Die Nawarski-Generation an der Macht oder: Warum manche ihr Maturazeugnis nicht herzeigen können

Ich war schon ein paar Jahre in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen, als mich Mitte der 90-er Jahre ein sozialistischer Freund anrief und mir folgendes mitteilte: „Du, Georg, Du hast sicherlich in der Zeitung von dieser Geschichte im Zusammenhang mit der Maturaschule Nawarski gelesen. Tja, also, ich bin da auch dabei gewesen. Wir armen Sozi-Kinder waren halt in der Anti-AKW- und der Friedensbewegung engagiert. Wir sind lieber in Kaffeehäusern herumgehangen als in die Schule zu gehen. Aber wir brauchten dann doch die Matura. Die Staatsanwaltschaft geht jetzt Jahrgang für Jahrgang durch und ich weiß nicht, ob sie das alles bis Anfang der 80-er Jahre durchschauen. Würdest Du mich, wenn es dazu kommt, vertreten?“

Auf mein Nachfragen präzisierte er, dass er die erste Variante gewählt hatte: Den Kauf der Prüfungsfragen um 6.000 Schilling. Den Preis der zweiten Variante – Maturazeugnis ohne Prüfung – kenne er nicht.

Ich sagte zu, ihn im Fall der Fälle zu vertreten. Dazu kam es allerdings nie – weil die Staatsanwaltschaft in ihren Untersuchungen nicht so weit zurückging.

Jahre später wurde die Haupttäterin zu zwei Jahren bedingter Gefängnisstrafe verurteilt. Auch ein paar Namen von Kindern prominenter Sozialdemokraten gelangten an die Öffentlichkeit. In 170 Fällen sollen Vorprüfungs- und Maturazeugnisse gefälscht worden sein.

Jene Maturajahrgänge, die von der Staatsanwaltschaft – vermutlich wegen Verjährung – nicht mehr aufgerollt wurden, haben Glück gehabt. Sie konnten ihre Maturazeugnisse behalten. Allerdings kann ein Inhaber eines solchen Maturazeugnisses dieses nicht der Öffentlichkeit präsentieren. Insider wissen nämlich sofort, wie der Hase gelaufen ist.

Wenn hunderte Schüler auf fraudulöse Art und Weise zu einer Matura gelangten, kann man nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Es handelte sich um eine Industrie – ein System, das in einschlägigen Kreisen alles andere als ein Geheimnis war.

In der Zwischenzeit sind die armen Sozi-Kinder erwachsen geworden und befinden sich an den diversen Hebeln der Macht. Freilich bedeutet dies nicht, dass jeder Sozialdemokrat, der behauptet, maturiert zu haben, in seiner Jugend ein Betrüger war. In jedem einzelnen Fall gilt die Unschuldsvermutung. Da aber die hunderten kleinen Gauner von damals nicht alle vom Erdboden verschwunden sein können, liegt es nahe, dass sie aus diesem prägenden Jugenderlebnis – ebenso wie einige Mitwissende – Schlüsse gezogen haben; wie die folgenden: „Bildung darf nie wieder etwas kosten“, „Matura für alle“, „Schule ohne Schultasche“, „Leistungsgesellschaft begünstigt Korruption“ oder „Markt und Bildung schließen einander aus“.

Wenn man heutzutage die öffentliche Diskussion beobachtet, kann man den Eindruck gewinnen, dass die Nawarski-Generation drauf und dran ist, das bourgeoise Bildungssystem zu überwinden – sofern es uns nicht gelingt, die Nawarski-Generation in die Schranken zu weisen.

P.S.: Ach wie freue ich mich auf meine parlamentarische Immunität!

Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt in Wien. Er kandidiert für das Team Stronach auf Platz vier der Bundesliste.

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