Nachdem auf der Facebook-Seite des Außenministers im Gefolge eines Friedensappells an die Parteien des Nahostkonflikts antisemitische Kommentare gepostet worden waren, soll es im Herbst auf Initiative der ÖVP einen „Gipfel gegen Verhetzung“ geben. An diesem nehmen neben dem Außen-, dem Justiz- und der Innenministerin auch Vertreter der Religionsgemeinschaften teil. Als ein mögliches Resultat dieses „Gipfels“ wird eine Verschärfung des „Verhetzungs“-Paragraphen § 283 StGB genannt, obwohl dessen Tatbestände erst 2012 massiv erweitert worden waren.
Ein solcher „Gipfel“ im Vorfeld strafrechtlicher Novellen ist nicht neu: Aus einer ähnlichen Begegnung heraus wurde anno 1992 der „Auschwitzlüge“-Paragraph § 3h Verbotsgesetz kreiert sowie durch die Herabsetzung der Strafuntergrenze eine seitdem sprunghafte und bis heute ungebrochene Anwendung des sehr weitgefassten und aus grundrechtlicher Sicht zweifellos problematischen § 3g Verbotsgesetz ermöglicht.
Dies lässt auch für einen künftigen „Gipfel“ nichts Gutes erahnen, bedenkt man etwa, dass der Evangelische Oberkirchenrat in einer Erklärung vom 9. März 2010 wörtlich festhielt: „Das Verbotsgesetz zu relativieren ist nicht eine Frage der Meinungsfreiheit, sondern die Leugnung historischer Fakten. Diese Haltung stellt dadurch einen Angriff auf unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und alle anderen Opfer dar und ist mit der Kandidatur für und der Übernahme von politischen Funktionen unvereinbar.“ Kein Wunder, dass es auch für Kritik am Verbotsgesetz bereits Verurteilungen nach ebendemselben gegeben hat. Worin indes eine besondere Kompetenz von Religionsvertretern auf dem Gebiet des Strafrechts liegen soll, wäre eigentlich zu hinterfragen.
Doch kehren wir zum aktuellen Anlassfall zurück: Welche Änderungen des § 283 StGB konkret vorschweben, war keinem Medium zu entnehmen. Selbst die Frage, was denn eigentlich gepostet wurde, um sich ein konkreteres Bild machen zu können, gestaltete sich als schwierig. Ist das Gepostete so unsagbar, dass es nicht berichtet werden kann? Oder handelt es sich am Ende (teils) gar nicht um Antisemitismus im engeren Sinn?
Die gängige versuchte Gleichsetzung von Israelkritik, Antizionismus und Antisemitismus kann diesbezüglich für Skepsis sorgen. Auch ging aus der Berichterstattung nicht hervor, ob es „rechte“ oder nicht etwa (auch) islamistisch motivierte Poster waren, die für den Eklat sorgten. Ist eine breitere Meinungsbildung in all diesen Belangen nicht erwünscht?
Erst nach längerer Recherche wurde der Verfasser fündig: „Du mieser Hund du!!!! Du wirs[t] ewig in der Hölle brennen!!!“ (Doch wer ist hier eigentlich angesprochen? Sebastian Kurz?) Und: „Wir sollten alle in den 2. bezirk ma[r]schieren wo es am meisten juden gibt!“
Hierbei handelt es sich allerdings weder um einen konkretisierten Aufruf noch dezidiert um einen solchen zu Gewalt. Theoretisch könnte auch an die Wahl eines Ortes einer angemeldeten Demonstration betreffend die Nahostpolitik gedacht sein. Für das Außenamt gewiss unangenehm – doch wollte man derartige Postings hinkünftig durch § 283 StGB erfassen, wird dieser zu einem Gummiparagraphen par excellence, der jenen Hass erst zu schaffen geeignet ist, den zu bekämpfen er vorgibt.
Glücklicherweise schweben dem Justizminister (immerhin einem Strafrechtler) überwiegend Präventionsmaßnahmen vor. Die beste Präventionsmaßnahme sei sogleich vorgeschlagen: Müssen Regierungsmitglieder, muss speziell der Außenminister, der für die internationale Reputation der Republik in besonderer Weise verantwortlich zeichnet, denn überhaupt eine Facebook-Seite betreiben, um als „Herausgeber“ schon stilistisch peinlicher Emanationen zu fungieren? Sebastian Kurz hat zweifellos richtig reagiert, sofort die Flucht nach vorne angetreten und das Konvolut der Staatsanwaltschaft übergeben. Doch noch besser wäre es gewesen, wenn Kurz in seiner derzeitigen Funktion erst gar keine (wenigstens keine persönliche) Facebook-Seite betreibt.
Für seine echten Freunde braucht es eine solche Seite nicht. Und in sozialen Medien mit dem Außenminister höchstpersönlich „befreundet“ zu sein (oder jedenfalls zu kommunizieren), überwindet keine Distanz von Staat und Bürger. Sie ist vielmehr geeignet, einen illusionären Schein von Partizipation hervorzubringen, dessen Platzen die rechtsstaatliche repräsentativ-demokratische Ordnung eher gefährden kann als der Inhalt dümmlicher Postings.
Auf einer peripheren Webseite wären diese gar nicht wahrgenommen worden. So wie der Stammtisch eines Wirtshauses (den „soziale Medien“ ja vielfach beerben) per se keine große Reichweite hat. Und dennoch hat er die „psychohygienisch“ wichtige Funktion, auch unter der Gürtellinie „Dampf ablassen“ zu können. Die Regierung sollte besser dem Wirtshaussterben den Kampf ansagen, anstatt unter dem Diktat angeblicher Notwendigkeiten zeitgemäßer PR die Meinungsfreiheit zu Grabe zu tragen.
Dr. Wilfried Grießer (geboren 1973 in Wien) ist Philosoph und Autor des Buches „Verurteilte Sprache. Zur Dialektik des politischen Strafrechts in Europa“ (Peter Lang, Frankfurt am Main 2012).