Willkommen in der Realität. In Österreich sind wie auch in Deutschland alle guten Dinge bekanntlich gratis. Schule, Studium, ganz besonders aber die Gesundheitsversorgung. Welch wunderbare Welt – so schien es bisher. Bisweilen indes werden Unheil ankündigende Zeichen der Zeit doch erkannt: Eine laufend steigende Zahl von Leistungsberechtigten bei einem zugleich immer kleiner werdenden Kreis von Zahlungspflichtigen muss früher oder später zwangsläufig zum Systemkollaps führen – selbst dann, wenn man zuvor noch schnell einmal die „Reichen“ total enteignet und „Besserverdiener“ mit einer 80-prozentigen Einkommenssteuerprogression quält.
Das ist offensichtlich auch den für das angeblich „beste Gesundheitssystem der Welt“ Verantwortlichen in Österreich aufgefallen, denn jenes weist Jahr für Jahr Kostensteigerungen aus, die deutlich über der Zunahme des BIP liegen. In den letzten Jahren beliefen sich die Kostensteigerungen auf durchschnittlich immerhin 5,2 Prozent jährlich. Im Jahr 2012 verschlang der öffentliche Gesundheitssektor die stattliche Summe von 22 Mrd. Euro.
Daher wurde unter einigem Getöse eine „Gesundheitsreform 2013“ ausgerufen, in deren Zentrum – man höre und staune – „Zielsteuerung und Kostendämpfung“ steht. Schließlich soll der Staat ja in 20 oder 30 Jahren nicht die gesamte Wirtschaftsleistung in der Krankheitsverwaltung versenken müssen, sondern auch fürderhin für so wunderbare Dinge wie Kulturförderung, Agrarsubventionen, die Auszahlung horrender Hofratswitwenpensionen und die Gehälter von Fahrrad- und Genderbeauftragten flüssig bleiben.
Um weiterhin eine nachhaltige Finanzierung der Gratismedizin für alle zu gewährleisten, soll die Kostenzunahme im öffentlichen Gesundheitswesen künftig an das Wachstum des BIP gebunden werden. An plakativen Überschriften und Nona-Bekenntnissen wie: „Der Patient soll im Mittelpunkt stehen“ und am „bestmöglichen Ort“ seine „optimale Behandlung“ erhalten, fehlt es nicht.
Wo und was der „beste Ort“ und die „optimale Therapie“ ist, welche Fahrtstrecken den Patienten zugemutet werden dürfen und welcher Behandlungsaufwand bei welcher Erkrankung zu rechtfertigen ist, bleibt ungeklärt. Die Frage, wie die geplanten Einsparungsziele – angesichts der von diversen Interessenvertretungen mit Zähnen und Klauen verteidigten Reviere und Pfründe – zu erreichen sind, ist offen. Viel kann indes nicht schief gehen, denn immerhin wurden bereits (selbstverständlich steuer- und beitragsfinanzierte) Arbeitskreise und Kommissionen ins Leben gerufen, die sich der Problematik unter größtmöglichem Einsatz annehmen werden…
Der in einschlägigen Debatten häufig als Allheilmittel vorgeschlagene Bettenabbau im überdimensionierten Spitalsbereich wird, so steht zu befürchten, zum Systemerhalt nicht ganz ausreichen. Österreich ist zwar unbestrittener Weltmeister in der ebenso kostspieligen wie überflüssigen Hospitalisierung von Patienten, die – ohne Qualitätsverlust – jederzeit auch ambulant versorgt werden könnten. Weniger Betten bringen allerdings Patienten dummerweise nicht zum Verschwinden. Die zu deren extramuraler Behandlung erforderlichen Strukturen und Einrichtungen fehlen jedoch weitgehend. Pech, dass deren Aufbau nicht zum Nulltarif zu haben sein wird.
Um das Ungemach zu komplettieren, lässt die galoppierende Vergreisung der Gesellschaft steigende Fallzahlen und darüber hinaus drastisch zunehmende Kosten des Pflegebedarfs erwarten. Mitsamt ihrer unerfreulichen Begleiterscheinung, dass den Menschen einfach wesentlich länger Zeit dafür bleibt, alle möglichen lästigen Leiden zu entwickeln. Die Austriaken leben gleich lang wie die Dänen, laborieren aber wesentlich mehr Jahre an verschiedensten Krankheiten, ehe man sie einsargt (nämlich 13, während es die Dänen auf nur 7 Jahre bringen). Das stellt die Experten vor ein Rätsel…
Dass das öffentliche Gesundheitswesen zu ungefähr gleichen Teilen aus Krankenkassenbeiträgen und Steuern finanziert wird, sowie die vom Rechnungshof immer wieder scharf kritisierte Zersplitterung der Zuständigkeitsbereiche (jeder, mit Ausnahme des Gesundheitsministers, hat ein gewichtiges Wort mitzureden), führt derzeit zu Zielkonflikten. Diesen wird ohne eine radikale Umgestaltung des Gesamtsystems mutmaßlich nicht beizukommen sein. Angesichts der sprichwörtlichen Reformresistenz im Land der Hämmer (nicht einmal eine mickrige Verwaltungsreform oder die Abschaffung des ganz und gar unnötigen Bundesrates sind hinzubekommen!) bedeutet das verdammt schlechte Aussichten – sowohl für Patienten als auch Steuerzahler.
Zweifellos ist, um nur einen rein medizinischen Aspekt herauszugreifen, künftig deutlich mehr Gewicht auf Vorsorge und Prävention zu legen. Ein Beispiel: Jeder durch geeignete Maßnahmen vermiedene Dialysefall könnte langfristig viel Geld ersparen. Nierenleidende stellen zwar nur 0,1 Prozent aller ambulanten Patienten, verursachen aber 16 Prozent der Kosten des Ambulanzbetriebes.
Rund die Hälfte der Betroffenen haben eine langjährige Vorgeschichte als Hypertoniker und/oder Diabetiker. Sowohl die Hochdruck- als auch die Stoffwechselerkrankung kann aber, so sie frühzeitig genug erkannt wird, derart effektiv behandelt werden, dass es erst gar nicht zu einer Niereninsuffizienz – und den sich daran knüpfenden Kosten – kommen muss. So weit, so gut. Vorsorgemaßnahmen führen jedoch nur dann zu Einsparungen, wenn dadurch der Abbau von Behandlungseinrichtungen (etwa die Schließung bestimmter, dann überflüssiger Krankenhausabteilungen) möglich wird.
Das aber funktioniert nur, wenn die Präventivmedizin lückenlos durchgeführt wird – z. B. in Gestalt von verbindlichen Reihenuntersuchungen. Zu deren Durchsetzung bedürfte es indes wohl polizeistaatlicher Maßnahmen, bis hin zur Zwangsvorführung von Patienten. Ob das in einer liberalen Gesellschaft, die auch ein Recht auf (selbstverschuldete) Krankheit zu garantieren hat, wünschenswert und durchsetzbar ist, sei dahingestellt.
Die Wahrheit ist: Der Wohlfahrtstaat ist am Ende. Zwecks Fortsetzung der Brot-und-Spiele-Orgie noch mehr Schulden zu machen, ist nicht länger drin. Fachleute sind sich daher einig, dass es im staatlichen Gesundheitswesen zu einem „Abschmelzen von Leistungen“ wird kommen müssen. Die bereits heute von den Anwälten der „sozialen Gerechtigkeit“ und anderen sozialromantisch veranlagten Traumtänzern bitter beklagte „Zweiklassenmedizin“ wird sich folglich erheblich verschärfen.
Wer zahlen kann und will, wird behandelt; alle anderen aber leben mit einer zunehmend besser werdenden Aussicht darauf, auf einer Warteliste zu versterben oder endlos lange auf einen OP-Termin oder ein anderes Gratisangebot vom Onkel Doktor warten zu müssen. Das sollte indes niemanden überraschen, denn Mangelversorgung, Warteschlangen und -listen sind eben die unvermeidlichen Symptome jedes sozialistischen Systems. Warum sich das in einer staatlichen Gesundheitskolchose anders verhalten sollte, liegt im Dunkeln. Ist diese doch allen möglichen Stakeholdern (von der gewerkschaftlich bestens organisierten Hilfskrankenschwester über viele Tausendschaften unkündbarer Sozialbürokraten bis zum Apotheker mit bombensicherem Gebietsschutz) verpflichtet.
Wer Geld hat, fährt im Bentley und wer keines hat, geht zu Fuß. Differenzierungen dieser Art werden künftig auch im Gesundheitswesen gelten. Immer noch wird diese für viele Zeitgenossen unbequeme Erkenntnis von der politischen Klasse zugunsten der Illusion einer unbegrenzten Finanzierbarkeit lebenslänglich garantierter Gratismedizin für alle unterdrückt. Bei der hierzulande herrschenden Nulltarifmentalität verwundert das auch nicht. Für allzu viele Mitbürger ist es nämlich zwar völlig OK, mit gepumptem Geld auf Urlaub zu fahren, ein Auto und/oder allerlei überflüssigen Tand zu kaufen. Aus der eigenen Tasche ein paar Euro für seine Gesundheit aufwenden (oder dafür gar einen Kredit aufnehmen) zu müssen, wird von denselben Leuten jedoch als absolut unerhörte Zumutung verstanden. Dem tragen die Sozialisten in allen Parteien getreulich Rechnung. Hier sind die Konsequenzen jahrzehntlanger wohlfahrtsstaatlich organisierter Verhausschweinung zu bewundern.
Doch die Wahrheit ist zumutbar! Ehrlich wäre es, den (künftigen) Patienten schon heute reinen Wein einzuschenken: Ohne privates Geld in die Hand zu nehmen wird es keine „optimale“ Versorgung mehr geben. Mit oder ohne Gesundheitsreform 2013. Wie heißt es im Sprichwort? „Ohne Geld ka Musi“. Dasselbe wird künftig wohl auch für die Hüftoperation gelten. Die leere Staatskasse hat gesprochen…
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.