In letzter Zeit grassieren in konservativen Kreisen Mails, Rundschreiben, Postings und Positionspapiere, die sich in zustimmender Weise – teils sogar in frenetischem Jubel – mit dem selbst ernannten Vordenker eines neuen, imperialen Groß-Russland, Alexander Dugin, beschäftigen. Dugin gilt, wahrscheinlich zu Unrecht, als ideologisches Mastermind hinter Putin.
Er entstammt der so genannten „Nationalbolschewistischen Bewegung“ und lehrt absonderlicherweise Politologie an der ansonsten renommierten Moskauer Lomonossow-Universität. Er vertritt die Auffassung, dass der dekadent gewordene, von seinen ursprünglichen Idealen abgefallene Westen nur vor sich selbst geschützt werden kann, wenn er von Russland okkupiert und Europa zu einem Protektorat eines neuen Zarenreiches gemacht wird.
Auf diese Weise könne Russland „auf friedliche Weise“ die technologische Überlegenheit Europas zugeführt werden, das im Gegenzug in den Genuss einer dauerhaften Absicherung seines Energiebedarfes gelangen würde. Ideologisch hängt Dugin einem geradezu okkultistischen Spiritualismus an, den er als Gegenposition zu den Abgleitflächen des „Liberalismus“ in Stellung bringt.
Der Zuspruch zu einem dermaßen obskuren Konzept und die Begeisterung, die ihm aktuell auch hierzulande entgegengebracht wird, ist wohl auch auf die verbreitete Frustration über die einseitige Berichterstattung über Russland und die internationale Krise um die Katastrophe in der Ukraine zurückzuführen. Viele Menschen fragen sich seit Monaten, ob die Interessen eines US-geführten euroatlantischen Bündnisses tatsächlich mit unseren eigenen – europäischen und österreichischen – Interessen um so viel mehr übereinstimmen als die einer geordneten Form der Koexistenz und Kooperation mit Russland, dem wohl als riesigem Vielvölkerstaat eine gewisse geostrategische Hegemonialposition zugebilligt werden muss.
Und viele sind zu der Überzeugung gelangt, dass die geschundene und in ein Knäuel von Krisen verstrickte Ukraine, mit der uns kulturell und historisch so viel verbindet, von der Einmischung des Westens und den sich daraus ergebenden Folgen keineswegs profitiert hat. Tatsächlich ist es durchaus legitim zu fragen, ob die Ukraine derzeit mehr unter den Ausplünderungsversuchen des Westens und dem Versuch einer Instrumentalisierung als NATO-Vorposten einerseits oder unter der machtpolitsch perfekt ins Werk gesetzten Reaktion Putins andererseits leidet, der die Gunst der Stunde naturgemäß für seine strategischen Ziele nutzt.
Dessen ungeachtet besteht kein Anlass, sich in zustimmender Form mit den Großmachtphantasien eines Alexander Dugin zu beschäftigen oder diese gar als Inspiration für den Umgang mit der geistigen, kulturellen, politischen und ökonomischen Großkrise zu begreifen, die die europäischen Gesellschaften, darunter zweifelsfrei auch die österreichische, fest in ihren Krallen hält.
Dugin ist geistig-intellektuell nicht ernst zu nehmen, versteht von den Zusammenhängen und Funktionsmomenten der modernen Welt nichts und hat keine einzige originelle oder originäre Idee zu bieten. Die – berechtigte – Verzweiflung über den Zustand der westlichen Welt in eine russische Großmachtphantasie zu kanalisieren ist keine Leistung, die Beachtung verdienen würde. Der Mann hat keine Ahnung, warum unser Kontinent in diesem Zustand ist und kann daher nicht annähernd ermessen, welche Form von Medizin hier angebracht wäre.
Hingegen ist er politisch wahrscheinlich sehr wohl ernst zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob sein Einfluss auf Putin real besteht, übertrieben wird oder gar nicht existiert. Er greift ein bestimmtes Sentiment auf – und zwar eines, das in unterschiedlicher Form sowohl in Russland als auch in Europa existiert – und wendet es in völlig simplifizierter Form als strategische Waffe gegen die bestehende Geo-Ordnung der Welt an. Das macht ihn gefährlich, tendenziell genauso gefährlich wie die unkritische transatlantische Allianz, die er zu Recht kritisiert.
Leute wie Dugin geben all jenen Nahrung, die Russland dämonisieren und verächtlich machen und in der Frage der Großprobleme wie Ukraine, Gasstreit, NATO, US-Einfluss auf Europa usw. mit einem anti-russischen Reflex reagieren. Er und seine Sympathisanten tragen dazu bei, die Chance auf eine vernünftige Variante der Analyse der Probleme der heutigen Welt potentiell zu durchkreuzen und allen Ansätzen zu einer wahrhaft konservativen Revolution zu schaden.
Konservative und Konservativ-Liberale wären gut beraten, sich nicht in die Nähe eines Spinners zu begeben, der allen Ernstes ein Bündnis mit den Asiaten (inklusive Nordkorea) anstrebt, um die aus seiner Sicht erforderliche Kraft für eine Eroberung und Eingliederung Europas in das neo-zaristische Russland aufbauen zu können. In diesem Sinne ist auch die konspirative Zusammenkunft zu beurteilen, die neulich in einem Wiener Stadtpalais stattgefunden hat, wo Dugin als Hauptreferent und geistiger Führer aufgetreten ist – unter Teilnahme österreichischer Politiker.
Beunruhigend ist das Maß, in dem Dugin derzeit auch in Österreich Zuspruch erhält. Es ist fast gespenstisch, wie schnell die Anhängerschaft gegenüber einem neuen Guru zu grassieren beginnt. Soziologisch und kommunikationstheoretisch ist das Phänomen freilich interessant: Offenbar aus Verzweiflung über das geistige und operative Vakuum im Bereich der ersehnten Alternativen zum bestehenden System sind viele Menschen schnellstens bereit, sich einem gefährlichen Rattenfänger an den Hals zu werfen, ohne dabei die Folgen zu bedenken.
Dabei müsste ein Blick auf die Selbst-Inszenierungen dieses Mannes eigentlich reichen, um von seinem Einfluss dauerhaft geheilt zu werden. Dugin liebt es beispielsweise, sich in bombastisch ausgestatteten Auditoriums-Sälen mit esoterisch anmutender Ausstattung interviewen zu lassen oder als legitimer Nachfahre großer Gestalten aus der Philosophiegeschichte vorgestellt zu werden. Derartiges lässt tief blicken in die Seele eines Mannes, der sich für den Retter der Welt zu halten scheint.
Dugin ist wissenschaftlich ein Scharlatan und politisch eine tickende Zeitbombe. Besteht hier irgendein substantieller Unterschied zu Erdogan?
Der Autor ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie.