Das Ergebnis der Entlastung der Schüler

Wir besuchten einst unsere Schulen an zwei Drittel aller Tage im Jahr. Wir hatten keine Semester, sondern Trimester und der Schulbesuch an Samstagen war selbstverständlich. Semesterferien, Herbstferien oder „Zwickeltage“ gab es nicht, auch keine Projekttage. Es gab Wandertage und Skikurse. Prüfungen wurden nicht angesagt, wir mussten also immer vorbereitet sein.

Es gab Lehrer, die akzeptierten „freiwillige“ Prüfungen, was dazu führte, dass wir Schüler uns untereinander absprachen. Das wiederum hatte tatsächlich ein paar Erleichterungen in zwei, drei Fächern zur Folge und stärkte die Klassengemeinschaft.

Seither ist viel zum Wohle der Schüler geschehen. Es gab mehrere Wellen von „Entlastungen“. Sie waren eine Folge der „Verrechtlichung“ der Schulen, die wir dem ehemaligen Unterrichtsminister Fred Sinowatz verdanken. Aus den Trimestern wurden inzwischen Semester, Prüfungen müssen angekündigt werden und nach zwei schulfreien Tagen darf es keine Schularbeiten geben. Das sind nur einige wenige Beispiele der permanenten Schülerentlastung.

Die nachhaltigsten Änderungen gab es beim Verhältnis zwischen Schulzeit und Freizeit. Es wurden „Energieferien“ eingeführt, sie heißen heute „Semesterferien“. Der Samstag wurde unterrichtsfrei, das führte wiederum zu einer Flut von schulfreien „Zwickeltagen“ wie zum Beispiel nach Christi Himmelfahrt und Fronleichnam. Da wegen der möglichen Noteneinsprüche die Jahresschlusskonferenzen sehr früh abgehalten werden, müssen die letzten zehn Tage im Schuljahr halt irgendwie, aber bitte ohne jeden Stress, durchgenudelt werden.

Wer sich die Mühe macht, die Tage einzeln zu zählen, an denen heute ein Schüler physisch die Schule besucht, erlebt eine Überraschung. Je nach Lage der Zwickeltage und unter Berücksichtigung der Projekt-, Sport-, Ski- und sonstigen Wochen kommt man im Extremfall auf 45 Prozent, in jedem Fall aber auf weniger als 50 Prozent aller Tage im Jahr.

Das bedeutet, dass die Schüler an mehr als 50 Prozent aller Tage nicht die Schule besuchen. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass es im Laufe der Jahrzehnte zu permanenten „Entlastungen“ der Schüler gekommen ist, hat man alle Erklärungen für die von Politikern, Journalisten und Eltern beklagten Entwicklungen. Die reale Besuchszeit in der Schule wurde auf 37 Wochen zu jeweils viereinhalb Tagen ziemlich brutal zusammengequetscht. Die Nicht-Schulbesuchszeit der Schüler hat im Zeitbudget die absolute Mehrheit erreicht.

Dadurch erhielt auch der Einfluss oder auch Nicht-Einfluss des Elternhauses zeitlich die absolute Mehrheit. Der von linken Politikern und Ideologen beklagte Einfluss der Erziehungsberechtigten („In Österreich wird Bildung vererbt“) ist somit glasklar eine Folge des Bildungsabbaus.

Selbstverständlich zeigen die von Elternseite motivierten Kinder und Jugendlichen ganz andere Einstellungen zum Bildungserwerb als Kinder aus bildungsfernen Schichten, die sich tagtäglich selbst überlassen sind und ein smartphonisiertes, internetgesteuertes und redbullisiertes Dasein pflegen. Von anderen Drogen wollen wir gar nicht reden.

Unsere Kinder und Jugendlichen sind wegen der enormen Abnahme der Schulzeit nicht insgesamt schlechter geworden, sondern nur ein Teil von ihnen. Es kam zu einer fatalen Zwei Klassen-Entwicklung.

Auf der einen Seite gibt es die motivierten Kinder. Dabei muss es sich nicht notwendigerweise um Akademikerkinder handeln. Sondern es sind Kinder, um die sich die Eltern kümmern. Auf der anderen Seite finden wir die Vernachlässigten – wobei auch gebildete Eltern ihre Kinder vernachlässigen können.

Aus den erwähnten Gründen wird nun die verpflichtende Ganztagsschule propagiert. Die Ganztagsschule hat den Vorteil, dass sie den vernachlässigten Schülern einen strukturierten Tagesablauf und eventuell sogar ein warmes und gesundes (McDonald-freies) Mittagessen ermöglicht. An der Gesamtsituation kann die Ganztagsschule aber nichts ändern, denn die seit Jahrzehnten andauernden „Entlastungen“ werden dadurch nicht rückgängig gemacht. Auch die geringe Zahl der Schultage ändert sich nicht.

Zusätzlich ist zu bedenken, dass Schüler heute schon an mindestens zwei Nachmittagen pro Woche Unterricht haben. Eine Ganztagsschule würde den Schulbetrieb also nur um zwei Halbtage verlängern, denn ein Unterricht am Freitagnachmittag scheitert nicht selten am Widerstand der Eltern und Schüler.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber simple Strukturveränderungen können in dieser verfahrenen Situation nicht das Geringste bewirken, egal ob man Mittelschulen, Seitenschulen, gemeinsame Schulen, Blunzenbergerschulen oder Gurkentalerschulen forderte. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum uns tagtäglich eine längst hilflos klingende Kakophonie an Wortmeldungen durch „Bildungsexperten“ um unsere armen Ohren geschlagen wird.

Viele (nicht alle) wissen, wo die wahren Probleme liegen, doch keiner getraut sich, die Wahrheit zu sagen, daher wird ein ablenkendes Getöse veranstaltet und die angeblich so bösen „Blockierer“ beinahe schon täglich beschimpft.

Auch der jüngste Vorschlag der Unterrichtsministerin, die 50 Minuten-Unterrichtseinheiten abzuschaffen, ist ja irgendwie süß und lieb und progressiv, bewirkte aber nichts außer eine weitere Verschlimmerung der durch Dilettantismus längst hervorgerufenen Verwirrungen.

Mag. Dr. Rudolf Öller hat an einem öffentlichen Gymnasium und einem Privatgymnasium Biologie, Physik, Chemie und Informatik unterrichtet. Er ist promovierter Genetiker der Universität Tübingen und ehrenamtlich Rettungssanitäter und Lehrbeauftragter des Roten Kreuzes.

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