Vor wenigen Jahrzehnten begann ein beispiellos erfolgreicher Feldzug gegen die Traditionen der deutschen Sprache, der unter der Bezeichnung „Gendern“ mittlerweile zum Teil Allgemeingut geworden ist. Die Vorschläge zur Veränderung der Sprachgewohnheiten haben ihren Ursprung in den Utopien radikalfeministischer Kreise der 70er Jahre. Mit den absolut berechtigten Forderungen der frühen Frauenrechtsbewegung haben sie indes nichts zu tun.
Letzteren ging es um bürgerliche Rechte, die im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts das Bürgertum erstritten hat – zunächst für Männer und dann allmählich auch für Frauen. Der moderne Feminismus hingegen zielt nicht auf rechtliche Gleichstellung – die ist in Mitteleuropa längst erreicht – er greift nicht faktische Benachteiligungen von Männern oder Frauen auf, sondern stellt die natürliche Dichotomie von Mann und Frau grundsätzlich in Frage. Aus seiner Sicht ist praktisch jedes geschlechtsspezifische Verhalten ein soziales Konstrukt und daher politisch manipulierbar. Die Art, wie Menschen miteinander umgehen, wie sie miteinander reden, was sie übereinander denken: Nach Ansicht moderner Feministinnen[i] ist all dies das Produkt patriarchaler Gesellschaftsstrukturen und gehört daher zerstört.
„Sie wollen eine Gesellschaft, die keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern mehr kennt, weil dieser ‚anerzogen’ und nichts weiter als eine ‚Illusion’ ist,“[ii], meint Jörg Schönbohm. Deshalb „muss das als Zwangsbegriff verneinte ‚Geschlecht’ durch ‚Gender’ ersetzt werden. Und möglichst schon in der Krippenerziehung soll mit der geistigen Geschlechtsumwandlung begonnen werden“[iii], bringt es Volker Zastrow auf den Punkt.
Ziel ist der neue Mensch: Männer und Frauen sind in allen beruflichen und zwischenmenschlichen Situationen austauschbar, sie sind praktisch geschlechtslos, da das biologische Geschlecht außer der Fortpflanzung keinen Einfluss auf ihr Dasein, auf ihr Verhalten, ihr Sprechen, ihre Gefühle hat.
Für die Sprache bedeutet die Leugnung biologischer Unterschiede Folgendes: Entweder das Geschlecht muss nach Möglichkeit aus der Sprache verschwinden oder zwischen männlich und weiblich muss völlige Ausgewogenheit herrschen. Dieser Ansatz ignoriert jedoch nicht nur unausrottbare Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sondern auch, dass die Sprache ein organisches Gebilde ist, das eine Jahrtausende alte Geschichte hat.
Daher ist die Frage, ob die faktischen Differenzen zwischen Männern und Frauen allesamt ansozialisiert oder größtenteils genetisch bedingt sind, in Wirklichkeit unerheblich. Denn die Behauptung, Geschlechterrollen seien das Ergebnis direkt oder indirekt anerzogener Verhaltensweisen, impliziert noch kein Werturteil über die zugrunde liegende Kultur.
- Ist die europäische, oft als patriarchal verschriene Kultur nun erhaltenswert oder verwerflich, langfristig tragfähig oder dem Untergang geweiht, produktiv und kreativ oder nur passiv und reaktiv?
- Sind die Menschen, die in ihr groß geworden sind, glückliche Menschen, die sich in ihrem Weltbild heimisch fühlen?
- Oder sind sie orientierungslos und daher für jede Modeströmung empfänglich?
- Garantiert ein aus dem ideologischen Boden gestampftes neues Bewusstsein eine gerechtere, eine bessere, eine wünschenswertere Gesellschaft?
- Ist eine auf die Herrschaft der Politischen Korrektheit gegründete Zivilisation wirklich ein erstrebenswertes Ziel?
- Ist sie den Menschen in höherem Maße gemäß als überkommene Wertvorstellungen?
- Können sich Menschen unter ihr besser entfalten?
Das alles sind Fragen, die wohl nur aus dem historischen Rückblick zu beantworten sein werden. Was ich zu sagen versuche: Jede Gesellschaft verfestigt Lebensformen, die sich in einer bestimmten Zeit als erfolgreich erweisen. Dabei konkurrieren stets divergierende Werte wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit.
Das Experiment, das heutzutage in der westlichen Zivilisation durchgeführt wird, sucht in der Geschichte wohl seinesgleichen. Denn jede Kultur definiert sich auch über die Unterschiedlichkeit zwischen Männern und Frauen. Und es ist nirgends gesagt, dass eine Gesellschaft dauerhaft Bestand haben kann, ja dass das Leben in ihr auch nur in irgendeiner Weise als attraktiv und lebenswert empfunden wird, wenn das Weibliche dem Männlichen bis zur Unkenntlichkeit angeglichen wird oder das biologische Geschlecht aus der Wahrnehmung der Menschen weitgehend verschwindet.
Übrigens scheint der Streit darüber, ob Erziehung oder Anlagen für geschlechtsspezifische Unterschiede verantwortlich sind, entschieden zu sein. Dem norwegischen Komiker und Soziologen Harald Eia fiel auf, dass norwegische Frauen trotz Quoten und eines nationalen Genderplans, der eine geschlechtsneutrale Erziehung garantieren sollte, nach wie vor stark in frauentypische Berufe drängen. In einer 2010 ausgestrahlten, populärwissenschaftlichen Serie für das öffentlich-rechtliche Fernsehen unter dem Titel hjernevask (Gehirnwäsche) befragte er international anerkannte Experten und konfrontierte heimische Wissenschaftler mit deren Stellungnahmen.
Die Reaktionen der Norweger erwiesen sich als erschütternd blamabel. Sie erklärten unisono naturwissenschaftlich-genetische Faktoren beim Unterschied zwischen den Geschlechtern für abwegig und Erkenntnisse von Naturwissenschaftlern für tendenziös. Die Konsequenz der Debatte: Der Nordische Ministerrat – in dem die Länder Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland und Island vertreten sind – Länder also, die seit Jahrzehnten an der Spitze der Gender-Forschung stehen, strich dem 1995 gegründeten Gender-Institut die Förderung, so dass es Ende 2011 geschlossen wurde.
Bei der feministischen Sprachkritik handelt es sich keineswegs um Reaktionen auf eine Notwendigkeit, die von der Mehrheit der Bevölkerung irgendwann erkannt worden wäre. Es gibt kein Bedürfnis nach feministischer Kampfsprache. Im Gegenteil: Vom ersten Tag an wurde den sprachverhunzenden Ideen einer geschlechtergerechten Sprache sowohl von den meisten Männern als auch von den meisten Frauen mit einer Reihe guter Gründe heftiger Widerstand entgegengebracht.
Dennoch muss man der feministischen Bewegung Anerkennung zollen. Denn sie hat es sich in der Kultivierung der Opferrolle bequem gemacht und agiert von dort aus ungemein erfolgreich. Je umfassender die rechtliche und faktische Gleichstellung voranschreitet, die mittlerweile in vielen Fällen zu einer weiblichen Bevorzugung zuungunsten von Männern ausartet, umso vehementer werden Gender Studies forciert, umso mehr Gleichstellungsbeauftragte bevölkern öffentliche Institutionen, umso mehr Leitfäden zum geschlechtssensiblen Sprachgebrauch werden auf Kosten der Steuerzahler gedruckt, umso nachhaltiger werden Kinder in Schulen mit einem zeitgeistigen Gendersprech gefüttert.
Die Methode zur Rechtfertigung politisch korrekter Redeweisen ist dabei immer dieselbe: Es ist das Denken in Opfergruppen. Man definiert eine ganze Gruppe als Opfer, auch wenn die Mehrheit ihrer Mitglieder sich gar nicht als Opfer fühlt. Mit der moralischen Empörung angesichts faktischer oder behaupteter Benachteiligung wird ein emotionaler Druck auf den Rest der Gesellschaft erzeugt.
Das schlechte Gewissen bei denen, die nicht zu einer tatsächlichen oder eingebildeten Randgruppe gehören, ist die Grundlage für den Erfolg Politischer Korrektheit – ganz gleich, wie berechtigt der Diskriminierungsvorwurf und wie sinnvoll die neuen Vorschläge sind. Und das Schlimmste: selbst Angehörige der vermeintlichen Opfergruppen können die Argumentation nicht durchbrechen. Sofern sie sich nicht mit den Sprachwächtern solidarisieren, beweisen sie nur, wie sehr sie von ihren Unterdrückern manipuliert wurden. Solche Methoden sind erpresserisch, undemokratisch und vor allem unliberal.
Tomas Kubelik, 1976 in der Slowakei geboren, wuchs in Stuttgart auf und studierte Germanistik und Mathematik. Kürzlich erschien im Projekte-Verlag Halle sein Buch „Genug gegendert! Eine Kritik der feministischen Sprache“, in dem er die Argumente der feministischen Sprachkritik überzeugend und allgemeinverständlich entkräftet.
Endnoten
[i] Trotz der Tatsache, dass auch viele Männer für Frauenanliegen aufgeschlossen sind, ist Feminismus ein Teil der Frauenbewegung. Er wird von vielen Frauen nicht nur als ideologischer Standpunkt verstanden, sondern als innere Haltung, als Ausdruck ihres Frauseins. Daher ist es umstritten, ob es möglich ist, Männer als Feministen zu bezeichnen. Hinzu kommt, dass feministische Forschung fast ausschließlich von Frauen betrieben wird. Aus diesen Gründen ist in diesem Buch immer nur von Feministinnen und nicht von Feministen die Rede.
[ii] Schönbohm, S. 26
[iii] Zastrow, Volker: „Gender Mainstreaming“ Politische Geschlechtsumwandlung. – In: FAZ, 20.6.2006