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Krieg: Wozu er gut ist

Heraklit sieht im Krieg den „Vater aller Dinge". Clausewitz eine „Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln". Hobbes erblickt in seinem Leviathan jene Kraft, die dem „Kampf aller gegen alle" ein Ende setzt und gewaltsam zum Frieden zwingt. Stanford-Historiker Ian Morris identifiziert ihn paradoxerweise als den eigentlichen, den wahren Friedensstifter auf Erden und meint im Krieg jenes Phänomen zu erkennen, das den Leviathan erst in die Welt setzt…

Der Übergang vom nomadischen Leben zur Sesshaftigkeit bringt, durch die damit verbundene Landbindung („Caging") völlig neue Bedrohungen mit sich. Wer die Früchte seines Feldes selbst ernten und nicht zusehen will, wie benachbarte Räuber sie ihm stehlen, muss wohl oder übel (wehrhafte) Wächter unterhalten. Je größer die bestellten Flächen, je wertvoller die potentielle Beute, desto zahlreicher die räuberischen Feinde.

Die „produktive Kraft" des Krieges liege nach Morris nun darin, dass ihm eine Tendenz zur Schaffung größerer Einheiten innewohne. In jedem Fall trifft es jedenfalls zu, dass der Leviathan durch den Krieg stärker wird – jedenfalls im Inneren. Nichts schart die Bürger zuverlässiger um seine Fahne, als der Kampf gegen einen äußeren Feind.

Der zunächst „mobile Bandit", der rücksichtslos raubend, sengend und mordend übers Land zieht, und nur an einem einzigen Coup interessiert ist, weicht nach und nach dem „stationären Banditen" (Mancur Olson), der seine Opfer am Leben lässt und ihnen weniger raubt, als sie zum schieren Überleben benötigen. Denn ihm liegt daran, sie dauerhaft auszuplündern, was den Einsatz nackter Gewalt reduziert.

Die Rivalität benachbarter stationärer Banditen führt zu „produktiven Kriegen", an deren Ende eben nicht die Auslöschung der unterlegenen Partei, sondern deren Integration ins Imperium des Siegers steht. Die Zahl der gewaltsam zu Tode kommenden Menschen sinkt, je größer die verbleibenden Einheiten werden. Sterben in der Steinzeit etwa 20 Prozent und im Mittelalter zehn Prozent der Menschen eines gewaltsamen Todes, so sind es im durch zwei Weltkriege geschlagenen 20. Jahrhundert nur noch ein Prozent. Der Clou: „Produktive Kriege" führen am Ende nicht nur zu mehr Sicherheit, sondern auch zu mehr Wohlstand – und zwar langfristig auch für die Verliererseite.

Der zentral regierte Weltstaat ist – nach Morris’ Vorstellung – das anzustrebende, den ewigen Frieden garantierende Ideal. Dass das Beispiel der – dank anmaßender Integrationsbemühungen – in ihre schlimmste Krise geratenen EU die Grenzen der Integration aufzeigt; dass nach Etablierung eines zentralistischen Weltstaates Kriege eben „Aufstände" genannt würden, nimmt der Autor nicht zur Kenntnis. Dass die „unsichtbare Hand des Marktes" (A. Smith) einer „unsichtbaren Faust des Leviathans" bedarf, um wirksam zu werden, ist eine bloße Behauptung, die jeder stichhaltigen Begründung ermangelt. In seiner „gewaltfreien", mechanistisch-technokratisch funktionierenden Welt ist keinerlei Platz für die Freiheit. Menschen agieren indes weder wie Insekten noch wie Automaten. Dass die Utopie des von Morris gewünschten, weltumspannenden, von ebenso weisen wie bürokratischen Gewalttätern regierten Termitenstaates tatsächlich dereinst das Ende der Geschichte markieren könnte, erscheint daher (Gottlob!) unwahrscheinlich.

Die provokanten Thesen des Autors sind brutale Schläge ins Gesicht all derjenigen, die der Anwendung initiierter Gewalt (nicht der Fähigkeit zur Selbstverteidigung!) grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Sie fordern allerdings zum Nachdenken und zur Überprüfung der eigenen Argumente heraus. Darin liegt wohl der größte Nutzen des vorliegenden Buches.

Krieg/Wozu er gut ist
Ian Morris
Campus Verlag 2013
527 Seiten, gebunden
ISBN 978–3–593-39716-0
€ 26,99,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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