Alois Durnwalder nimmt einen überschatteten Abschied von der Südtiroler Landespolitik. An seinem Bild zeigen sich jetzt deutliche Kratzer. Dabei hat Durnwalder Südtirol ebenso seinen Stempel aufgedrückt wie Silvius Magnago, der „Vater der Autonomie“.
Magnago war noch länger Vorsitzender der Südtiroler Volkspartei – nämlich von 1957 bis 1991 – denn Landeshauptmann (1960-1989) der Provinz Bozen-Südtirol. Durnwalder hingegen lehnte die SVP-Obmannschaft ab und regierte das südliche Tirol „nur“ als Landeshauptmann von 1989 bis in unsere Tage. Wenn sein präsumtiver Nachfolger Arno Kompatscher (voraussichtlich) am 10. Jänner vom Südtiroler Landtag gewählt wird, tritt Durnwalder eigenem Bekunden zufolge gänzlich von der landespolitischen Bühne ab, auf der er dann gut vier Jahrzehnte gewirkt haben wird, davon 25 Jahre als Landeshauptmann.
Das Erringen der Autonomie des Landes, die Sicherung von Selbstverwaltungsstrukturen, die Verwirklichung der Gleichstellung von deutscher und italienischer Sprache sowie des muttersprachlichen Unterrichts, somit der kulturellen Selbstbehauptung der Südtiroler, haben die Ära Magnago völlig beansprucht und ausgefüllt. In dem Vierteljahrhundert, in dem „der Landesluis“ die Geschicke in der Hand hielt, ging es hingegen um die Festigung des Erzielten sowie um dessen systematische Ausweitung. Das ist Durnwalder mit der ihm eigenen „stiernackigen Art“ – so der frühere Tiroler Landtagspräsident Helmuth Mader – mit allgegenwärtiger Präsenz und jener Durchsetzungsfähigkeit gelungen, die es braucht, um tatsächlich erfolgreich Politik zu machen.
Nie zuvor ist es den Südtirolern besser gegangen als unter Durnwalders aufgekrempelten Ärmeln. Nie zuvor kümmerte sich jemand so sehr persönlich um Anliegen von Petenten, die Durnwalder frühmorgens zwischen sechs und acht Uhr zu empfangen pflegte. Was ihm zu Spitzenzeiten bei Wahlen 120.000 Vorzugsstimmen eintrug; was ihm aber auch den Vorwurf einbrachte, sein Gebaren sei „landesfürstlich“.
Niemals war die Dominanz eines Südtiroler Politikers so ausgeprägt wie jene Durnwalders, nie zuvor gab es allerdings auch Skandale wie in der Endphase seiner Regierungszeit, die davon merklich getrübt wurde – etwas was unter dem asketischen Magnago unvorstellbar gewesen wäre. Weshalb die Verleihung der höchsten Auszeichnung des Bundeslandes Tirol an Tiroler diesseits und jenseits des Brenners, seines „Ehrenrings“ nämlich, an Durnwalder soeben just von der Anklageerhebung gegen ihn überschattet gewesen ist.
Das verfinsterte den Himmel über dem Innsbrucker Landhaus. Dort fand die Verleihung durch Landeshauptmann Günther Platter und Landtagspräsident Herwig Van Staa im Rahmen eines Festakts statt, bei der auch die ehemaligen Landeshauptleute Alois Partl und Wendelin Weingartner sowie die gesamte Tiroler Landesregierung und die Abgeordneten des Landtags zugegen waren. Wider Platters zutreffende Laudatio, wonach Durnwalder „die Eigenschaften Hausverstand, Bodenständigkeit und Durchsetzungsvermögen“ in sich vereine und „stets Gesamttirol im Blick gehabt“ habe, nimmt sich der Abschluss der Ermittlungen des Leitenden Bozener Staatsanwalts Guido Rispoli wie eine Kontradiktion aus. Es sind harte Vorwürfe, die zur förmlichen Anklageerhebung führen sollen. Sie treffen Durnwalder sichtlich. Wenngleich er darauf beharrt, nichts anderes als andere und also nichts Ungesetzliches getan zu haben.
Konkret wirft ihm Rispoli „Unterschlagung im Amt“ und „illegale Parteienfinanzierung“ vor. Unter anderem soll Durnwalder „zugunsten einer politisch-organisatorischen Gruppierung der SVP“, d.h. ihrem Jugendverband „Junge Generation“ (JG), aus seinem Sonderfonds „Finanzierungen bzw. Beiträge ausgeschüttet“ haben. Durnwalder hält dagegen, dabei habe es sich „lediglich um Getränke-Rechnungen im Zusammenhang mit meiner Vortragstätigkeit bei der JG gehandelt“.
Der Fall Sonderfonds
Weitere Vorhalte Rispolis betreffen „Zuwendungen bzw. Einkäufe, die aus dem Sonderfonds bestritten wurden“. Durnwalder habe die Ausgaben nur durch formlose Eigenbescheinigungen gerechtfertigt, statt sich „zum Zeitpunkt der Übergabe eine entsprechende, nachprüfbare Bescheinigung der Nutznießer ausstellen zu lassen“. Zudem sollen Spenden und Schenkungen nicht eng mit der Ausübung der Funktion als Landeshauptmann verbunden gewesen sein. Dazu zählen Schecks für Maturabälle, Spenden für das Rote Kreuz, für „Ärzte für die Dritte Welt“, für Feiern oder Trinkgelder.
Dem hält Durnwalder entgegen, dass jede Ausgabe bzw. Spende in Ausübung seines Amtes und mittels Eigenerklärung gerechtfertigt gewesen sei: „Ich kann schlecht von einem Kind, das ein Gedicht aufgesagt hat, eine Rechnung verlangen". „Ich habe alles so gemacht, wie es schon die letzten 50 Jahre gemacht worden ist". Und: „Ich habe das Gefühl, man möchte hier nur zeigen, dass in Südtirol bei der Verwaltung italienische Verhältnisse vorherrschen." Dabei habe er alle Ausgaben stets genau aufgeschrieben, sagte er gegenüber der APA.
Erstmals war das italienische Delikt „Amtsunterschlagung“ gegenüber Durnwalder vom Staatsanwalt des zuständigen Rechnungshofs Anfang 2013 ins Spiel gebracht und sodann von Rispoli, der das Verfahren an sich zog, übernommen worden.
Losgetreten worden war der „Fall Sonderfonds“, als der Rechnungshof nach der üppigen Feier des Landeshauptmanns auf Schloss Tirol (24. September 2011) aus Anlass seines 70. Geburtstags Ermittlungen einleitete und sämtliche Unterlagen über die Verwendung des Sonderfonds überprüfte. Die in Durnwalders Büros seinerzeit beschlagnahmten Akten – derlei kam erstmals am Sitz eines Südtiroler Landeshauptmanns vor – wurden sodann an den Leitenden Staatsanwalt übermittelt.
Beanstandet wurden ursprünglich Ausgaben in Höhe von insgesamt 1,3 Millionen Euro zwischen 1994 und 2012. Schließlich reduzierten sich Zeitraum und Summe: Insgesamt habe Durnwalder von 2004 bis 2012 einen finanziellen Schaden von 556.189,65 Euro verursacht. Bei insgesamt 3189 Ausgabenposten ist der Staatsanwalt überzeugt, dass sie entweder nicht rechtskonform belegt worden seien oder mit Durnwalders Amt nichts zu tun hätten. Darunter finden sich etliche Restaurant- und Bar-Rechungen, Einkäufe von Obst, Joghurt, Mehlspeisen, Zahnstochern, Getränken oder für die Kaffeepause der Landesregierung.
Ebenso auf der Liste stehen Einkäufe wie Geschirrspülmittel, Taschentücher, Sonnencreme, Blumendünger, beispielsweise die Vergütung einer Essensrechnung in Moskau (570 Euro), Karten für die Arena von Verona (900 Euro), ein Fernrohr für seinen Stellvertreter, Landesrat Florian Mussner (500 Euro), ein Geschenk für (den damaligen Landesrat und jetzigen Senator) Hans Berger (500 Euro) und dergleichen mehr.
Schließlich beanstandet der Staatsanwalt noch Beträge, die ausdrücklich zur Bestreitung privater Ausgaben verwendet und mit persönlichen Guthaben auf den Durnwalderschen Sonderfonds (jährlich 72.000 Euro) verrechnet bzw. kompensiert worden seien – im Ausmaß von insgesamt 180.731,92 Euro. Dazu gehören etwa Ausgaben für Auto- und Fernsehsteuer, private Flugtickets, Versicherungen und Mitgliedsbeiträge. Diese Sonderfonds-Mittel, so der Rechnungshof, seien vielfach für unzulässige Zwecke wie Geschenke, Eintrittskarten oder Arzneimittel ausgegeben worden – ein Vorwurf, den Durnwalder bestreitet: Er habe aus seiner eigenen Brieftasche Ausgaben vorgestreckt; am Monatsende seien sie mit dem Sonderfonds verrechnet worden.
Das Südtiroler Landesgesetz zum Sonderfonds legt nicht fest, wie die Gelder verwendet werden sollen bzw. dürfen. Deshalb stützen sich die Verdachtsmomente der Staatsanwaltschaft vornehmlich auf einen Präzedenzfall.
Den Ex-Präsidenten der Region Sizilien, Giuseppe Drago und Giuseppe Provenzano, wurde vorgeworfen, sich aus ihrem Sonderfonds bedient zu haben, ohne die Zahlungen zu begründen bzw. zu belegen. Drago erklärte damals, er habe das Geld entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ausgegeben, er sei nicht verpflichtet gewesen, Belege beizubringen. Das Gericht verurteilte ihn aber zu drei Jahren und acht Monaten Haft, und nach seinem Einspruch bestätigte das Kassationsgericht in Rom, die höchste Instanz, 2009 das Urteil der Erstinstanz.
Unterschlagung im Amt liege vor, wenn keine „ausführliche, synchrone und nachprüfbare Angabe“ erbracht werden könne, wonach die Verwendung des Geldes strikt mit der institutionellen Ausübung der Funktion verbunden ist, so die Höchstrichter. Und justament ein derartiger Verstoß wird auch dem Südtiroler Landeshauptmann zur Last gelegt.
Für seinen Anwalt Gerhard Brandstätter „ein Riesen-Missverständis“. Man werde die Rechtmäßigkeit aller aus Durnwalders Sonderfonds bestrittenen Ausgaben anhand von Dokumenten und Schriftsätzen belegen. Auch ist Brandstätter überzeugt, dass der Kassationsentscheid, auf den sich Rispoli beruft, nicht auf die Causa Durnwalder angewandt werden könne. „Das sind ganz andere Voraussetzungen: Der Landeshauptmann hat nicht einen Cent veruntreut, während es beim Urteil von Palermo um die private Verwendung öffentlicher Gelder ging.“
Rispolis von publizistischem Getöse begleitetes Vorgehen gegen Durnwalder, den über zweieinhalb Jahrzehnte mächtigsten Mann Südtirols, ist indes nicht unpopulär. Zumal da die Botschaft lautet: Seht her, wir ermitteln gegen jeden, gleich welchen Ranges, Amtes oder Standes.
SVP verliert an Strahlkraft
25 Jahre Durnwalder haben Spuren hinterlassen, im Land wie in der Partei, die es seit 1948 regiert. So volksnah Durnwalder seine Politik auch gestalten und verkörpern mochte, die SVP verlor in den letzten beiden Legislaturperioden seiner Amtszeit ihre Basisnähe und insgesamt 10 Prozentpunkte ihres vorherigen Stimmenpotentials.
Die Führung des Landes hatte sich mehr und mehr auf ihn konzentriert, und es war eine Art Personenkult unseligen Angedenkens entstanden. Um den Landeshauptmann herum gesellte sich ein Machtzirkel, Nepotismus und Günstlingswirtschaft paarten sich mit unübersehbarer Großmannssucht.
Spätestens mit dem Skandal um den landeseigenen Energieversorger SEL AG wurde dies vor zwei Jahren offenkundig. Die Betrugsaffäre, die den zuständigen Landesrat Michl Laimer zum Rücktritt zwang, musste auch Durnwalder belasten, ohne den in der Südtiroler Politik seit 1989 nichts lief. Michl Laimer musste nicht nur seinen Hut nehmen, er wurde auch rechtskräftig verurteilt.
Immer öfter tauchte seitdem in den Medien die Metapher „System Durnwalder" auf. Nur Naive glaubten seinen Worten, wonach er von der Affäre rund um die Vergabe von Kraftwerkskonzessionen nichts gewusst habe. Selbst wenn dies der Wahrheit entsprochen hätte, so muss er dennoch die politische Verantwortung dafür tragen, was Durnwalder trotzdem in Abrede stellte. „Menschlich, allzu menschlich“ hätte Dichterfürst Goethe für den „Südtiroler Landesfürsten“ entschuldigend parat gehabt, dem selbst „Der Spiegel“, sonst für das publizistische Unterminieren politischer Denkmäler bekannt, eine zwar in wenige kritische Untertöne verpackte, aber alles in allem sympathische Titelgeschichte lieferte, auf die Durnwalder seinerzeit gerne hinwies.
SEL-Affäre und Causa Sonderfonds trüben das Bild vom beliebten Tatmenschen Durnwalder indes umso mehr, als es ihm den „honorigen Abgang“ vergällt. Der wäre ihm sonst aufgrund seiner nicht zu bestreitenden Leistungen – das sei hier ausdrücklich anerkannt – zugestanden.
Durchaus auch selbstkritisch hatte sich der scheidende Landeshauptmann in seiner letzten Haushaltsrede am 6. Dezember 2012 im Südtiroler Landtag geäußert und dabei zwei maßgebliche Punkte erwähnt. Bezüglich der Autonomie des Landes befand er, sie sei vier Jahrzehnte nach Inkrafttreten des „Zweiten Statuts“ (1972) „nicht gestärkt, sondern geschwächt“: „Wir hier in Südtirol haben der Autonomie nicht den nötigen Respekt erwiesen, haben sie nach außen hin zwar mit Zähnen und Klauen verteidigt, ihr aber von innen Schaden zugefügt, indem wir an ihren Fundamenten gerüttelt haben". Diese Fundamente seien nämlich „nicht nur der Pariser Vertrag und das Autonomiestatut“, sondern sie hießen „auch Ehrlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Moral, Transparenz, Offenheit, Engagement und Hingabe“.
Und in Bezug auf die „Strom-Affäre“ äußerte er: „Wenn sich der Bürger nicht mehr darauf verlassen kann, dass alle Gesetze eingehalten und alle Zweifel ausgeschlossen werden, dann hat er allen Grund, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und – grundsätzlicher – mit seinen Repräsentanten unzufrieden zu sein." Nichts anderes taten die Bürger am 27. Oktober 2013 – sie ließen seine Partei, die SVP, mit dem Verlust der absoluten Mehrheit der Sitze im Bozener Landhaus aus der Landtagswahl hervorgehen.
Der Autor ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist