In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erkannten linke amerikanische Studenten, dass Sprache eines der mächtigsten Werkzeuge darstellt und dass es möglich wäre, durch das Aufstellen von Sprachvorschriften das Bewusstsein der Menschen langfristig zu manipulieren und in Folge dessen Veränderungen in der sozialen Realität zu erwirken. Das war die Geburtsstunde der Political correctness.
Von Anfang an zielte das Konzept auf die sprachliche Einbeziehung und den Schutz von Minderheiten. Es ging um Antidiskriminierung, indem bestimmte Ausdrücke tabuisiert und andere an deren Stelle favorisiert wurden. Die Funktion der Political correctness war und blieb dabei nichts anderes als Zensur: Eine autoritäre Entscheidung darüber, in welcher Weise öffentlich über Themen gesprochen werden darf.
Um heutzutage glaubwürdig zu erscheinen und ernst genommen zu werden, sind nicht primär fachliche Qualifikation, argumentative Stichhaltigkeit und überzeugendes Auftreten vonnöten, sondern die Anpassung an vorgegebene Sprachcodizes. Wer dagegen verstößt, wird medial und politisch sehr schnell an den Pranger gestellt, als politisch untragbar diffamiert und häufig in seinen Aktivitäten eingeschränkt.
Der Herrschaft der Political correctness geht es also nicht um die Auseinandersetzung mit Argumenten, um die Kraft der Gedanken, sondern um Macht. Durch die Steuerung von Kommunikationsprozessen soll das Denken in Bahnen gelenkt werden. Gewisse Dinge darf man eben nicht sagen. Damit soll verhindert werden, dass diese Dinge überhaupt gedacht werden. Die Folgen sind dramatisch.
Wenn der Europarat vorschlägt, die Bezeichnungen Vater und Mutter aus dem offiziellen Sprachgebrauch zu verbannen und durch Kunstwörter wie „Elter1“ und „Elter2“ zu ersetzen, dann steckt dahinter wohl nicht weniger als der Wunsch, Normalität fundamental in Frage zu stellen.
Warum nehmen wir es hin, dass der Oetinger-Verlag, in dem die Bücher von Astrid Lindgren erscheinen, diese umschreiben lässt und Pippi Langstrumpfs Vater nicht mehr als Negerkönig, sondern als Südseekönig bezeichnet wird, obwohl sich die Autorin Zeit ihres Lebens gegen solche Eingriffe gewehrt hat? Nebenbei bemerkt könnte man den Ausdruck Südseekönig ebenso kritisieren, verherrlicht er doch offenbar die Kolonialzeit.
Angesichts von so viel Sensibilität verwundert es nicht, dass in Belgien der Kongolese Bienvenu Mbutu Mondondo versuchte, den 80 Jahre alten Comic-Band Tim im Kongo des Zeichners Hergé wegen der „Rechtfertigung von Kolonialismus und weißer Überheblichkeit”[i] gerichtlich verbieten lassen. Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen. Weil Mark Twain in seinem Huckleberry Finn 219 mal das Wort Nigger verwendet, wird der Abenteuerroman in amerikanischen Schulen nicht mehr gelesen – trotz einer unbestritten antirassistischen Gesinnung des Autors. Kurzerhand wird das Wort Nigger in neuen Ausgaben durch Sklave ersetzt.
Seit 2003 heißt Agatha Christies Kriminalroman Ten Little Niggers in der deutschen Übersetzung nicht mehr Zehn kleine Negerlein, sondern Und dann gabs keines mehr.
Während ich dies schreibe, wird Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker Die kleine Hexe einer ideologischen Säuberung unterzogen, um „veraltete und politisch nicht mehr korrekte Begrifflichkeiten“[ii] auszumerzen, so der Verleger Klaus Willberg. Negerlein, Türken und Chinesinnen werden sich wohl aus dem Buch verabschieden müssen. Überraschend, dass sich noch niemand am Titel selbst gestoßen hat, wurden doch als Hexen diffamierte Frauen im Mittelalter ebenso verfolgt.
Dass Enid Blytons Geschichten Fünf Freunde an moderne Vorstellungen von Gendergerechtigkeit angepasst wurden, nehmen wir offenbar gelassen hin.
Und es beunruhigt uns nicht, wenn eine Diplomarbeit aus dem Jahr 2010 kritisiert, diese Umarbeitungen würden nicht weit genug gehen: „Denn obwohl sich die Mädchen öfter verbal gegen die Buben behaupten, bleiben sie auch in der Neubearbeitung nur zu oft vom eigentlichen Abenteuer ausgeschlossen, aus keinem anderen Grund, als dass sie Mädchen sind“[iii], heißt es im Abstract der Arbeit.
Vielleicht werden sich diese Fragen aber bald von alleine erledigen. Denn Vertreter des Europäischen Parlaments haben ihre Absicht geäußert, klassisch gewordene Kinderbücher, in denen traditionelle Rollenbilder vorkommen, per Gesetz aus dem Erziehungsprozess zu eliminieren. Nur wenige verstehen, dass hier Gehirnwäsche und Kulturmord stattfindet.
Selbst wem das nicht einleuchtet, sollte Folgendes bedenken: „Politisch korrektes Denken fragt als erstes nach der Gruppenzugehörigkeit eines Menschen. Sie ist es, die ihn (seine Identität) durch und durch bestimmen soll – oder die, wenn sie ihn nicht erschöpfend definiert, doch das einzig Interessante an ihm darstellt.“[iv]
Dabei ist die Auswahl der Gruppen, die vorgeblich vor einer ausgrenzenden, stigmatisierenden Sprache geschützt werden müssen, völlig willkürlich. Sie entspricht genau jener, die im linken Weltbild den Katalog besonders gefährdeter Personen anführen: Frauen, Schwarze, Homosexuelle, Behinderte, Asylanten.
Bezeichnenderweise gibt es aber eine Vielzahl anderer Gruppen, die in der Öffentlichkeit mitunter in viel höherem Maße aggressiven, beleidigenden Äußerungen ausgesetzt sind: Unternehmer, Spekulanten, Jäger, Aristokraten, Geistliche, Raucher, Politiker oder Polizisten. Für sie gibt es weder Sprachempfehlungen noch Gleichbehandlungsbeauftragte. Ihnen gegenüber wird Diskriminierung hingenommen, manchmal sogar gutgeheißen. Witze über Machos und Priester werden toleriert, nicht aber über Schwule und Blondinen.
Angehörige konservativer oder heimatorientierter Parteien, die Teil eines demokratischen Parteienspektrums sind, müssen sich immer wieder gegen den Faschismusvorwurf verteidigen.
Die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei hingegen ist äußerst selten Gegenstand emotionaler Debatten gewesen.
Wer gegen die Gier von Bankern auf die Straße geht, gilt als Vorbild für die Jugend. Wer eine Demonstration gegen bettelnde und stehlende Zigeunerbanden organisieren wollte, machte sich vermutlich der Verhetzung schuldig. Dabei wird in beiden Fällen mit Vorurteilen und Stigmatisierungen gearbeitet.
Gewiss gibt es gierige und unsozial agierende Banker, ebenso aber gibt es in Gruppen organisierte kriminelle Zigeuner. Natürlich ließe sich darüber diskutieren, in welcher der beiden Gruppen das asoziale Element zahlenmäßig stärker vertreten ist oder wer größeren Schaden anrichtet. Solche Differenzierungen finden aber gar nicht statt und sollen es offenbar auch nicht.
Warum wird ein Aufkleber mit Raucher stinken oder Soldaten sind Mörder toleriert? Stellen solche Sätze nicht auch eine inakzeptable Beleidigung von Menschen, eine Verletzung der Menschenwürde dar?
Es wird offensichtlich: Die Auswahl der zu schützenden Gruppen ist in der Praxis vom Weltbild der Sprachwächter bestimmt, und diese sind in fast allen Fällen im linken politischen Milieu zu suchen.
Man könnte einwenden, dass auch Witze über Machos und Priester durchaus verpönt sind, man solle eben niemanden beleidigen und herabsetzen. Das aber bedeutet, dass es so gut wie gar keine Witze mehr geben dürfte, weder Bratscherwitze noch Schwiegermutterwitze, weder Ostfriesen- noch Schottenwitze, weder Lehrer- noch Beamtenwitze, weder Polizisten- noch Kellnerwitze.
Fast jeder Witz erzeugt Heiterkeit auf Kosten eines anderen. Und selbstverständlich geht es keineswegs bloß um Witze. Gleichbehandlungsgesetze, die in den letzten Jahren in Europa wie Pilze aus dem Boden schießen und das Leben der Menschen einschränken sollen, stellen Gedanken- und Gesinnungsdelikte unter Strafe.
Wer etwa einen Mieter ablehnt, weil er ihm zu wenig vertrauenerweckend erscheint, darf das ohne Weiteres tun. Wer denselben Mieter ablehnt, weil es sich um eine Frau, einen Homosexuellen oder einen Buddhisten handelt, macht sich strafbar.
Dasselbe gilt für den öffentlichen Sprachgebrauch: Reiche als Schmarotzer zu beschimpfen, die gefälligst für jeden sozialistischen Traum zu zahlen haben, ist geradezu normal; darauf hinzuweisen, dass Personen mit Migrationshintergrund in vielen Ländern viel häufiger Gewaltverbrechen zu verantworten haben als Einheimische, wird hingegen als rassistisch eingestuft. Wer zum Beispiel Letzteres etwas pointiert und vielleicht sogar ein wenig polemisch artikuliert, riskiert, dass der Staatsanwalt gegen ihn aktiv wird.
Problematischer als die Frage, welche Gruppe aus welchen Gründen als Opfer angesehen und deshalb sprachlich bevorzugt werden soll, ist die Tatsache, dass Sprachvorschriften die wahren Überzeugungen nur verschleiern. Jedem Eingriff in den öffentlichen Sprachgebrauch liegt folgende kühne These zugrunde: Die Sprache, die ein Mensch verwendet, spiegelt nicht nur seine Gesinnungen wieder, sondern beeinflusst umgekehrt auch sein Bewusstsein.
Dürfen wir also annehmen, die Eliminierung etwa der Wörter Neger und Nigger hätte automatisch eine offenere Einstellung gegenüber Schwarzen zur Folge gehabt? Glauben wir tatsächlich, Vorurteile und Ängste würden verschwinden, nur weil wir nicht mehr Zigeuner sagen? Wohl kaum.
„An den Verhältnissen selbst ändert der Austausch von Wörtern nie etwas. Und ob er zumindest die Domäne der Sprache etwas freundlicher und gerechter gestaltet, steht dahin – denn wo es emotionale Vorbehalte und Abneigungen gegen bestimmte Gruppen gibt, heften sich diese alsbald auch an neue Wörter, so dass ein ständiger Austausch nötig wird. Die Entwicklungsreihe von negroes zu non-whites zu colored (heute: persons of color) zu minority group zu dem heute korrekten African Americans ist ein Beispiel.“[v]
Dieses Phänomen ist in der Linguistik als Euphemismus-Tretmühle bekannt. „Auf jeden Fall aber machen die politisch korrekten Renovierungen das Sprechen zu einem Eiertanz: Könnte das Wort, das mir auf der Zunge liegt, eventuell jemanden kränken? Wobei es nicht darauf ankommt, ob es wirklich jemanden kränkt; es genügt, dass sich einige Profianstoßnehmer prophylaktisch im Namen der betreffenden Opfergruppe gekränkt fühlen.“[vi]
Ein Erfolg der Political correctness hätte also den Zustand zur Folge, dass wir vielleicht einen tadellosen Umgangston pflegten, der vordergründig niemanden stigmatisieren und diskriminieren würde. Es wüsste aber auch niemand, was die Leute wirklich denken. Denn durch die Sprachreinigung würden wir die Mittel verlieren, um auf die Gesinnung der Sprecher zu schließen.
Anders ausgedrückt: Die Frage, ob Menschen, die ganz mit einer berichtigten Sprache erzogen wurden, auch das entsprechende korrekte Bewusstsein besäßen, ließe sich nicht mehr erkennen. Statt also „tatsächliches Verständnis für die Belange der Minderheiten zu erzeugen“[vii]verstärkt die Politische Korrektheit „die gesellschaftliche Fragmentierung und Gruppenbildung.“[viii]
Nur am Rande sei erwähnt, dass die Verfechter politisch korrekter Redeweisen in ihrem Wunsch, niemanden auszugrenzen, gerade dies oft tun. Bestes Beispiel dafür ist die Bezeichnung Zigeuner. Die Ersetzung dieses Wortes durch Sinti und Roma prädestiniert zwar die beiden größten Volksgruppen der Zigeuner, schließt aber viele andere aus. Auf der Homepage der Schweizerischen Zigeunermission heißt es deshalb: „Wir verstehen Zigeuner in keiner Weise diskriminierend, sondern verwenden sie in Ermangelung eines besseren Sammelbegriffs für Jenische, Fahrende, Roma, Sinti, Manouches, Kalés, Lambadi, Koya, Narrikuvar und andere Volksgruppen.“[ix]
Tomas Kubelik, 1976 in der Slowakei geboren, wuchs in Stuttgart auf und studierte Germanistik und Mathematik. Kürzlich erschien im Projekte-Verlag Halle sein Buch „Genug gegendert! Eine Kritik der feministischen Sprache“, in dem er die Argumente der feministischen Sprachkritik überzeugend und allgemeinverständlich entkräftet.
Endnoten
[i] zitiert nach: Dittmar, Peter: Wenn „Zehn kleine Negerlein“ plötzlich verschwinden. – In: Die Welt, 25.2.2012
Online im Internet:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13887699/Wenn-Zehn-kleine-Negerlein-einfach-verschwinden.html
[ii] zitiert nach: Greiner, Ulrich: Die kleine Hexenjagd. – In: Die Welt, 21.3.2013
Online im Internet:
http://www.zeit.de/2013/04/Kinderbuch-Sprache-Politisch-Korrekt
[iii] Marjanovic, Lucia: Enid Blytons Fünf Freunde auf Deutsch. Diplomarbeit, Univ. Wien, 2010, Abstract
Online im Internet: http://othes.univie.ac.at/9900/
[iv] Zimmer, Dieter E.: Leuchtbojen auf einem Ozean der Gutwilligkeit. – In: Die Zeit, 23.2.1996
[v] ebda.
[vi] ebda.
[vii] Schönbohm, S. 21
[viii] ebda.
[ix] Homepage der Schweizerischen Zigeunermission.
Online im Internet: www.zigeunermission.ch