Schon bevor die Neue Mittelschule eingeführt wurde, habe ich mich massiv dagegen gewehrt, weil ich die diversen Artikel zu den Studien des Max-Planck-Institutes gelesen habe – und weil meiner Meinung nach jedem normal denkenden Menschen der Hausverstand sagen müsste, dass ein Schulsystem nicht funktionieren kann, in dem Kinder, die eigentlich einen sonderpädagogischen Förderbedarf hätten (diesen aber nicht zugewiesen bekommen, weil nur 2,7 Prozent einen haben dürfen) gemeinsam mit allen anderen Kindern bis hinauf zur AHS-Reife unterrichtet werden. Ganz besonders irritiert hat mich, dass der Schulversuch überhaupt nicht vorbereitet war, dass ständig Neuerungen gekommen sind (schon bevor wir damit begonnen haben). Wenn ich das kritisiert habe, hieß es: „Es ist ja ein Schulversuch, der Weg ist das Ziel" (so ein Schmarrn!).
Wir hatten an unserer Schule vor vielen Jahren den Schulversuch, in dem die Leistungsgruppen eingeführt wurden, der war bis ins winzigste Detail vorher ausgearbeitet, die Aufgaben für die Kinder kamen zentral für ganz Österreich aus dem Schulversuchszentrum, wir mussten ständig Berichte schreiben, die für die Evaluierung des Versuchs herangezogen wurden. So hat das einen Sinn.
Aber in der NMS kannte sich vorher schon niemand wirklich aus, die Bedingungen wurden dann ständig geändert. Ursprünglich war es so gedacht, dass jedes Kind, das in der 4. Klasse überall positiv ist, automatisch die AHS-Reife hat (auch wenn eine Menge Vierer im Zeugnis sind). Nach ein paar Jahren hatte dann offensichtlich doch jemand eine Sternstunde der Erleuchtung, dass das vielleicht so nicht sinnvoll ist. Dann wurde ab der dritten Klasse die grundlegende und die vertiefte Allgemeinbildung eingeführt, mit aktuell sieben Noten (1-4 in der vertieften, 3-5 in der grundlegenden). Jede einzelne Schularbeit in den Hauptfächern wird so bewertet.
Die schwachen Kinder haben deshalb prinzipiell nur schlechte Noten, weil sie die vertiefte nur selten erreichen, wenn, dann höchstens mit 3 oder 4, oder eben gleich nur die grundlegende mit ebenfalls 3 oder 4 oder 5. In der 3. Leistungsgruppe hatten die Kinder durchaus auch Gut oder Sehr gut, die Inhalte der Schularbeiten waren eben auf sie abgestimmt.? Wir Lehrer wurden übrigens auch nie gefragt, wie sich das System bewährt – wie schon erwähnt bekamen die Lehrer an anderen Schulen sogar einen Maulkorb verpasst, sie dürften in der Öffentlichkeit nichts Schlechtes über die NMS sagen. Wie toll das alles ist, und wie zufrieden alle sind, hat uns unsere Frau Bundesminister über diverse Reklameflyer für hunderttausende Euros mitteilen lassen.
Eingeführt wurde an unserer Schule die NMS dann so, dass viele Kollegen derartig unter Druck gesetzt wurden, dass sie sich nicht anders abzustimmen trauten („Wenn du dagegen bist, werden wir Lehrer abbauen müssen, du wirst dann die erste sein, die gehen muss!“). Bei anderen war es Partei- oder eine andere Ideologie. Und den Eltern im Schulforum kann man sowieso alles reindrücken, die glauben natürlich, wenn ihnen der Schulleiter erzählt, wie toll das alles sein wird.
Mir ist Bildung für die Kinder überaus wichtig, und zwar eine Bildung, die ihren Bedürfnissen entspricht. Und es gibt einfach schlecht begabte und gut begabte Kinder, die schlecht begabten sind deshalb nicht weniger wert. Aber sie brauchen etwas anderes: Zeit lassen, Grundfertigkeiten festigen. Wozu sollen sie lernen, was ein Präpositionalobjekt im Akkusativ ist, wenn sie in einem Satz fünf Rechtschreibfehler machen und dieser Satz auch noch kein ordentliches Deutsch ist? Und wenn sie nicht sinnerfassend lesen können?
Ihnen das beizubringen wäre übrigens Aufgabe der Volksschule gewesen, die einzige Schulart in unserem Land, die eine wirkliche Gesamtschule ist. Mit dem Ergebnis, dass 20 Prozent der Kinder nicht sinnerfassend lesen können und die Grundrechnungsarten nicht beherrschen. Und das wollen wir weiterführen??? Ich habe jetzt zwei Jahre lang in NMS-Klassen unterrichtet, teilweise bis zu 25 Kinder waren in einer Klasse. Der Zweitlehrer? Unterrichten kann nur einer, der andere schaut halt, dass die Kinder ihre Sachen auf der Bank haben, dass sie nicht schwätzen, dass sie vielleicht aufpassen. Und hilft beim Korrigieren. Ich hatte übrigens das Glück, mich mit meinen Zweitlehrern gut zu verstehen, es kann auch ganz anders sein.
Früher waren ca. 13-15 Kinder in einer Leistungsgruppe, da brauche ich keinen Zweitlehrer. Ich kann mich den Kindern viel besser widmen. Vor allem lernen sie das, was ihrer Begabung entspricht. Jetzt müssen alle Kinder dieselbe Schularbeit schreiben, es nützt also nicht wirklich etwas, wenn ich ihnen vorher differenziertes Material anbiete.
Offenes Lernen? Eine Methode, die sich anbietet, wenn die Thematik passt, vor allem dann, wenn man eher gut begabte, interessierte Kinder hat. Je schwächer sie sind, desto weniger schaut heraus. Gruppenarbeit: Ebenso, man muss aufpassen, dass nicht ein bis zwei die ganze Arbeit machen, die anderen nur abschreiben. Homogene Gruppen bilden? Ist erstens unerwünscht, zweitens schaut bei den Schwachen dann gar nichts heraus.
Und das viel gepriesene „Die Guten helfen den Schwachen" ist überhaupt ein Wahnsinn. Das funktioniert vielleicht hin und wieder, wobei ich mir denke: Wie kommen die Guten dazu, den anderen den Lehrstoff beizubringen, wenn sie in der Zeit längst etwas Neues lernen könnten? Dazu kommt, dass die schwachen Schüler sehr häufig auch die schwierigen sind. Die sind nur sehr mäßig begeistert, wenn ihnen ein leistungsstarker Mitschüler vorgesetzt wird, der ihnen etwas beibringen soll.??
Gut, dass meine beiden Kinder die Langform eines Gymnasiums genießen durften, wo sie auch hin und wieder an ihre Grenzen gekommen sind und nicht vier Jahre lang unter ihren Möglichkeiten dahindümpeln mussten.
Heidi Walkner ist eine langjährige Lehrerin an Hauptschulen und dann an einer Neuen Mittelschule.