Gleichheit statt Ethik, Selbstverwirklichung statt Kindeswohl, Fortschrittsglaube statt Menschenwürde? Seit wenigen Tagen wissen wir also, was der Verfassungsgerichtshof über In-Vitro-Fertilisation, Samenspende und lesbische Paare denkt.
Verschiedengeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften dürfen laut dem Gerichtshof nur dann verschieden behandelt werden, wenn überzeugende und schwerwiegende Gründe vorliegen. Der Verfassungsgerichtshof konnte solche Gründe für ein Verbot der Samenspende und der IVF für lesbische Paare nicht erkennen. Die entsprechenden Stellen des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMG) wurden einfach aufgehoben, die Samenspende und die IVF damit für lesbische Paare geöffnet. Ein bioethischer Dammbruch.
Das FMG sah bisher – aus gutem Grund und nach langer und intensiver Auseinandersetzung – Folgendes vor: Wenn eine natürliche Zeugung durch ein Ehepaar (der Rahmen wurde auf zusammenlebende Lebensgefährten ausgedehnt) nicht möglich ist, darf durch medizinische Unterstützung eine Zeugung künstlich erfolgen. Grundprinzip des FMG war daher immer die „natürliche Zeugungskonstellation von Mann und Frau“. Nun hat der VfGH aber - als Collateralschaden seines jüngsten Urteils - diese Unfruchtbarkeit als Voraussetzung einfach weggewischt. Das ist eine politische Entscheidung, denn rechtlich stand diese Frage gar nicht zur Debatte.
Der VfGH hat in dieser Entscheidung nicht thematisiert, dass jedes Kind genetisch einen Vater und eine Mutter hat. Nun weiß man zwar, dass das Leben nicht immer so läuft, wie man sich das anfangs wünscht. Es werden auch ohne Fortpflanzungsmedizin Kinder gezeugt, die nicht bei ihren genetischen Eltern aufwachsen. Mit Hochachtung sei all der Alleinerziehenden, Stief- und Ersatzeltern gedacht, die mit unvergleichbarer Hingabe Großartiges für die betroffenen Kinder leisten. Aber nun werden ähnliche oder jedenfalls vergleichbare Situationen mit dem Sanctus des Gerichts von Vornherein geschaffen. Ein Vater ist einfach nicht vorgesehen, ob genetisch existent oder nicht.
Der VfGH bezieht sich in der sensiblen Materie des Kinderwunsches lediglich auf die Sicht derer, die Eltern werden wollen. Aber auch dem Wunsch des Kindes muss Platz – ja sogar Vorrang(!) – eingeräumt werden. Einen Samenspender zum Vater zu haben, ist für ein Kind immer problematisch. Die vielen Geschichten von Kindern, die ihre Väter suchen, singen davon ein Lied.
Der Samenspender hat meist nicht vor, sich mit seinem Kind auseinanderzusetzen.
Medizinisch unterstützte Fortpflanzungstechniken waren wie der Name schon sagt als Unterstützung zur Fortpflanzung vorgesehen, um medizinische Probleme zu beheben.
Nun sollen biologische Grundtatsachen aufgehoben werden. Was hat sich die Evolution eigentlich dabei gedacht, für die Fortpflanzung Mann und Frau vorzusehen? Keine Technik, kein Gesetz und kein VfGH können die Notwendigkeit dieser Polarität abschaffen oder nachbessern. Das Kind bleibt auf der Suche nach seiner Herkunft.
Für manche von uns (die Autorin mit eingeschlossen) ist das ein Lebensthema aufgrund einer gescheiterten Beziehung der Eltern. Wir müssen alle lernen, mit den Geschichten, die das Leben schreibt, zu leben. Aber wir wollen diese Geschichte dem Kind nicht bereits a priori in die Wiege legen.
MMag. Dr. iur. Gudrun Kugler promovierte im internationalen Strafrecht und hält ein Magisterium in Gender Studies sowie in Theologischen Studien zu Ehe und Familie. Die politisch engagierte Mutter von vier Kindern zwischen 0 und 7 Jahren wurde bei der Nationalratswahl 2013 in Vorzugsstimmen Drittplazierte sowohl auf der ÖVP–Bundesliste als auch auf der Wiener Landesliste.