Die Bildungsbegrenzungsverordnung

Sollte jemand der Meinung sein, die „Tatsachenberichte“ ab dem vierten Absatz seien übertrieben, so sei er versichert, dass es sich nur um eine Satire handelt – allerdings verdammt nah an der Realität.

Der französische Präsident Hollande wollte 2012 das Schulsystem seines Landes von Grund auf umkrempeln und damit eines seiner zentralen Wahlversprechen einlösen. Erste Details der geplanten Bildungsreform sickerten Stück für Stück an die Öffentlichkeit – etwa jenes, dass es an französischen Schulen in Frankreich selbst und rund um die Welt nie wieder Hausaufgaben geben soll. Hollandes Ankündigung veranlasste selbst den halbstaatlichen Infosender France 24 zum spöttischen Kommentar, so habe er zumindest die Herzen Millionen künftiger Wähler gewonnen – stand es doch in seiner Gunst bei den Wahlberechtigten nicht zum Besten.

Die Meldungen fielen bei Österreichs „Bildungsexperten“ auf fruchtbare Böden: Gelernt wird in der Schule, die Zeit zu Hause solle besser(!) genützt werden. Die Präsidentin des Wiener Stadtschulrats griff Hollandes Ideen auf und propagierte sie als nachahmenswert. Die Meldung passte zur Forderung des bekannten österreichischen „Bildungsexperten“ Andreas Salcher, dass nur in der Schule gelernt werden soll. Die Grünen fordern die Ganztagsschule aus den gleichen Gründen. In Österreich gibt es nach Ansicht der Grünen eine Bildungsungerechtigkeit. Kinder aus dem Bildungsbürgertum bekommen einen besseren Zugang zur Bildung als Kinder aus bildungsfernen Schichten. Diese Ungerechtigkeit müsse ein für allemal beendet werden.

Da bekanntlich weder eine Gesamtschule bis zum 14. Lebensjahr noch eine Ganztagsschule den schädlichen Einfluss eines gebildeten Elternhauses verhindern kann, kam es am 1. Jänner 2020 zu der von Bildungsgerechtigkeitsminister Salchwallner geforderten Einrichtung eines Bildungsstaatsanwaltes und einer bundesweiten Bildungspolizei als Sondereinheit der Kriminalpolizei.

In der Folge werden einige Aufsehen erregende Berichte aus dem Jahr 2024 angeführt.

Wien (apa, 8.1.2024). Der Programmierer Günter F. wurde von der Bildungspolizei bei der Bildungsstaatsanwaltschaft angezeigt, weil er ohne Bildungslizenz mit seinem Sohn und zwei weiteren Jugendlichen das Naturhistorische Museum besuchte. Die Freizeit-Bildungslizenz war Günter F. zwei Monate zuvor aberkannt worden, weil er mit jugendlichen Verwandten wiederholt unangemeldet und unerlaubt Museen besucht hatte. Günter F. hat damit ein Bildungsvergehen laut § 128 BGG (Bildungsgerechtigkeitsgesetz) begangen, was ein Jahr Freiheitsentzug zur Folge haben könnte. Die Bildungsstaatsanwaltschaft ermittelt.

Salzburg (SN, 30.1.2024). Der bekannte Unternehmer Harald P. wurde von einem beim Bluray-Verleih „Flatlevel brainshot“ verdeckt arbeitenden Agenten bei der Bildungspolizei angezeigt, weil er sich mehrmals unerlaubt naturwissenschaftliche DVDs und Blurays mit BBC-Dokumentationen ausgeborgt hatte. Wie eine Überprüfung ergab, zeigte Harald P. die Filme am Spätnachmittag seinen Kindern, darunter auch seiner dreizehnjährigen Tochter. Dreizehnjährige Besucher von Gesamtschulen dürfen nach dem Bildungsgerechtigkeitsgesetz in ihrer Freizeit keine naturwissenschaftlichen Dokumentationen ansehen. Da Harald P. bereits einschlägig vorbestraft ist, wird diesmal mit einer unbedingten Haftstrafe gerechnet.

Bregenz (VN, 11.4.2024). Der AHS-Professor Friedrich M. wurde von der Bildungspolizei nach einer anonymen Anzeige verhaftet. Friedrich M. hatte in einer 8. Klasse seines Gymnasiums auf Ersuchen des Klassensprechers illegal die Differential- und Integralrechnung gelehrt. Das Unterrichten der Methoden der Infinitesimalrechnung ist laut Bildungsbegrenzungsverordnung aus dem Jahr 2020 strengstens verboten. Der Klassensprecher wurde nach einer ersten Einvernahme auf freiem Fuß angezeigt. Prof. Friedrich M. wird des Bildungsverbrechens der „Überschreitung der Bildungsgerechtigkeitsrichtlinien unter erschwerten Umständen“ angeklagt. Es drohen ihm bis zu drei Jahre Haftstrafe.

Linz (OÖN, 30.6.2024). Nachdem bekannt geworden war, dass bei einer Festveranstaltung der Volkshochschule Gallneukirchen der Volkshochschuldirektor Wolfgang T. einen nicht genehmigten Vortrag über die Bedeutung der lateinischen Sprache für den Deutschunterricht gehalten hatte und bei diesem Vortrag auch zwölf- und dreizehnjährige Schüler anwesend waren, wurde die Volkshochschule Gallneukirchen von der Bildungspolizei geräumt. Direktor Wolfgang T. wurde vorläufig festgenommen, später auf freiem Fuß angezeigt.

Innsbruck (TT, 25.10.2024). Univ. Prof. Manfred H. wollte im Rahmen eines „Wissenschaftlichen Abends“ einer Studentenverbindung über „Bildungspolitik und Bildungsinhalte in den USA des 20. Jahrhunderts“ referieren, wurde aber von einer Studentengruppe, die sich „VvVBv“ („Verbot von Verbindungen und anderen Bildungsverbrechern“) nennen, am Betreten des Verbindungslokals gehindert. Bildungsgerechtigkeitsminister Salchwallner wollte schon 2018 alle von Vereinen organisierten Bildungsveranstaltungen verbieten lassen, scheiterte aber nach einer Klage an einem Urteil des Verfassungsgerichtshofes. Nach einigen Wortgefechten gelang es den Mitgliedern der Studentenverbindungen die für mehr Bildungsbegrenzung kämpfenden linken Studentengruppen mit Bierkrügen und Säbeln zu vertreiben. Bildungsgerechtigkeitsminister Salchwallner nannte das Vorgehen einen brutalen und faschistoiden Akt und kündigte Konsequenzen an. Es kann laut Meinung des Ministers nicht geduldet werden, dass sich demokratisch fragwürdige Verbindungen und Vereine auf Kosten sozial schwacher Bevölkerungsgruppen illegal Bildung aneignen.

Mag. Dr. Rudolf Öller ist gebürtiger Oberösterreicher und promovierter Genetiker. Er unterrichtete in Vorarlberg an einem Gymnasium und einer BHS naturwissenschaftliche Fächer und Informatik. Nebenberuflich ist er freier Journalist, Rettungssanitäter und Lehrbeauftragter des Roten Kreuzes.

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