Beim Durchstöbern eines Billigbuchladens ist mir unlängst „6 Österreicher unter den ersten 5“ in die Hände gefallen. Das Buch von Kleinkünstler Dirk Stermann ist vergangenes Jahr erschienen und war ein echter Bestseller. Rund 120.000 Mal hat sich das Buch verkauft. Und auch die Kritiker in Österreich und Deutschland waren begeistert. Sie lobten das Werk als „liebevoll und kritisch“, „absurd-komisch“ oder als „bitterböse, urkomisch“. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung meinte gar: „Dirk Stermann ist einer der Größten, den wir und die haben."
Bei so viel Kritiker-Lob und bei dem tollen Schnäppchenpreis habe ich mir das Taschenbuch schließlich gekauft. Und die vier Euro waren gut investiert, auch wenn das Werk literarisch wertlos und nur stellenweise amüsant ist. Man erfährt in diesem „deutsch-österreichischen Freundschaftsroman“ auch nichts Neues oder gar Tiefgründiges über die ambivalenten Beziehungen zwischen Deutschen und Österreichern. Der Wahl-Wiener aus Duisburg beschränkt sich darauf, die sattsam bekannten Klischees und Binsenweisheiten (morbide Wiener, das goldene Wienerherz, das gar nicht so golden ist…) in mehr oder weniger unterhaltsame Anekdoten zu verpacken.
Ich habe das Buch trotzdem – zumindest bis zur Hälfte – gelesen. Man erfährt zwar nichts Neues über die Österreicher und ihre Mentalität, aber sehr viel über die Denkweise, das Weltbild und das geistige Innenleben des Autors. Und das ist deshalb interessant, weil Dirk Stermann in der österreichischen linken Bobo-Szene Kultstatus genießt. Die jungen hippen Gutmenschen lieben und bewundern Stermann und seinen Kabarettpartner Christoph Grissemann: ausverkaufte Kabarettbühnen, tolle TV-Quoten, überschwängliche Kritiken und nun auch ein Bestseller.
Ihr Humor, den sie seit vielen Jahren über den österreichischen Staatsrundfunk verbreiten dürfen, gilt gemeinhin als tiefgründig, klug, schwarz, skurril und – und das ist paradox und irgendwie auch komisch – als politisch unkorrekt. Naja, selbst die bravsten Gutmenschen wollen ab und zu mal so richtig die (Biofreiland)Sau raus lassen und auf politisch unkorrekt machen.
Stermanns Bestseller ist aber in Wahrheit ein – stellenweise kurzweiliges – Handbuch des politisch-korrekten Denkens. Eines der Highlights ist eine Taxifahrt durch Wien. Der Taxler ist, man ahnt es irgendwie bereits als der Ich-Erzähler ins Taxi steigt, ein „typischer“ Wiener oder besser gesagt das, was ein gemeiner Linker für einen solchen hält.
Ein 150-Kilo-Koloss mit fleckigem Unterhemd. Dieser Ungustl „(…) lachte und furzte dreimal lautstark“ ´Entschuldigen, aber i hab in der Früh zehn Eier im Glas gessen, des rächt sich jetzt. Mir wird der Oasch zu eng.‘“ Und als das stinkende Fettmonster eine „kopftuchtragende Mutter mit ihren Kindern“ erblickt – und auch hier beschleicht einem bereits eine gewisse Vorahnung was nun gleich passieren wird – schreit er aus dem Taxifenster: „Daham statt Islam“ Dann furzt er nochmals kräftig: „A klassischer Eierschaß“. Und weiter im Text: „(…) Aner von der FPÖ hat gsagt, dass sich die Moslime, oder wie man sagt, in Österreich um 533 Prozent vermehrt haben in den letzten dreißig Joar. Is des normal? Tun die Rudelbumsen, oder wos?
(…) Während er lenkte, schälte er mit der anderen Hand ein hartgekochtes Ei, das er sich als Ganzes in den Mund steckte. Beim Kauen redete er mit weit geöffnetem Mund. Der Dotter und das Eiweiß vermischten sich mit seiner Spucke zu einem Brei.“
Und gaaanz subtil und hintergründig, lässt Autor Dirk Stermann den fetten, Herzinfarkt gefährdeten Taxifahrer nun sagen: „(…) die Türken stopfen sich einen Döner nach dem anderen eini, und dann kriegens an Herzkasperl, fallen um und werden von meinem Geld ins Spital gebracht. Ist das fair, frag ich Sie?“
Lei, Lei! Tiefgründiger Gutmenschenhumor eben. Das stinkende, Eier fressende, primitive, Ausländer hassende Fettmonster ist gerade noch menschlich. Man muss es ja nicht (zumindest noch nicht) auf die Spitze treiben. Nun könnte man diese Ergüsse einfach als derben Humor, besonders schlichte Kleinkunst oder literarische Übertreibung abtun. Doch Herr Stermann zeichnet hier ein Bild, wie es die meisten linken Autoren, Musiker, Künstler oder Journalisten verbreiten und das die meisten politisch-korrekten Zeitgenossen tatsächlich von „Rechten“, Konservativen und auch Neoliberalen haben.
Die politisch-korrekte Sicht auf die Anderen
Wer jemals mit politisch-korrekten Zeitgenossen über Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft diskutiert hat, weiß, dass sie großteils tatsächlich so über ihren politischen Feind denken. Ihr Weltbild ist wirklich nicht komplexer. Menschen, die nicht zur politisch-korrekten Wir-Gruppe zählen, was mittlerweile mit rechts(extrem) gleichgesetzt wird, sind einfach von Natur/Geburt aus primitive, dumme, stinkende Schweine und das Böse schlechthin.
Ganz im Gegensatz etwa zu linksextremistischen oder islamistischen Terroristen und Mördern oder Kinderschändern. Die haben immer eine ganz furchtbar komplexe und traurige Vor- und Lebensgeschichte. Die böse Gesellschaft, das kapitalistische Schweinesystem oder die imperialistischen Amerikaner haben sie erst zu dem gemacht, was sie sind: Arme Opfer, die gar nicht anders konnten. Ihre Gewalt, ihr Hass, ihr Radikalismus und ihr totalitäres Weltbild sind deshalb für jeden guten Gutmenschen zumindest nachvollziehbar und verständlich. Nicht selten hegen sie sogar Sympathien für diese Menschen.
Es hat viele Vorteile, wenn man seinen politischen Gegner als von Natur aus oberflächliche, dumme und – auch so ein Klischee – ängstliche Kreatur beschreibt. Zum einen erstrahlt dann die eigene Halbbildung gleich in wesentlich hellerem Lichte und, was auch nicht zu verachten ist, man braucht sich nicht mehr auf mühselige Diskussionen über Einwanderungspolitik, Integration, importierte religiöse Konflikte etc. einzulassen. Was auch gut ist, da man ohnehin kaum noch schlagkräftige Argumente zur Hand hat und zumeist nur noch mit hohlen Phrasen operiert. Und der größte Vorteil: Bei der Verfolgung, sozialen Ächtung und Diskriminierung dieser politisch-korrekten Abweichler braucht man keinerlei Skrupel zu haben. Ist ja eh nur ein widerlicher, dummer…
Dass man vermeintliche und tatsächliche Rechte mittlerweile ganz einfach und ohne Gegenstimmen als eine Art dummen Untermenschen hinstellen kann, liegt auch daran, dass die meisten Gutmenschen „Rechte“ ohnehin nur aus Rundfunk, Zeitungen, Literatur, Kleinkunst und den Erzählungen linker Politiker kennen. Er ist wie bei Stermann vor allem eine Kunstfigur, ein Popanz und Grünenschreck. Wie im Puppentheater. Wenn der Kasperl einen furchterregenden Feind braucht, holt man schnell das Krokodil hervor. Und die kleinen Zuschauer sind jedes Mal begeistert, wenn der pfiffige und mutige Kasperl das Ungeheuer von der Bühne prügelt.
Ja, für ihre politische Dramaturgie ist das rechte Handpuppen-Krokodil unverzichtbar, ansonsten würde das ganz Kasperlstück nicht mehr so richtig funktionieren und die Kleinen sich enttäuscht abwenden. Aber noch wissen ja ohnehin alle Kinder, dass das Krokodil (oder auch das fette Schwein) von Natur aus böse ist und unter zahlreichen Ängsten und Phobien (Homo, Xeno, Islamo) leidet. Und sobald die lieben Kleinen etwas sehen, dass auch nur annähernd wie ein Krokodil aussieht, rufen alle ganz laut nach dem Kasperl.
Aber vielleicht wollte Dirk Stermann seinen Lesern mit dem blöden, fetten Taxifahrer ja nur einen Spiegel vorhalten, um zu zeigen, dass der „Rechte“ für Linke vor allem eine Projektionsfläche für die eigenen Ängste, Vorurteile und Abgründe ist. Nein, Scherz beiseite. Menschen wie Herr Stermann meinen das wirklich so.
Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. 2012 ist sein Buch „Die roten Meinungsmacher – SPÖ-Rundfunkpolitik von 1945 bis heute” im Deutschen Wissenschaftsverlag erschienen. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Geschichte, Politik, Ideologie und Ziele der österreichischen Grünen.