Zeitverschwendung Gesamtschuldiskussion

Die Debatte über die Einführung einer Gesamtschule in Österreich, egal ob regional oder großflächig, ist eine Zeitverschwendung, denn die Gesamtschule wird nicht kommen.

Zunächst wissen viele nicht, worum es geht. Die Gesamtschule wird immer noch mit einer Ganztagsschule verwechselt, wo nicht den halben, sondern den gesamten Tag unterrichtet wird. Wüsste der Großteil der Bevölkerung, worum es wirklich geht, dann kippte die Stimmung sehr schnell.

Eine Gesamtschule ist dann und nur dann eine Gesamtschule, wenn sie alternativlos ist. Die Gesamtschule, also eine Schule, die ausnahmslos alle Schüler eines bestimmten Alters besuchen, gibt es nirgendwo auf der Welt, denn sogar die öffentlichen Volksschulen haben Konkurrenz durch Privatschulen, Montessorischulen, Waldorfschulen usw. Die „gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen“ gibt es erst recht nicht.

In Vorarlberg versuchte Hanno Loewy, der Direktor des jüdischen Museums in Hohenems, die Bevölkerung in einem Kommentar der Vorarlberger Nachrichten zu beschwichtigen. Auch er habe in Deutschland eine Gesamtschule besucht und Karriere gemacht. Verschwiegen hat er dabei, dass es in Deutschland eine Gesamtschule nur dem Namen nach gibt, denn diese Schulen stehen im Wettbewerb mit den nach wie vor existierenden Gymnasien und müssen daher ein hohes Unterrichts- und Ausbildungsniveau halten. In Österreich wird aber eine Gesamtschule unter Abschaffung des klassischen Gymnasiums angestrebt.

In den echten Gesamtschulländern hat sich ein starker und teurer Privatschulsektor gebildet. In den Niederlanden betreut der private Sektor rund 77 Prozent, in Belgien 69 Prozent und in Irland 61 Prozent der Schüler. Seit den 1990er Jahren ist die Zahl der Privatschulen in Deutschland stark gestiegen. Staatliche Schulen klagen über sinkende Schülerzahlen, währenddessen statistisch gesehen jede Woche ein bis zwei Privatschulen(!) gegründet werden. So gibt es in Deutschland etwa 3000 Privatschulen, die jeder 14. Schüler besucht. Trotzdem liegt Deutschland mit seinem Anteil von acht Prozent Privatschulen unter dem europäischen Durchschnitt, doch die Tendenz ist weiterhin stark steigend. Deutschland wird nie die Zahlen von Holland und Belgien erreichen, solange die Gymnasien bestehen bleiben.

In Österreich wollen einige Politiker Modellregionen für eine Gesamtschule vom sechsten bis vierzehnten Lebensjahr einrichten. Das ist grober Unfug, wie man in Tirol sehen kann. Dort gibt es eine Modellregion, wo Schüler allerdings nach wie vor ins nächste Gymnasium pendeln können. Diese „Modellregion“ gibt es also gar nicht, es handelt sich um einen Etikettenschwindel.

Diejenigen Politiker, die zu wissen glauben, dass alle Menschen gleich sind, ahnen immerhin, dass es doch so etwas wie eine Differenzierung geben muss. Es wird daher die „innere Differenzierung“ propagiert. Gymnasiums-Unterstufe, Musikhauptschule, Öko-Mittelschule, allgemeine Sonderschule, heilpädagogische Sonderschule, Sportgymnasium usw. All das soll nun in allen Schulen als Gesamtpaket einheitlich angeboten werden. Es ist absolut sinnlos, darüber nachzudenken, wie das funktionieren soll. Das ist nicht machbar.

Einer der Gründe, warum es in Österreich keine Gesamtschule vulgo „gemeinsame Schule“ geben kann, liegt auch in der Unfähigkeit der Politik. Bis heute ist es nicht gelungen, eine sinnvolle Verwaltungsreform in Angriff zu nehmen. Unsere sündteuren Mehrgleisigkeiten bei den Behörden, die aufgeblähte und unproduktive Bürokratie, unsere Zwangsmitgliedschaften bei den viel zu vielen Krankenversicherungen, unser geradezu abartig kompliziertes Steuer- und Pensionssystem, all das wartet darauf, reformiert zu werden, doch niemand traut sich, diese Mammutprojekte in Angriff zu nehmen.

Eine Schulreform in Richtung Gesamtschule wäre noch weit komplexer. Aus der Vielfalt an bereits existierenden dutzenden verschiedenen Schulen in Österreich – die meisten von ihnen sind nichts anderes als dauerprovisorisch etablierte Schulversuche – eine einzige Schulform zu machen, wäre wesentlich schwieriger als eine Reform der Krankenversicherungen. Das ist keinem Politiker zuzutrauen, weil alle wissen, was das zur Folge hätte. Es sollte beispielsweise jemand versuchen, die Unterstufe eines Sportgymnasiums wie etwa des Schigymnasiums Saalfelden in eine Gesamtschule umzuwandeln, in die jede(r) aufgenommen werden darf. Die Folge wäre ein Aufstand.

Das größte Problem bei der Errichtung einer „Gesamtschule mit innerer Differenzierung“ ist der kommende Lehrermangel. Interne Untersuchungen der Lehrergewerkschaften haben ergeben, dass wegen der eben erst begonnenen Pensionswelle schon der momentane Schulbetrieb bis an die Belastungsgrenzen überdehnt ist. Für eine personalintensive Gesamtschule gibt es heute schon keine personellen Ressourcen mehr. Spätestens in fünf Jahren wird es in allen höheren Schulen zu Unterrichtskürzungen kommen.

Der Grund, warum diese Probleme nicht öffentlich diskutiert werden, ist einfach. Erstens liegen alle Bildungsprobleme fast ausschließlich in den Volksschulen begründet, doch die Volksschule ist als bereits existierende Gesamtschule ideologisch absolut tabu. Hier herrscht ein strenges öffentliches Rede- und Denkverbot. Ex-Ministerin Schmied hat sich während ihrer gesamten Amtszeit geweigert, über die Probleme der Volksschulen auch nur nachzudenken, geschweige denn zu sprechen.

Weder unsere „Bildungsexperten“ noch unsere Politiker kennen diese Probleme und offenen Fragen unseres Schulsystems im Detail. Jede Diskussion über die Einführung einer Gesamtschule, egal ob als Modellregion oder flächendeckend, ist daher pure Zeitverschwendung. In Österreich wird es keine einheitliche Gesamtschule geben, denn unsere Politik schafft es nicht einmal, die aller einfachsten Probleme, wie etwa die extrem unterschiedlichen Leistungen unserer Volksschulen, zu untersuchen, geschweige denn zu lösen.

Dr. Rudolf Öller war Gymnasiallehrer für Physik, Biologie und Informatik. Er ist Rettungssanitäter und Lehrbeauftragter beim Roten Kreuz und freier Journalist.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung