Mehr als zwei Drittel der Österreicher treten Umfragen zufolge zusammen mit der SPÖ und den meisten „Leitmedien“ des Landes für die Finanzierung einer Lohn- und Einkommensteuersenkung durch vermögensbezogene Steuern ein. Es ist zu erwarten, dass der Druck auf die ÖVP, die in der Ablehnung solcher Steuern so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal hat, steigen wird und die ÖVP (etwa nach weiteren Verlusten im urbanen Raum) zumindest der Wiedereinführung einer Schenkungs- und Erbschaftssteuer zustimmen könnte. Allzu oft zog man in dieser Partei nach Wahlniederlagen zuletzt den Schluss, nicht „kantiger“, sondern sozialdemokratischer sein zu müssen.
Vor diesem Hintergrund gilt es, einige Dinge ins rechte Licht zu rücken: Allen muss klar sein, dass es beim Ruf nach einer Steuerreform nicht um eine Entlastung des vielzitierten „kleinen Mannes“ geht. Denn dieser zahlt in den meisten Fällen gar keine Lohn- und Einkommensteuer mehr. (Was man angesichts eines „Wer zahlt, schafft an“ hinterfragen kann: Auch als Geringverdiener einen Beitrag zum Lohn- und Einkommensteueraufkommen zu leisten, sichert die Partizipation am Staatswesen und damit den selbstbewussten Bürger, der sich mit seinem Staat identifiziert.)
Auch muss klar sein, dass der hohe Eingangssteuersatz der zurückliegenden Entlastung kleiner Einkommen geschuldet ist: Wenn man eine am Fuß eines Hanges verlaufende Straße zu einer sechsspurigen Autobahn ausbaut und hierzu den Hang abträgt, wird der Anstieg unmittelbar neben der Autobahn naturgemäß steiler. Der derzeitige Eingangssteuersatz greift später als der niedrigere es tun wird.
Senkt man den Steuersatz um 10 bis 15 Prozent, werden für die davon Profitierenden Mittel frei, die in der Tat den Konsum beleben könnten. Alleine, mit dem gewonnenen Geld in überschaubaren Zeiträumen auch nur eine Eigentumswohnung anschaffen zu können, bleibt illusorisch. Wer über kein Wohnungseigentum verfügt und schon aufgrund der Miete nichts zur Seite legen kann, wird selbst bei Null Prozent Einkommensteuer aus eigener Kraft keine Immobilie finanzieren können.
Dies liegt weniger an der Steuerprogression als an den gegenwärtigen Dienstverträgen und Gehaltsperspektiven. Hierin scheint mir der unausgesprochene Kern der aktuellen Debatte zu liegen: Erstmals wächst eine Generation heran, die in ihrer wirtschaftlichen wie Karriereperspektive hinter der Elterngeneration zurückbleibt. Dies sorgt für Neid, der sich politisch bestens bedienen lässt.
Da tut es nichts zur Sache, wenn eine realistisch zu beschließende Vermögenssteuer zur Gegenfinanzierung einer Einkommensteuersenkung nicht annähernd ausreicht. Wenn Andere keine Miete zahlen, sei es nur „gerecht“, wenn man ihnen Vermögenssteuern aufbrummt oder wenn sie das Haus der Eltern, in dem sie oftmals längst mit einer eigenen Familie leben, dereinst verlassen müssen, weil auch sie das Geld für die Erbschaftssteuer nicht zur Seite legen konnten. Warum soll es anderen besser gehen dürfen?
Bei so viel „Gerechtigkeit“ kann man über manche Widersprüche hinwegsehen: Etwa den, dass die SPÖ, die sich die Überwindung des Feudalsystems zuschreibt, den Staat zum „Lehens-“ und eigentlichen Grundherrn macht. Dass schon die Erwartung einer künftigen Steuer die Bereitschaft zur Investition in betroffene Immobilien (wie überhaupt zum Konsum) senken wird.
Oder dass hohe Vermögenssteuern nicht zur „gerechteren“ Verteilung, sondern zur verstärkten Konzentration von Vermögenswerten führen werden: Die Enteignung des Einen ist nicht die Immobilie des Anderen, sondern etwa jener Klientel, die man die „Neuen Russen“ nannte. (Oder auch staatsnaher Banken, Versicherungen und Wohnbaugenossenschaften.)
Hinweggesehen wird auch darüber, dass viele Faktoren, die Immobilienpreise in die Höhe treiben, für Grundbesitzer überhaupt nicht beeinflussbar sind. Was beim Einkommen nicht in diesem Ausmaß der Fall ist. Zu diesen Faktoren zählt die Inflation – womit sich die „kalte Progression“, bloß auf einem anderen Feld, erneuert.
Die journalistischen Einpeitscher der „Gerechtigkeit“ kümmert dies freilich wenig, handelt es sich doch bei diesem Berufsstand meist um gut verdienende Kinderlose (die von der Absetzbarkeit der Kinderbetreuung nicht profitieren). Vermögenssteuern stellen für dieses berufsbedingt mobile und an keine bestimmte Immobilie emotional gebundene Segment keine Bedrohung dar: Sind die Steuern zu hoch, verkauft man die Immobilie kurzerhand.
Dr. Wilfried Grießer (geboren 1973, verheiratet, drei Kinder) ist Philosoph, Erwachsenenbildner und Buchautor.