Nie zuvor hat ein wirtschaftswissenschaftliches Werk wie „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ aus der Feder des Ökonomen Thomas Piketty derart breite Aufmerksamkeit erfahren. Während etwa Keynes „General Theory“ ausschließlich beim Fachpublikum und der politischen Klasse Beachtung fand, stößt das Elaborat des linken Franzosen (der seit vielen Jahren als Berater der sozialistischen Partei Frankreichs in Wirtschaftsfragen fungiert) auf breites Interesse des Laienpublikums – namentlich dem aus den Reihen hauptberuflicher Neidgenossen. Viele Intellektuelle, Gewerkschafter und andere um eine „gerechte“ Einkommens- und Vermögensverteilung bemühte Zeitgenossen zeigen sich geradezu entzückt.
Piketty hat – genau zum richtigen Zeitpunkt – mit seiner vermeintlichen „Weltformel“ r > g (Kapitalrendite > Wirtschaftswachstum) unzweifelhaft einen Nerv getroffen. Die gebetsmühlenartig wiederholte Geschichte von der sich öffnenden Kluft zwischen Arm und Reich erhält damit – scheinbar – ein wissenschaftliches Fundament. Mit der aus seinen empirischen Beobachtungen abgeleiteten Forderung nach noch mehr staatlicher Umverteilung, einer stärkeren Einkommensteuerprogression und Substanzsteuern auf Vermögen, liefert Piketty den Sozialisten in allen Parteien exakt ihre Argumente.
Mit diesen Argumenten trachten sie ihre niemals erlahmenden Klassenkampfphantasien zu begründen: Ohne massive staatliche Eingriffe in private Eigentumsverhältnisse drohe in unserer Zeit einer anhaltenden Wirtschaftskrise nicht nur eine Erosion des geheiligten Wohlfahrtsstaates, sondern am Ende gar der Demokratie selbst.
Ein geradezu erschreckendes Szenario! Gleichviel, betont der Autor, kein Marxist zu sein (die Wahl des Buchtitels, der sich an Karl Marx 1867 erschienenen ersten Band der Prosadichtung „Das Kapital“ anlehnt, ist vermutlich reiner Zufall). Ist es Pikettys Ehrgeiz, zum neuen Marx mit einer besseren Datenbasis zu avancieren?
Dem Autor gebricht es nicht an Ambition. Er schlägt einen Bogen von der Zeit Christi bis in unsere Tage. Da verlässliche Wirtschaftsdaten bis ins Jahr 1700 indes weitgehend fehlen, werden diese großzügig von ihm geschätzt. So setzt er zum Beispiel die Kapitalrendite der Jahre 0 – 1700 mit 4,5 Prozent an.
Dass der Autor all seine Betrachtungen anstellt, ohne dabei die Rolle des Staates zu berücksichtigen (so findet etwa die Verteilungswirkung von Steuern keinerlei Beachtung), erweist sich – im Sinne der von ihm geforderten „sozialen Gerechtigkeit“ – als sehr geschickt. Auch seine Konzentration auf nominale Vermögenswerte, unter völliger Vernachlässigung der Wirkung einer inflationistischen (staatlichen!) Geldpolitik, fügt sich bestens in das angestrebte Ziel, weiter in Richtung einer staatlich gelenkten Planwirtschaft voranzuschreiten.
Zu den ersten fachkundigen Kritikern des Buches zählt der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn, der (wie auch andere Experten) die Gültigkeit von Pikettys „Weltformel“ rundweg bestreitet. Sinn betont, „…dass eine jede wachsende Größe auf die Dauer nur mit der Rate wachsen kann, mit der auch ihr Zuwachs wächst.“ Langfristig gelte daher: r = g.
Die durch das Buch angestoßene Debatte steht erst an Anfang. Alle Freisinnigen, Liberalen und Gegner eines allmächtigen Staates sind gefordert, sich nach Kräften daran zu beteiligen!
Alles, was Sie über Das Kapital im 21. Jahrhundert von Thomas Piketty wissen müssen
Ulrich Horstmann
Finanzbuchverlag 2014
ISBN 978-3-89879-884-6
109 Seiten, broschiert
€ 6,99,-
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.