Der Christbaum: Eine kleine Kulturgeschichte

Autor: Ronald Schwarzer

Wir brauchen dringend ein gemeinsames Fundament für unsere Gesellschaft

Autor: Christian Klepej

Deutschlands gemütliche Machtergreifung von 2024/25

Autor: Leo Dorner

Wenn alle untreu werden

Autor: Dieter Grillmayer

Zeichen der Hoffnung für den Westen

Autor: Karl-Peter Schwarz

Rumänien als Probelauf für die Abschaffung der Demokratie in Europa?

Autor: Wilfried Grießer

Die Woken und ihre Geschichten

Autor: Karl-Peter Schwarz

Brandmauern gegen rechts: EU-Länder werden unregierbar

Autor: Werner Reichel

EU am Scheideweg: Markt- oder Planwirtschaft?

Autor: Andreas Tögel

Langsam, aber sicher wird die Freiheit in Europa rückabgewickelt

Autor: Christian Klepej

Alle Gastkommentare

Glaube ist Wahrheit

Die Erkenntnis der Wahrheit steht im Zentrum des Glaubens. Von der Philosophie herkommend, definiert Hegel präzise: „Religion ist das Bewusstsein des an und für sich Wahren“. Das Bewusstsein des An-und-für-sich-Wahren ist das Bewusstsein, das Gott, der Absolute, von sich selbst hat. An diesem Bewusstsein des Absoluten lässt Gott den Menschen, sein Ebenbild, durch den Glauben teilnehmen. Im Glauben teilt sich Gott uns mit. Seine Mit-Teilsamkeit („communicabiltas“) ist Ausdruck göttlicher Liebe und Güte. „Glaubt ihr nicht, so versteht ihr nicht“, überschreibt Benedikt XVI. das zweite Kapitel seiner letzten Enzyklika, deren Text Franziskus übernommen und ergänzt hat. (Mit einer nachträglichen Anmerkung)

Wie kommt es zur Teilnahme des Menschen am Bewusstsein des absolut Wahren? Benedikt gibt auf diese Frage eine, manche wohl überraschende, geradezu sensualistisch erscheinende Antwort: durch Hören, Sehen, Berühren.

Was hören wir? Den Ruf Gottes. Wenn wir diese Antwort verstehen wollen, ist es gut, sich an Abraham, unseren Stammvater im Glauben zu erinnern. „In seinem Leben ereignet sich etwas Überwältigendes: Gott richtet sein Wort an ihn, er offenbart sich als ein Gott, der redet und ihn beim Namen ruft“. „Abraham sieht Gott nicht, aber er hört seine Stimme“.

Gott erweist sich gegenüber Abraham als eine Person, „.die fähig ist, mit dem Menschen in Kontakt zu treten und einen Bund mit ihm zu schließen. Der Glaube ist Antwort auf ein Wort, das eine persönliche Anrede ist, auf ein Du, das uns beim Namen nennt“. Der Glaube kommt vom Hören – fides ex auditu (Röm 10,17). Glaube ist immer ein Hören der Stimme Gottes, „die in den Ohren des Herzens tönt“.

Bei Antritt seiner Regierung bittet König Salomon Gott um „ein hörendes Herz“ durch das er das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht und sein Volk gut regieren kann (1 Kön 3, 9). „Das Herz ist in der Bibel die Mitte des Menschen, wo alle seine Dimensionen – Leib und Geist, die Innerlichkeit der Person sowie seine Öffnung für die Welt und die anderen; Verstand, Wille und Gefühlsleben – miteinander verflochten sind“. Im Herzen ist der Sitz des Gewissens. Das Gewissen, dieses „Heiligtum im Menschen“, ist jenes untrügliche Organ, mit dem der Mensch den Willen Gottes erkennt, welcher „ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten“ sowie zum Meiden des Bösen anruft (Gaudium et spes, n.16). Der Glaube ist das Wort, in dem Gott sich ausspricht. Jesus ist das letzte Wort, das Gott uns zuspricht, „es ist nicht ein weiteres Wort unter vielen anderen, sondern sein ewiges Wort (Hebr 1, 1-2), es ist der äußerste Ausdruck seiner Liebe zu uns“ (Lumen fidei, n.15).

Und was sehen wir? Jesus ist die konkrete Person, die „man sieht und hört“. „Er ist das fleischgewordene Wort, das wir gesehen haben (vgl. Joh 1, 14)“. „Tatsächlich ist im vierten Evangelium die Wahrheit, die der Glaube erfasst – die Offenbarung des Vaters im Sohn, in seinem Leib und in seinen irdischen Werken – eine Wahrheit, die man als das ,gelichtete Leben’ Jesu definieren und wahrnehmen kann“. Thomas von Aquin spricht von der oculata fides der Apostel – vom sehenden Glauben! – angesichts des leiblichen Anblicks des Auferstandenen.

Sie haben den gesehen, der von sich sagen konnte, „wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat“ (Joh 12, 45). Bei manchen Juden ging das Sehen der Zeichen Jesu dem Glauben voraus, wie nach der Auferweckung des Lazarus: Als sie „gesehen, was Jesu getan hatte, kamen sie zum Glauben an ihn“ (Joh 11, 45). Johannes steht am Ostermorgen vor dem leeren Grab, er „sah und glaubte“. Maria Magdalena sieht den Herrn am Grabe, der zu ihr spricht. Sie berichtet darüber den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen“.

Nicht nur gehört und gesehen, auch „berührt“ wird der Herr, er konnte „mit Händen angefasst“ werden (1 Joh 1, 1). Nach der Erzählung des Lukas berührt die blutflüssige Frau den Herrn und wird geheilt (Luk 8, 45-46). Der ungläubige Thomas legt die Finger in die Wunden des Herrn, glaubt und zweifelt nicht mehr (Joh 20, 27-29). Uns Heutige berührt der Herr durch die Sakramente, durch sein Fleisch und Blut, dass er uns spendet. Im Glauben berühren wir ihn und empfangen wir die Macht seiner Gnade. Er verwandelt uns, indem er uns und wir ihn berühren.

Die Verbindung von Glaube und Wahrheit

An die Verbindung von Verbindung von Glaube und Wahrheit zu erinnern, ist heute nötiger denn je. Wir lassen technische Wahrheiten gelten, durch die unsere Konstruktionen „funktionieren“. „Dies scheint heute die einzige sichere Wahrheit zu sein, die einzige, die man mit anderen teilen kann, die einzige über die man diskutieren und für die man sich gemeinsam einsetzen kann“. Wir nehmen auch als Wahrheit zur Kenntnis, was der einzelne empfindet und fühlt. Doch damit reduzieren wir Wahrheit auf die subjektive Authentizität des Einzelnen, billigen ihr aber keine allgemeine Wahrheit zu.

Eine allgemeine Wahrheit, eine „Wahrheit, die das Ganze des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens erklärt, wird mit Argwohn betrachtet“. Sie gilt als „totalitär“, den Einzelnen erdrückend. So wird die Frage nach einer allgemeinen Wahrheit, die immer auch eine Frage nach Gott ist, nicht mehr gestellt. Die Verbindung der Religion mit der Wahrheit wird gelöst, denn man sieht in dieser Verbindung die „Wurzel des Fanatismus, der alle überwältigen will, die die eigenen Überzeugungen nicht teilen“.

So bleibt dann nur der Relativismus, der keine Antwort gibt auf die Frage nach Wahrheit, nach dem Ursprung von allem und nach dem Sinn unseres gemeinsamen Weges durch die Geschichte. „Wir können in diesem Zusammenhang von einem großen Vergessen in unserer heutigen Welt sprechen“, der Gottvergessenheit, die ein Vergessen der Wahrheit ist, dass Gott ist. Gottvergessenheit ist Seinsvergessenheit. Wir finden uns in der Welt nicht mehr zurecht.

Durch die Liebe zur Wahrheit

Doch es gibt einen Weg, wieder zum Glauben und damit zur Wahrheit zu finden, es ist der Weg der Liebe. Dem modernen Menschen scheint es, als habe die Frage nach der Liebe nichts mit der Wahrheit zu tun. Die Liebe wird heute als eine Erfahrung angesehen, die an die Welt der unbeständigen Gefühle gebunden ist und nicht mehr an die Wahrheit. Wittgenstein bindet Glauben an „die Erfahrung des Verliebtseins im Sinne von etwas Subjektivem, das nicht als eine für alle gültige Wahrheit aufgestellt werden kann“.

Doch wenn die Liebe keinen Bezug zur Wahrheit hat, übersteht sie nicht die Prüfungen der Zeit. Liebe, die trägt, kann nicht auf ein Gefühl reduziert werden, das kommt und geht. Ohne Wahrheit kann die Liebe keine feste Bindung geben, vermag sie das Ich nicht aus seiner Isoliertheit herauszuführen, noch es von dem flüchtigen Augenblick zu befreien, damit es das Leben aufbaut und Frucht bringt. Liebe bedarf der Wahrheit. Liebe und Wahrheit kann man nicht voneinander trennen.

„Ohne Liebe wird die Wahrheit kalt, unpersönlich und erdrückend für das konkrete Leben des Menschen“. Wer wirklich liebt, begreift, dass die Liebe eine Erfahrung der Wahrheit ist. Sie öffnet die Augen für eine neue Sicht, um die ganze Wirklichkeit in neuer Weise zu sehen, in Einheit mit dem geliebten Menschen. Die gemeinsame Sicht aller Dinge macht die Liebe zur Quelle einer neuen Erkenntnis, zur Schau der Welt mit einem einzigen Auge, mit dem wir auf Gott, den Urheber des Lichts und der Welt blicken.

Das Licht der Wahrheit

In der Philosophie ist den Griechen die Verbindung der Liebe mit der Weisheit und Wahrheit aufgegangen. Die Weisheit ist für die Griechen das Licht, das „von oben“ kommt. Die Begegnung der Botschaft des Evangeliums mit dem philosophischen Denken in der Antike bildete einen entscheidenden Schritt für eine fruchtbare Beziehung zwischen Glaube und Wahrheit, Glaube und Vernunft, die sich im Laufe der Jahrhunderte weiter entfaltet bis herauf in unsere Tage. Die Enzyklika Johannes Paul II., „Fides et ratio“, zeigt, wie Glaube und Vernunft sich gegenseitig stärken.

Das Leben des heiligen Augustinus ist eines der ältesten Beispiele für die Begegnung des Glaubens mit der griechischen Philosophie. Mit dem Neuplatonismus hat Augustinus das Paradigma des Lichtes aufgenommen, das von oben kommt, um die Dinge zu erleuchten. Wie den Heiden die Sonne, so wird ihm das Licht zum Symbol Gottes. Die Einsicht, dass Gott Licht ist, hat ihm eine neue Lebensorientierung gegeben und befreite ihm vom Manichäismus, jener unheilvollen Auffassung von Gut und Böse als den zwei auf uns einwirkenden Kräften, die unser Handeln bestimmen und von Schuld freisprechen.

Das Licht Gottes verlieh ihm die Fähigkeit, das Böse, dessen er schuldig war, zu erkennen, und sich dem Guten zuzuwenden. Seine Bekenntnisse zeugen von dem Licht, das ihm eingegeben wurde, um auf sein Leben zu blicken. Er hat daraus eine Philosophie des Lichts entwickelt, die ihn das Bild und Antlitz des Herrn erkennen lässt, in dem alle Dinge das Gute widerspiegeln, dass ihnen die Liebe und Güte des Herrn verliehen hat. Ihm wird das dem Glauben eigene Licht zur Quelle der Wahrheit, die auch uns und unsere Zeit erhellen kann.

Der Spiegel der Wahrheit

Die Wahrheit besitzen nicht wir, sondern sie besitzt uns und lässt uns demütig werden. Wir sind nur der Spiegel, der den Glanz des Lichts und der Wahrheit reflektiert. Je mehr dieses Licht in uns eindringt, umso fähiger werden wir, unseren und den Weg anderer Menschen zu Gott zu verstehen und anzunehmen. Im Bekenntnis des Glaubens tritt das ganze Leben ein in einen Weg hin auf die volle Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott.

In dieser Gemeinschaft ist der Mensch nie allein. Es ist unmöglich, allein zu glauben. Glaube öffnet sich von Natur aus auf das „Wir“ hin. Die Freude am Glauben lädt andere zur Teilnahme am Glauben und seiner Feier ein. Die Ecclesia ist die Versammlung der Gläubigen, die ihren Glauben gemeinsam feiern und im Kult vollziehen. Die Eccelsia ist der Bereich, in dem der Glaube bezeugt und mitgeteilt werden kann. Der Glaube wird innerhalb der Gemeinschaft gelebt und in ein gemeinschaftliches „Wir“ eingefügt. Dieses durch den Glauben geeinte „Wir“ ist die Kirche, die dem „Wir“ Dauer verleiht, die Einheit im Glauben bewahrt, ihn auslegt und mitteilt.

Die Bewahrung der Wahrheit

Das Lehramt der Kirche sorgt dafür, dass die Wahrheit des Glaubens uns unversehrt zugänglich ist und uns mit Freude zu erfüllen vermag. Die Kirche selbst ist das allumfassende Sakrament, durch das uns und den Völkern die Liebe Gottes zuteil wird, die in der Wahrheit ruht, die Gott selbst ist. „Allein in Christus ist es möglich die Fülle der rettenden Wahrheit zu erkennen“ (Fides et ratio, n. 99).

In ihm gründet das Reich der Wahrheit und des Lebens, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens (Präfation zum Christkönigsfest). Die Kirche, Zeichen und Werkzeug für die Einheit der ganzen Menschheit und ihrer Verbindung mit Gott (Lumen gentium n. 1), bewahrt mit dem Depositium fidei zugleich das Depositum veritatis als „Licht“ für die Völker auf ihrem Weg durch die Geschichte.

Anmerkung: Dieser Text zitiert immer wieder "Lumen fidei". Die Hegel-Zitierung erfolgt aus G. F. W. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Suhrkamp-Werkausgabe,Bd.16, S. 106. Zwecks Lesefreundlichkeit wurden die genauen Quellenangaben von der Tagebuchredaktion aus dem Manuskript entfernt.

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz. Einschlägige Publikationen: Um das Reich Gottes. Vier Traktate über den Konservativismus (2 Bde., Weiße Rose, Wiener Neudorf 1993), Die Rechte der Nation (Stocker, Graz 2002), Der Sinn der Geschichte (Regin, Kiel 2011).

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung