Die Torheit der Regierenden

Wenn sich ein Produkt als unverkäuflich entpuppt, wird es aus dem Regal genommen. Fehlerhafte Produkte werden verbessert oder zurückgerufen, wie die Autoindustrie immer wieder zeigt. Bei falschen politischen Entscheidungen geschieht oftmals nichts.

Das hat schon vor 30 Jahren die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman erkannt, die 1984 das Buch „The March of Folly“ („Die Torheit der Regierenden“) herausbrachte. Gerade die heimische Politik liefert immer wieder erstaunliche Beispiele mangelnder Lernfähigkeit oder Lernunwilligkeit.

So ist es seit vielen Jahren bei uns im Pensionsbereich, wo die demographische Bombe zwar bekannt ist, aber kein Gegensteuern erfolgt. So ist es im Gesundheitswesen, wo ständige Minireformen am Grundsatzproblem nichts ändern. So wurde die an sich schon schlimme Hypo-Alpe-Adria-Pleite zur Megakatastrophe, um nur drei Beispiele zu nennen.

Für Tuchman ist die Torheit der Regierenden dann gegeben, wenn drei Kriterien erfüllt sind: Die Unsinnigkeit einer Maßnahme muss bereits in ihrer Zeit erkannt worden sein, es muss eine praktikable Handlungsalternative gegeben haben, und der Irrweg wurde nicht von einem Individuum allein beschritten, sondern von einer Gruppe. Offensichtlich geht es um gruppendynamische Prozesse, wonach ein Irrtum – wenn er nur von genügend Entscheidungsträgern beschritten wird – nicht mehr korrigierbar erscheint, denn sonst müssten zu viele zugeben, falsch gehandelt zu haben.

Wem das zu abstrakt ist, dem kann mit einem konkreten Beispiel geholfen werden. Angesichts der budgetären Sparzwänge – vor allem auch im Bildungsbereich – muss man sich fragen, warum Österreich seit Jahren Millionen in ein erwiesenermaßen gescheitertes Projekt versenkt. Es geht um die „Neue Mittelschule“, die 2008 als Modellversuch gestartet wurde und nach Abschluss des ersten vierjährigen Durchgangs vom Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) evaluiert hätte werden sollen – was bis heute (!) nicht geschah.

Dennoch beschloss im März 2012 die Regierung die flächendeckende Einführung der NMS an den Hauptschulen. Die ÖVP hat damals – ohne Evaluierung, ohne entsprechende Grundlagen – diesem Lieblingskind der SPÖ zugestimmt. Und schon im Mai 2012 „bedankte“ sich die damalige Unterrichtsministerin Claudia Schmied, SPÖ, beim Koalitionspartner mit der starken Ansage, keine zusätzlichen Gelder für den Ausbau der AHS-Unterstufe zur Verfügung zu stellen: „Ich investiere nicht in den Ausbau von AHS-Standorten.“

In einem Bericht vom 12. Dezember 2013 stellte der Rechnungshof unter anderem fest: „Entgegen der gesetzlichen Vorgabe zur verpflichtenden wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation der NMS-Modellversuche kam es zur flächendeckenden Einführung der NMS an Hauptschulen vor Vorliegen der Evaluationsergebnisse. Eine zentrale Entscheidungsgrundlage für diese wichtige bildungspolitische Maßnahme mit weitreichenden finanziellen Auswirkungen lag nicht vor.“

Der Rechnungshof fand zwar Kosten für Evaluierungen, allerdings keine Ergebnisse! Diese wurden wohl von Frau Schmied unterdrückt, da sie offensichtlich nicht die erwünschten Resultate brachten. Und das Ministerium verstieß laut Rechnungshof nicht nur gegen das Schulorganisationsgesetz, sondern auch gegen eigene Richtlinien, als etwa in Vorarlberg „die Vorgaben für die Genehmigung der Modellversuche und erfüllte Mindestkriterien“ nicht vorlagen. Der Rechnungshof verwies weiters darauf, dass ein Schüler an der NMS pro Jahr 7.200 Euro koste, in der traditionellen Hauptschule 6.600 Euro und in der AHS-Unterstufe 4.700 Euro.

Mit 31. Jänner 2014 wurden die Ergebnisse der „Bildungsstandards Englisch achte Schulstufe“ vorgelegt, wonach die NMS-Schüler am schlechtesten(!) abgeschnitten haben. Dennoch verlangte die ÖVP wieder nicht ein Ende des teuren Irrwegs. Lediglich Landeshauptmann Wilfried Haslauer meinte in einem „Kurier“-Interview, „es müssten alle Alarmglocken läuten“, verlangte aber keinen Stopp des Irrsinns, sondern nur ein Korrekturpaket.

Dass die SPÖ ihr ideologisches Steckenpferd nicht bremsen will, ist klar, warum aber die ÖVP – trotz der vorliegenden Fakten – weiterhin diesen teuren Irrweg zulässt, bleibt schleierhaft.

Prof. Dr. Herbert Kaspar ist Chefredakteur der ACADEMIA, der Zeitschrift des österreichischen Cartellverbandes. Dieser Kommentar ist der aktuellen Februar-Ausgabe entnommen.

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