Deutsche Energiewende: Selbstdemontage einer Industrienation

Unter dem Titel Hi-Tech und Energie, Zukunft für Österreichs Industrie startete die Wiener Freiheitsakademie einen Veranstaltungszyklus, der sich mit Fragen der künftigen Entwicklung der Energieversorgung beschäftigt. Nicht nur die zuverlässige und unterbrechungsfreie Lieferung (elektrischer) Energie, sondern auch die Höhe der Energiepreise ist von größtem Einfluss auf die Entwicklung eines Industriestandorts und auf die in einer Volkswirtschaft zu erzielenden Einkommen. Umso mehr gilt das für eine wirtschaftlich grenzenlos gewordene Welt.

Zwei der Vorträge beschäftigten sich mit Themen, die keineswegs ausschließlich den Standort Österreich betreffen: Die Zukunft der Atomenergie einerseits und die mit geradezu religiösem Eifer vorangetriebene „Energiewende“ im Nachbarland Deutschland. Es macht den Anschein, als ob beide Themen – spätestens seit der Reaktorkatastrophe im fernen Fukushima – längst nicht mehr von harten Fakten und wissensbasierter Forschung, sondern vielmehr von Emotionen und Bekenntnissen bestimmt werden und sich einer offen geführten Debatte nahezu vollständig entziehen.

Atomkraft gilt in Deutschland und Österreich mittlerweile als Inbegriff des Bösen und der menschengemachte Klimawandel als schlechterdings nicht anzuzweifelnde Tatsache. Ende der Durchsage: Merkel locuta, causa finita. Mit dem „Potsdam Institut für Klimafolgenforschung“ hält sich die Kanzlerin eine Ideologiefabrik voller strenggläubiger Klima-Alarmisten, deren Umgang mit kritischen Geistern stark an jenen Tomas de Tórquemadas mit nichtswürdigen Häretikern erinnert.

Zukunft der Kernkraft

Gerhard Wrodnigg, Systemanalytiker und Experte für Risikomanagement und Technikabschätzung, widmete sich dem Thema „Zukunft der Kernkraft“. Genauer gesagt beschäftigte er sich mit einer nüchternen Analyse der mit dem Einsatz von Kernenergie verbundenen Risiken (und zwar den tatsächlichen, nicht den von den stets im Panikmodus laufenden Hauptstrommedien behaupteten) und den aktuellen, zum Teil sehr viel versprechenden technischen Entwicklungen.

Die derzeit in Gebrauch stehenden Reaktortypen, die große Mengen an (waffenfähigem) Plutonium produzieren und damit unaufhörlich Diskussionsstoff hinsichtlich der Frage von Zwischen- und Endlagerung strahlender Abfälle liefern, könnten demnach schon bald durch solche ersetzt werden, bei denen dieses Problem nicht mehr auftritt. Auf dem Gebiet dieser „Dual-Fluid-Reaktoren“ stehen deutsche Wissenschaftler an vorderster Front. Nicht nur die Verwertung von Brennelementen, die in konventionellen AKW abgebrannt wurden und die weit erhöhte Betriebssicherheit (die Gefahr einer Kernschmelze besteht bei dieser Bauart nicht länger), sondern auch die wesentlich verringerte Menge (schwach) strahlenden Abfalls sprechen für den Einsatz dieser Technik.

Auch die Überlegung, von Großkraftwerken wegzukommen und stattdessen kleineren Einheiten mit entsprechend verringerten Umweltrisiken den Vorzug zu geben, wird seitens der Politik nicht einmal in Erwägungen gezogen. Zumindest in Deutschland und Österreich – wo man denjenigen, die auch nur das Wort AKW in den Mund nehmen, auf der Stelle das Wort verbietet – scheint dieser Zug abgefahren zu sein. Gegen quasireligiöse Bekenntnisse mit rationalen Überlegungen zu Felde zu ziehen, ist allemal sinnlos…

Die Deutsche Energiewende

Markus Fichtinger, Ökonom am Economia Institut für Wirtschaftsforschung, widmete sein Referat der in Deutschland im Jahr 2010 eingeleiteten „Energiewende“. Bis 2020 sollen dort demnach mindestens 35 Prozent des Strombedarfs aus „erneuerbaren Energien“ gedeckt werden – ein, gelinde ausgedrückt – mehr als ehrgeiziges Ziel. International ist keine vergleichbare Tendenz zur radikalen Änderung des Verhältnisses der Stromquellen erkennbar.

Dass man sich in Deutschland gefährlich weit aus dem Fenster lehnt, um die Emissionen des angeblich klimaschädlichen Kohlendioxids zu begrenzen, während außerhalb der OECD-Staaten zugleich eine drastische Zunahme der CO2-Emissionen stattfindet, scheint niemanden zu irritieren. Der ganze hochfahrende Plan, dessen Herzstück das „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ (EEG) bildet, kann ohne weiteres als die Umstellung von der Markt- auf eine Planwirtschaft bezeichnet werden, bei der die Ausschaltung von Marktpreisen für elektrische Energie am Anfang steht.

Der Verzicht auf die gründliche wissenschaftliche Untersuchung von Möglichkeiten und Konsequenzen eines Übergangs auf „erneuerbare Energieträger“ (hauptsächlich Windkraft und Photovoltaik), wird erhebliche Folgen nach sich ziehen. Die für jedermann unmittelbar erkennbare liegt in einer dramatischen Steigerung der Stromkosten für die Privathaushalte. Deutsche Stromkunden bezahlen schon heute die (nach Dänemark) höchsten Gebühren pro KWh elektrischer Energie. 85,7 Prozent der Preissteigerungen sind den auf 20 Jahre hinaus garantierten Subventionen der Einspeisetarife für Strom aus Wind- und Photovoltaikanlagen geschuldet. Unter dem Strich ergibt sich ein kollektiver Wohlstandsverlust, da die verfügbaren Einkommen nunmehr vermehrt für Energiekosten aufzuwenden sind und nicht für alternative Konsumausgaben eingesetzt werden können. Dass im Strompreis zudem mehr als 40 Prozent an Steuern enthalten sind, rundet das schauerliche Bild harmonisch ab.

Ferner bedarf es gewaltiger Investitionen in die Leitungsnetze, da die meiste Windenergie bekanntlich im Norden des Landes anfällt, während der Strombedarf aber vorrangig im Süden entsteht. Die flächendeckende und nachhaltige Verschandelung der Landschaft durch die unter Marktpreisbedingungen nicht wirtschaftlich zu betreibenden Windräder ist dagegen gar nicht in Zahlen zu fassen. Der bis spätestens 2022 geplante völlige Ausstieg aus der Atomenergie wird darüber hinaus eine ernstzunehmende Lücke in der Grundlastversorgung hinterlassen, wodurch sich das Risiko von Netzzusammenbrüchen erheblich erhöhen wird. Hier geht es schlicht an den Lebensnerv des Hochtechnologiestandortes Deutschland.

Die politisch Verantwortlichen scheinen offenbar bis heute nicht erkannt zu haben, dass Strom nicht nur dann gebraucht wird, wenn die Sonne scheint und der Wind bläst. Auch nachts und bei Flaute sollte der Kühlschrank kalt bleiben. So lange es für das Problem der großtechnischen Speicherung elektrischer Energie keine brauchbare Lösung gibt, sind Produzenten, die nicht dauerhaft liefern können, nur dann etwas wert, wenn jederzeit einsetzbare Ersatzlieferanten bereitstehen. Immerhin sind ganze Industriezweige auf eine rund um die Uhr stabile und zuverlässige Lieferung elektrischer Energie angewiesen. Da die Möglichkeiten zur Gewinnung von Energie aus Wasserlaufkraftwerken aber bereits ausgeschöpft sind, führt zur Sicherung des Grundlastbedarfs kein Weg an einem massiven Aus- und Neubau konventioneller kalorischer Kraftwerke (die mit Gas, Öl oder Kohle befeuert werden) vorbei. Wie sich das mit dem Ziel der angepeilten CO2-Reduktion unter einen Hut bringen lassen soll, sei dahin gestellt.

Während andernorts auf – stark verbesserte – Nukleartechnologie gesetzt und durch den Einsatz modernster Methoden zur Energiegewinnung aus Schiefergas und -öl die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erheblich gesteigert wird, legt die Regierung Deutschlands mit dem mittelfristigen Verzicht auf Kernkraft und dem Umstieg auf kostspielige „erneuerbare Energien“ seinen Unternehmen eine Zwangsjacke an. Die internationalen Wettbewerber dürfen dem Treiben der seltsamen Teutonen mit einer Mischung aus Unverständnis und Schadenfreude zusehen – erste Reihe fußfrei.

Mit der Politik der „Energiewende“ schickt sich Deutschland an, wieder einen Sonderweg zu beschreiten. Die Zukunft der wichtigsten Industrienation Europas wird von einer emotional motivierten, von völlig falschen Voraussetzungen ausgehenden, überstürzt angegangenen Kampagne bestimmt.

Damit kann es – wenn auch um 70 Jahre verspätet – durchaus gelingen, den 1944 bekannt gewordenen Plan Henry Morgenthaus doch noch zu realisieren und das Land der Techniker und Ingenieure auf den Status eines primitiven Agrarstaates zurückzuführen. Ganz ohne äußeren Zwang und ohne Not. Die ganze Welt würde zum Zeugen des historisch einmaligen Akts der Selbstkastration der wichtigsten Industrienation der Alten Welt. Österreich wird, dank seiner intensiven wirtschaftlichen Verflechtung mit Deutschland, davon nicht unberührt bleiben. „Interessante Zeiten“ stehen uns ins Haus…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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