Schmierer, Kunst und Krebs

Bei Polizei wie Geschädigten galt er als Landplage: Jener Wandbeschmierer, der in den letzten zwölf Monaten unzählige Male „Puber“ auf Wiener Fassaden, Türen, Scheiben oder Tafeln gesprüht hat. Nun ging er den Fahndern endlich ins Netz. Ein „anonymer Hinweis“ habe in jene Wohngemeinschaft im 15. Bezirk geführt, wo der 29-jährige Schweizer brasilianischer Abstammung ohne Meldezettel lebte.

Der Mann hatte sich in der Sprayer- und Schmierer-Szene einen überaus aggressiven Ruf erworben und übersprühte nicht nur Konkurrenz-Produkte sondern auch eine Kindergarten-Fassade oder das Portal einer Redaktion, die kritisch über sein Schaffen berichtete. Nachdem der bisher bekannte Schaden aus 119 Anzeigen 50.000 Euro überschreitet und dringende Wiederholungsgefahr besteht, verhängte die Staatsanwaltschaft die U-Haft. Immerhin.

Denn wie immer öfter in solchen Fällen fragt man sich öffentlich nicht etwa, was einen doch nicht mehr ganz jungen Mann zu solchen – vorsichtig formuliert – pubertären Taten zwingt. Nein, selbst seriös anmutende Medien treiben sofort selbsternannte Experten auf, die dessen „Werk“ in Richtung Kunst deuten. So bot ausgerechnet das Organ der Republik Österreich, die „Wiener Zeitung“, nur einen Tag nach der Festnahme-Meldung Pubers dessen Bewunderern (die gibt es natürlich via Facebook zuhauf) ein breites Darstellungsspektrum. Eine Ex-Wirtschaftsjournalistin titelte im Kultur-Teil nostalgisch „Puber-Wien, ein New York der 70er“ und ließ einen Wiener Street-Artist und Multimedia-Künstler ausgiebig über das Phänomen Puber schwadronieren.

Da werden munter Vergleiche angestellt zwischen dem „monotonen Schriftzug im Kontext der 80er-Jahre-Ästhetik, die noch immer ein Revival bei Musik und Mode feiert – ein Ja zur Hässlichkeit“. Puber wird assoziiert mit dem Schmier-Pionier Taki 183, der in New York bereits vor mehr als 40 Jahren ähnliches zuwege brachte, und dessen Werke, etwa übermalte Straßenkarten, heute um 500 Dollar zu kaufen sind – für jene, die dafür Geld ausgeben wollen. Es gehe bei Pubers Werk um eine „klassische Art des Kommunikationsdesigns, die für den Betrachter sperriger sind als die netten elaborierten Bildgeschichten, die etwa am Donaukanal zu finden sind“, heißt es weiter im Staatsorgan.

Wie bitte? Welche Art der Kommunikation findet denn statt, wenn jemand anonym, meist ohne Bezug zum Opfer und ohne Vorwarnung, einfach fremdes Eigentum mit „Puber“ besprüht? Als Hausbesitzer oder -bewohner kann ich ihm dazu weder gratulieren noch ihn fragen, ob er verrückt ist, noch ihn dazu zwingen, es wieder abzuwaschen. Es bleiben nur ohnmächtige Wut – und gesalzene Reinigungskosten. Den ÖBB etwa rund eine Million, den Wiener Linien rund 200.000 Euro. Pro Jahr. Beide Unternehmen und auch die Polizei beschäftigen deshalb längst eigene Sondereinheiten zur Bekämpfung des „Künstler“-Wildwuchses.

Dabei wird in der Schmierer/Graffiti-Debatte (ja, Graffiti kann durchaus Kunst sein, keine Frage) ein ganz wesentlicher Aspekt gerne übersehen: der gesundheitliche. Sprühdosen sind in der Regel mit Treibgasen befüllt, die die Ozonschicht schädigen. Schlecht für die Allgemeinheit – aber das ist Egomanen wie Puber wohl wurscht. Die zerstäubten Farben sind in der Regel auf petrochemischer Basis hergestellt, mit chlorierten Kohlenwasserstoffen als Lösungsmittel. Diese gelten als hochgradig krebserregend. Wer also länger und öfter mit Sprühdosen arbeitet, kommt unweigerlich mit solchen Chemikalien über Haut und Lunge intensiv in Kontakt. Ein hoher Preis für „sperrige Kommunikation“.

Der Clou: Puber soll – zumindest laut „Wiener Zeitung“ – als Wachmann bei einer Sicherheitsfirma beschäftigt gewesen sein. Wie das ohne Meldezettel geht, sollte eine andere staatsnahe Institution dringend klären. Im Dienste der öffentlichen Sicherheit.

Werner Grotte ist 52, langjähriger Redakteur bei Kurier, ORF, Wiener Zeitung u.a., Buchautor – seit 2013 als freier Journalist tätig.

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