tun? Dass Steuern einst – lange, lange ist es her - nur dazu gedient haben, zentrale Staatsaufgaben wie Sicherheit und Rechtsprechung zu finanzieren, nicht aber die Pflege von Spielwiesen linker Ideologen, scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein.
Eine Debatte über die Ausgabenseite – also darüber, welche Aufgaben dem Staat zukommen und welche nicht – findet daher gar nicht erst statt. Auf die steuerfinanzierte Fütterung von Rad-, Fußgeher- und Genderbeauftragten, Staatsjournalisten und -künstlern sowie Tausenden von Nichtsnutzen, die nichts Rechtes gelernt haben, dafür aber frech ihre großzügige Alimentierung durch den Steuerzahler fordern, sind wir längst konditioniert. Dass der Staat jede Menge Aufgaben an sich zieht, die jeder Privatbetrieb ungleich besser und preiswerter erledigen kann (hier seien nur Post, Energieproduktion und Personenbeförderung genannt), scheint niemanden zu stören.
Zur Frage der „Steuergerechtigkeit“: Das Steuersystem, so hören wir, folgt dem „Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“. „Breite Schultern sollen mehr tragen“, heißt es. Man könnte es indes auch anders formulieren: Wer, in welcher Form auch immer, etwas leistet und dafür von seinem Kunden oder Dienstgeber ein Entgelt erhält, hat zu zahlen. Wer das nicht tut, der eben nicht. Genial.
Und um die Ironie auf die Spitze zu treiben, ist der Tribut an den Staat nicht proportional zum Einkommen zu entrichten – also mit einem einheitlichen Tarif (wer x verdient, zahlt y Steuern, wer 10x verdient, zahlt 10y, was noch irgendwie plausibel wäre). Sondern das erfolgt progressiv. Was der fiskalischen Willkür die Tür sperrangelweit öffnet. Wovon man selbst nicht betroffen ist, das bürdet man nämlich – einen entsprechend fragwürdigen Charakter vorausgesetzt (und daran herrscht in der politischen Klasse kein Mangel) – mit größter Begeisterung anderen auf.
Die behauptete „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ als Basis der Steuerfestsetzung folgt keineswegs naturgesetzlichen Gegebenheiten, sondern ist willkürlich gewählt. Ebenso gut wäre auch eine Kopfsteuer zu begründen: Jeder Bürger zahlt exakt das Gleiche, weil ja schließlich auch jeder derselben Errungenschaften des Staates teilhaftig wird. Er darf beispielsweise öffentliche Straßen benutzen, gratis studieren und staatliche Gesundheitseinrichtungen in Anspruch nehmen.
Daher ist zu fragen, weshalb eine starke Bevölkerungsgruppe, (die mittlerweile beinahe die Hälfte der Einkommensbezieher umfasst) das Privileg genießt, die Kosten der Staatsführung großteils anderen aufzubürden und selbst lediglich als Empfänger von Transferleistungen in Erscheinung zu treten?
Die Debatte um die Gewichtung der einzelnen Steuerarten (Umsatzsteuern, Lohn- und Einkommensteuern und Vermögenssteuern) dient – wie der Mythos der „Steuergerechtigkeit“ überhaupt – lediglich der Ablenkung von der grundsätzlichen Frage der Rechtmäßigkeit der Besteuerung. Steuern werden und wurden nämlich zu keiner Zeit je auf Grund des Rechts, sondern stets und ausschließlich auf Basis nackter Gewalt (oder der Androhung von Gewalt) erhoben. Oder wurde jemals jemand entdeckt, der tatsächlich freiwillig Steuern zahlt?
Weshalb wohl schallt der Ruf nach dem „Kampf gegen die Steuerhinterziehung“ und für die „Austrocknung von Steueroasen“ stets aus der immer gleichen (linken) Ecke? Von Seiten auf der freien Wildbahn des Marktes tätiger Bürger, gleich ob selbständig oder unselbständig, werden derlei Forderungen niemals erhoben. Parolen dieser Art werden ausschließlich von Bewohnern geschützter Werkstätten skandiert. Diese – und das ist der Clou – zahlen nun einmal keine Steuern, sondern sie leben davon. Und zwar mehrheitlich zu 100 Prozent!
Das egoistische Bemühen um die eigene Vollkaskoversorgung durch andere ist es, die sie zur Forderung nach der Eintreibung möglichst hoher Steuern motiviert. Denn die Gehälter von Politikern, Beamten, Kammermitarbeitern und anderen im Dunstkreis des Staates Tätigen werden – ebenso wie deren Beiträge zur Sozialversicherung und ihre (fiktiven) Lohnsteuern – von den unter zunehmend härter werdenden Wettbewerbsbedingungen Beschäftigten in der Privatwirtschaft bezahlt.
Es handelt sich hier um ein Phänomen, das der deutsche Soziologe und Nationalökonom Franz Oppenheimer in seinem Buch „Der Staat“ schon vor rund 100 Jahren eindrucksvoll beschrieben hat. Er kommt zu folgendem Schluss: Der Staat ist und war immer das Ergebnis aggressiver Gewalt, Eroberung und Plünderung. Die Sicherung seiner Existenz erfolgte stets durch die massive Ausbeutung und Unterdrückung der Gesellschaft und ihrer Mitglieder.
Nach Oppenheimer gibt es genau zwei Möglichkeiten, Einkommen zu generieren: Einerseits das wirtschaftliche Mittel, also Produktion und Handel; andererseits das politische Mittel oder, weniger euphemistisch ausgedrückt, den Raub – die zwangsweise Erhebung von Tributen – also Steuern.
Steuern spalten die Gesellschaft, weil es in ihrer Natur liegt, zwei Klassen von Menschen zu schaffen: Von Steuern lebende Obertanen auf der einen und von diesen ausgeplünderte Untertanen auf der anderen Seite. Während erstere sich in der komfortablen Position befinden, keinerlei Leistung erbringen zu müssen, für die ein bei klarem Verstand befindlicher Mensch aus freien Stücken auch nur einen müden Cent ausgeben würde, haben letztere für ihr Einkommen Leistungen anzubieten, für die andere freiwillig bezahlen.
Das tun diese natürlich nur dann, wenn sie meinen, daraus einen Nutzen ziehen zu können. Mehr noch: Nicht nur, dass die vom Staat erbrachten Leistungen, wie die jedes Monopolisten, ebenso minderwertig ausfallen, wie sie überteuert sind, kann der Staat seine wehrlosen Insassen zu allem Überfluss auch noch zu deren Kauf zwingen (man denke nur an den Zwang zum Anschluss an Strom-, Wasserleitungs- und Kanalnetze). Ohne sich mit diesem Umstand auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen, wird ungerührt über „Steuergerechtigkeit“ disputiert. Was für eine Farce!
Karl Marx lag mit seiner Theorie des Klassenkampfs völlig daneben. Zeitlebens hat er nie begriffen, dass Arbeiter und Unternehmer im wirklichen Leben auf derselben Seite der Barrikade stehen. Zwischen beider Interessen liegt kein Graben. Ihr beider Klassenfeind ist der Staat! Arbeitgeber wie -nehmer werden von ihm, respektive von seinen parasitär lebenden Agenten, gnadenlos ausgeplündert. Dass es so weit kommen konnte, dass heute selbst Mittelverdienern bereits mehr als die Hälfte ihres Einkommens vom unersättlichen, ständig weiter wachsenden Leviathan weg gefressen wird, ist schlicht und ergreifend schreiendes Unrecht.
Ehe nicht die Fragwürdigkeit der durch Steuern bedingten Zweiklassengesellschaft ausgiebig erörtert wird, deren Existenz an anderer Stelle (etwa bei medizinischen Dienstleistungen) stets wortreich beklagt wird, mutet die Frage nach der „Steuergerechtigkeit“ an wie blanker Hohn…
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.