Um es in der Multikulti-Zeitgeistsprache auszudrücken: „Was geht ab?“, wenn der türkische Ministerpräsident und der junge österreichische Außenminister politische Parolen als Botschaften austauschen. Säkularisierter Orient mit nationalem Selbstbewusstsein trifft auf ein neutrales Land und dessen jungen ambitionierten Außenminister im Okzident, welcher über das Bemühen um die europäische Integration nach einer Identität sucht, die Toleranz und Respekt gegenüber Zuwanderern zum politischen Programm gemacht hat.
Die Politik wird immer mehr zum Show-Akt, wenn man die Veranstaltungen verfolgt, die der türkische Ministerpräsident in Deutschland und Österreich durchführen lässt. Vieles, was da wirklich geschieht, wird uns über die Medien übermittelt, wobei die wahre politische Bedeutung solcher Inszenierungen stark symbolisch zu deuten ist. Zum politischen Handwerk gehört es, sich Aufmerksamkeit und strategische Vorteile zu verschaffen.
Gegendemonstrationen zu Großveranstaltungen gehören inzwischen zum bekannten politischen Ritual. Neu sind derartige Großveranstaltungen auf fremdem Boden, wo es ja um Identität, Integration oder Assimilation von Zuwanderern der inzwischen dritten Generation von Türken geht. Man erinnert sich an die Diskussionen und Kontroversen um den geplanten EU-Beitritt der Türkei. Inzwischen ist das Interesse an einer Mitgliedschaft der Türkei wegen der veränderten politischen Rahmenbedingungen geschwunden.
Das Selbstbewusstsein der jüngsten Generation der damals ins Land gebetenen Gastarbeiter ist groß. Sie sind inzwischen qualifizierte Arbeitnehmer und erfolgreiche Unternehmer. Damit sind nicht die zahlreichen Dönerbuden gemeint, die auch als kulinarischer Kulturaustausch und Zentren der Kommunikation im Sinne der Integration dienen. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Disput zwischen Minister Kurz und Präsident Erdogan?
Es sind auf alle Fälle zwei politische und soziokulturelle Antipoden, wie sie nicht besser ins Bild passen könnten. Erdogan ist eine charismatisch verehrte Vaterfigur, die in breiten Schichten der türkischen Bevölkerung die Autorität darstellt und der man unbedingten Respekt zollt. Sebastian Kurz ist ein junger Minister auf dem Weg zu höheren politischen Weihen und Zielen, der den politischen Patriarchen mit den Worten: „Das brauchen wir nicht!" maßregelt.
Was Kurz nicht will und braucht, hat er laut seiner Aussage im direkten Gespräch Herrn Erdogan selbst gesagt. Wenn man die Wirkung der medial überzeichneten Begegnung deuten will, dann könnte einem der Spruch: „Der Berg kreisst und gebiert eine Maus" einfallen. wobei dieser Spruch im Kern seiner Aussage für die Politik generell eine besondere Bedeutung hat. All das, was im Zusammenhang mit der Konfrontation zwischen Erdogan und Kurz assoziiert wird, kann als von beiden Seiten politisch genutzter Sturm im Wasserglas gesehen werden.
Wenn Kurz für das Christentum als Verteidiger des Abendlandes steht und Erdogan für den Islam, dann ist der Vergleich mit der historischen Türkenbelagerung im Zusammenhang mit dem Auftritt Erdogans in Österreich nicht weit hergeholt. Die Realität ist, dass die türkischen Mitbürger inzwischen nicht nur ob der zahlreichen Döner-Imbiss-Stuben ein Teil unseres österreichischen Kulturspektrums sind.
Dr. Franz Witzeling – Psychologe und Soziologe