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Die Blockade der Ministerin

Rettungssanitäter, Notfallmediziner und alle anderen, die im Rettungsdienst aktiv waren oder noch sind, wissen es: Ein medizinischer Notfall ist für Rettungskräfte leichter zu managen, wenn Ersthelfer zuvor die richtigen lebensrettenden Sofortmaßnahmen ergriffen haben. Gleichzeitig wissen die gleichen Leute, dass nur eine relativ kleine Zahl der Erwachsenen im Notfall in der Lage ist, richtig zu reagieren. Der letzte Erste-Hilfe-Kurs liegt lange zurück, sodass der Mut im Fall des Ernstfalles schnell abhanden kommt.

Die Universitätsprofessoren Dr. Herz (Rudolfinerhaus) und Dr. Sterz (Universitätsklinik für Notfallmedizin) haben im Jahr 2005 beschlossen, den beiden damaligen Ministerinnen Rauch-Kallat (Gesundheit) und Elisabeth Gehrer klar zu machen, dass die Vermittlung von Erste Hilfe-Kenntnissen in den Schulen deutlich verbessert werden muss. Frau Ministerin Gehrer gab kurz darauf den Auftrag, eine entsprechende Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen. Im Frühjahr 2005 wurde mit Hilfe einer Art Rasterfahndung nach Lehrern gesucht, die bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt hatten. Da ich selbst aktiver Rettungssanitäter und Erste Hilfe-Lehrbeauftragter bin und damals an einem Gymnasium in Bregenz unterrichtete, blieb ich im „Fahndungsnetz“ hängen und zögerte keine Sekunde, als ich gefragt wurde, ob ich mitarbeiten wolle.

Meine Frau und ich hatten jahrelang an unseren Schulen auf eigene Faust einen Erste-Hilfe-Kurs in den Biologieunterricht der ersten Klassen eingebaut. Die Resultate waren in jedem Fall überaus erfreulich.

Es hat sich klar herausgestellt, dass ein in den Biologie-Unterricht eingebauter Erste-Hilfe-Kurs das soziale- und das Sicherheitsdenken der Schüler nachhaltig positiv beeinflusst. Zudem bekommt die Lehre vom menschlichen Körper einen neuen Inhalt. Es werden den Schülern nicht mehr nur Skelett, Muskeln, Hirn, Herz und andere Organe ins Heft diktiert. Man bespricht Gefahrenzonen und bringt den jungen Menschen damit Sicherheitsdenken bei; man bespricht Bewusstlosigkeit und bringt ihnen das Gehirn nahe. Man erklärt Herz- und Kreislaufstillstand, übt die Erste-Hilfe-Maßnahmen und nimmt gleich Herz und Lunge mit in das Kapitel.

Bereits ein Jahr vor dem Start der Arbeitsgruppe „Erste Hilfe in Bewegung“ wurde das neue Unterrichtsmodell auf der Bildungsmesse in Hall/Tirol vom 3. bis 5. Juni vorgestellt. Schülerinnen des Gymnasiums Blumenstraße und des Privatgymnasiums Riedenburg (jeweils Bregenz) fuhren mit mir nach Tirol, um das Projekt einem internationalen Publikum zu präsentieren. Der von den Mädchen vorbildlich gestaltete Messestand erwies sich rasch als Publikumsmagnet. In Gesprächen mit Lehrern, Schülern und Schulpolitikern wurde der Wunsch geäußert, die Erste Hilfe verpflichtend und besser als bisher in den Regelunterricht von der ersten bis zur achten Schulstufe einzubauen.

Der Wunsch ging insofern in Erfüllung, als Ministerin Gehrer die eingangs erwähnte Arbeitsgruppe tatsächlich ins Leben rief. Im Oktober 2005 trafen sich mehrere Ärzte und Lehrer aus ganz Österreich im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg, um die weitere Vorgehensweise zu beraten. Beim Start des Projekts herrschte Aufbruchsstimmung. Alle Beteiligten wussten, dass mit unserer Arbeit eine große Sache entstehen würde. Die gesamte Bevölkerung sollte in einer Generation einen Erste Hilfe-Kurs absolviert und die Details im Regelunterricht über vier Jahre so gut wiederholt haben, dass damit ein neues Sicherheits- und Verantwortungsbewusstsein entstehen würde.

Es folgten weitere Seminare im April 2006 in Linz und im November 2006 im Bildungshaus St. Martin bei Graz. Dazwischen gab es kleinere Besprechungen, meist in Wien. Die Projektleiter standen via Internet miteinander in Verbindung. Im Mai 2007 sollte ein Abschlussseminar mit großer Pressekonferenz im Großraum Wien stattfinden.

Das Projekt wird abgewürgt

Nach dem Herbstseminar 2006 in Graz herrschte plötzlich Funkstille. Das Unterrichtsministerium schien nach dem Wechsel zur neuen Unterrichtsministerin Claudia Schmied in Autismus verfallen zu sein. Anfragen, sogar vom Roten Kreuz, wurden nicht beantwortet, mehr oder weniger obskure Gerüchte besagten, dass es einen geheimen Maulkorberlass gäbe, andere Gerüchte besagten, das Projekt sei auf Weisung der Ministerin ohne Angabe von Gründen abgedreht worden.

Es ist zu bedenken, dass in das Projekt „Erste Hilfe in Bewegung“ zwei Universitätsprofessoren, ein Universitätsdozent, mehrere engagierte Ärzte und Lehrer aller Schultypen, das Jugendrotkreuz, der ÖAMTC und insgesamt 21 Schulen aus ganz Österreich eingebunden waren. Finanziert wurde die Sache nicht vom Unterrichtsministerium, sondern von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt.

Wir haben schon befürchtet, dass sich etwas anbahnte, denn in der Schlussphase wurden wir mit „Geht-leider-nicht“ Argumenten überhäuft.

  • Man könne nicht in die Autonomie der Universitäten eingreifen, hieß es plötzlich. Dieses Argument ist insofern unsinnig, als die Lehrpläne der Schulen nicht von den Universitäten, sondern vom Ministerium erstellt und als Gesetz vom Nationalrat beschlossen werden.
  • Die Sache ist zu teuer, hieß es. Auch das ist blanker Unsinn, denn die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) hätte den Materialaufwand finanziert. Es ging lediglich darum, allen Volksschullehrern sowie den in den naturwissenschaftlichen Fächern und in Leibesübungen unterrichtenden Lehrern ab der 5. Schulstufe im Rahmen des Probejahrs einen einwöchigen Ausbildnerkurs in Erster Hilfe zu geben. Den Kurs hätten die Blaulichtorganisationen durchgeführt, die mickrige Finanzierung wäre bei den Ländern gelegen. Die Ausbildungskosten wären tatsächlich minimal gewesen, die laufenden Kosten für alle Schulen gleich null, denn die Erste Hilfe wäre ja Teil des Regelunterrichtes geworden und das Material hätte die AUVA zur Verfügung gestellt.
  • Die Lehrergewerkschaft könnte sich querlegen. Auch dieses „Argument“ war eine simple Ausrede, denn man hätte nur mit den Gewerkschaftern reden müssen. Ich habe das getan, und führende Gewerkschafter waren nicht nur positiv überrascht, sondern einstimmig der Meinung, dass es sich um eine große und unterstützungswürdige Sache handle.

Im Frühjahr 2007, nach Monaten der Funkstille, was im Grunde nichts anderes als eine bodenlose Unverschämtheit war, packten einige Lehrer, darunter meine Wenigkeit, den Stier bei den Hörnern. Ein Tiroler Nationalratsabgeordneter wurde zur Ministerin Dr. Schmied geschickt, um sie zu informieren, und die Landeshauptmann-Stellvertreterin von Tirol informierte die damalige Gesundheitsministerin Kdolsky. Am 30. Juni 2007 erschien in den Vorarlberger Nachrichten mein bitterböser Artikel unter dem Titel „Nieder mit den Lehrern!“ (www.scientific.at/2007/roe_0726.htm)

Nach diesen Aktionen wachte das Unterrichtministerium nach neunmonatigem Tiefschlaf auf. In einer Mitteilung aus dem Ministerium hieß es trocken: „Frau Sektionschefin Heidrun Strohmeyr hatte für den 11. Juli im BMUKK (Anm.: Unterrichtsministerium) eine Sitzung einberufen, in der die weitere Vorgangsweise und der Abschluss des Projekts „Erste Hilfe in Bewegung" mit Herrn Nekula aus dem Ministerbüro und der Steuergruppe des Projekts diskutiert wurde. Am 5. November wird es einen Termin im BMUKK geben, an dem alle 15 Projektkoordinatoren das Ergebnis ihrer Projekte und die daraus folgenden Konsequenzen der Ministerin berichten können. Die Ministerin wird sich für das Engagement auch erkenntlich zeigen. Seitens des BMUKK soll an diesen Tag im Rahmen einer PR-Aktion bekannt gegeben werden, dass Erste Hilfe an der Schule ein quasi verpflichtender Inhalt ist, weil es für jeden erwachsenen Menschen in unserem Land die Pflicht zur Erste-Hilfe-Leistung gibt und das natürlich auch in der Schule schon gelernt und geübt werden muss. Nach Wunsch der Steuergruppe soll die Ministerin diese Überzeugung in einem Rundschreiben an alle Schulen mitteilen – mit der Info, dass es ein Curriculum in erster Hilfe gibt, das im Projekt "EH in Bewegung" entwickelt wurde, …“

Gründe für den Meinungswechsel

Am 5. November 2007 wurden die Projektkoordinatoren und einige prominente Persönlichkeiten als Aufputz ins Unterrichtsministerium geladen. Bei Brötchen und Getränken wurde eine Broschüre verteilt und die Internetseite „Erste Hilfe in Bewegung“ (www.erstehilfe-schule.at) vorgestellt. Medien waren keine anwesend, es wurde auch nicht berichtet, wenn man von einer sehr kurzen Meldung von Radio Wien absieht. Das war’s dann. Von einem Einbau der Ersten Hilfe in den Regelunterricht war keine Rede mehr, nur von einer Internetseite, auf der man sich informieren kann. Das hätte sich das Ministerium ersparen können, denn informieren konnte man sich auch vorher schon.

Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, warum das Projekt abgewürgt wurde, das alle Beteiligten viel Arbeit und Zeit gekostet hatte und eine große Sache geworden wäre.

Die Kosten hätten wegen des Engagements der AUVA keine Rolle gespielt, schon gar nicht, wenn man sie mit den Kosten des unnützen Geldvernichtungsinstituts „bifie“ vergleicht, mit dem bereits Millionen sinnlos verbrannt wurden. Ein plausibler Grund könnte sein, dass das Projekt von Ministerin Gehrer gestartet und von Rotem Kreuz und ÖAMTC unterstützt wurde. Die Ministerin gehörte der ÖVP an und die beiden genannten Organisationen sind eher dem bürgerlichen Bereich zuzuordnen, was für Unterrichtsministerin Schmied augenscheinlich nicht akzeptabel war.

Schließlich ist ein weiteres Argument nicht zu übersehen. Beim Projekt „Erste Hilfe in Bewegung“ ging es fast ausschließlich um Unterrichtsinhalte. Alle öffentlichen Diskussionen über die Zukunft der österreichischen Schulen mündeten und münden – bis zum heutigen Tag – ausnahmslos in sinnlose Strukturdebatten. In keiner einzigen Diskussion (neudeutsch: Diskurs) geht es um Fragen wie Leistungsgruppen, Fächerkanon, Sprachangebote, Rechte von Lehrern gegenüber disziplinär auffälligen Schülern und andere konkrete Kernpunkte. Das Ministerium will inhaltsbezogene Diskussionen in der Öffentlichkeit streng vermeiden, denn das könnte ja in eine Niveaudebatte ausarten.

Selbstverständlich hat die Öffentlichkeit von der Projektblockade der Unterrichtsministerin nichts erfahren. Vom ORF erfährt man ohnehin nie etwas, was einem SPÖ-Politiker schaden könnte, die schmied-affinen Inseratenmedien halten erst recht den Mund und die seriösen Medien haben ohnehin nie etwas erfahren. Von diesem Tag an ahnte ich, dass im Bereich Bildungspolitik nichts Gutes auf uns zukommen würde. Der Frust war entsprechend groß, als wir Projektleiter nach all der vergeblichen Arbeit wieder nach Hause fuhren – mit Fahrkarten, die von der AUVA bezahlt wurden.

Mag. Dr. Rudolf Öller, Jg. 1950; Gebürtiger Oberösterreicher; Studium „Biologie und Erdwissenschaften“ in Salzburg; Studium der Genetik mit Dissertation an der Universität Tübingen; Unterricht Biologie, Physik, Chemie, Informatik an einem (katholischen) Privatgymnasium, einer privaten BHS und einem öffentlichen Gymnasium in Bregenz. 

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