Es ist keinem Autofahrer entgangen: Vier Tage lang war Wien die Welthauptstadt des Fahrrads. Für Velo-City 2013 haben sich die Wiener Grünen mächtig ins Zeug gelegt: Klotzen, nicht Kleckern. Für die Radler greift Rot-Grün gerne und tief in die Taschen der Steuerzahler.
Während im Rathaus internationale Experten über die Fortschritte im „urbanen Radfahren“ schwadronierten, wurde das gemeine Volk mit allerlei mäßig originellen Events und Massenkundgebungen beglückt. Darunter eine Rad-Fashion-Show, ein Fahrrad Picknick oder – wie witzig – ein Fahrradklingelkonzert am Karlsplatz. Alles, was den grünbewegten Fahrradfan glücklich macht, setzt die linke Stadtregierung derzeit um, grün bepinselte Radwege inklusive.
Keine Frage, für die Grünen ist das Fahrrad mehr als nur Sportgerät, Kinderspielzeug oder simples Fortbewegungsmittel. Viel mehr. Während es für die meisten Zeitgenossen lediglich einen gewöhnlichen Gebrauchsgegenstand, ein profanes Alltags- und Freizeitgerät darstellt, ist es für die alternativen Ökojünger ein Kultobjekt, Gegenstand quasireligiöser Verehrung. Nur so lässt sich die Fokussierung (Hobbypsychologen würden es Fixierung nennen) der Wiener Ökotruppe auf das einfache mechanische Gerät halbwegs logisch erklären.
Velo-City 2013 sollte den grünen Neokult ins rechte Licht rücken und möglichst viele Wiener Auto-Sünder zur Um- und Einkehr bewegen. Einer der Höhepunkte dieses internationalen Radlermeetings war das kollektive in die Pedale treten zur Rushhour quer durch die abgesperrte Stadt. Gemeinsam mit Tausenden Gleichgesinnten zu radeln, scheint bei den Grünen Glückshormone freizusetzen. Gustave Le Bon hätte seine Freude gehabt.
Die Hohepriesterin des neuen Wiener Radkultes, Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, war von den zahlreich erschienenen Radfahrjüngern – oder sollte man besser sagen JüngerInnen? – hör- und sichtbar enthusiasmiert. Für sie und die vielen anderen Fahrradgläubigen offenbar ein Erlebnis von beinahe spiritueller Qualität. Dieser Radcorso quer durch die Millionenstadt war das Hochamt von Velo City 2013.
Zu diesem Ritual gehörte auch, dass die Autofahrer, sprich die ungläubigen Ökosünder, getadelt und provoziert werden mussten. Wer mit dem Rad fährt, der darf ins irdische Ökoparadies, die unverbesserlichen CO2-Sünder müssen hingegen im grünen Fegefeuer schmoren; das sind derzeit möglichst lange Staus und exorbitant hohe Autostrafsteuern.
Ja, das Rad ist weit mehr als die Summe seiner Einzelteile, wie Röhren, Schrauben, Drähte und Ketten. Strampelnd die Menschheit vor der selbst herbei phantasierten CO2-Apokalypse zu erretten – die postkatholischen Erlösungsphantasien der Grünen treiben schon seltsame Blüten. Nüchtern betrachtet ist das Fahrrad einfach, praktisch, abgasfrei und etwa genauso sexy wie Claudia Roth.
Vorwärts in die Vergangenheit
Genau deshalb gehört es zum fixen Inventar der kleinen spießigen grünen Öko-Idylle, wie Bio-Tofu und Che-Guevara-T-Shirt. Das Fahrrad ist ein Symbol des grünstichigen Weltbilds und Lebensstils. Es ist eine naiv-nostalgisch verklärte Sehnsucht nach guter alter einfacher Technik. Mit simplen Lösungen die Welt retten, das sind grüner Populismus und boboesker Volksglaube. Ja, es kann so einfach sein, Gutes zu tun und Mitglied einer selbsternannten moralischen Elite zu sein.
Dass die meisten grünen Pedalritter gerne und oft (und zumeist aus reinem Vergnügen) mit den CO2-Schleudern Airbus und Boeing um die Welt fliegen und oftmals auch ein Auto in der Garage stehen haben, ist dabei kein Widerspruch. Heuchelei war und ist fixer Bestandteil aller Religionen, Kulte und Ideologien.
Und während die grünbewegten Europäer von ihrem Teletubby-Land mit Landschaften voller gentechnikfreier Biogurkenfelder, grün bemalten Fahrradwegen und sich immer drehenden Windrädern träumen, überholen uns die Ostasiaten in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft im Eiltempo. Man kann so schnell strampeln, wie man will, ein Fahrrad bleibt eben immer nur ein Fahrrad. Vorwärts in die Vergangenheit.
Mit neuen und leichteren Materialen kann man das Rad in Details noch verbessern, technisch weiterentwickeln kann man es nicht mehr. Das Anfang des 19. Jahrhunderts erfundene Fortbewegungsmittel ist am Endpunkt seiner Entwicklung. Deshalb lieben es die Grünen auch so heiß. Es ist ein Symbol für ihre Technik-, Fortschritts- und Zukunftsfeindlichkeit.
Natürlich hat das Fahrrad als Fortbewegungsmittel seine Berechtigung. Als eine von vielen Möglichkeiten von A nach B zu kommen. Mit dem Fahrrad können halbwegs fitte Menschen bei gutem Wetter kurze und mittlere Wegstrecken zurücklegen, nicht mehr und nicht weniger. Wer sich ernsthaft mit zukunftsweisenden Verkehrskonzepten auseinandersetzt, sollte die Möglichkeiten und Potentiale des Fahrrads richtig ein- und nicht vollkommen überschätzen.
Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. 2012 ist „Die roten Meinungsmacher – SPÖ-Rundfunkpolitik von 1945 bis heute” im Deutschen Wissenschaftsverlag erschienen. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Geschichte, Politik, Ideologie und Ziele der österreichischen Grünen.