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Boulevarddemokratie im Wahljahr

Eine funktionierende Demokratie ist auf eine wirksame Kontrolle durch kritische Medien angewiesen. Die so genannte „vierte Gewalt“ haben Mächtige immer wieder zu spüren bekommen, von Richard Nixon in der Watergate-Affäre über die heimischen Skandale (AKH, Bauring, Noricum, Lucona) bis zu aktuellen Fällen weltweit (Stichwort Wikileaks).

In vielen Ländern funktionieren die Medien recht gut als Korrektiv der Mächtigen, in Österreich ist in den letzten Jahren hingegen ein gegenteiliger Trend festzustellen: Eng mit der Politik verschränkte Medien werden dieser Aufgabe immer weniger gerecht, ja – im Gegenteil! – sie verbünden sich mit der Politik und treten mit Kampagnisierungen selbst als Player in der politischen Arena auf.

Diese Asymmetrie der österreichischen Medienlandschaft hat mehrere sehr spezifische Ursachen, denn die Liste der medialen Sündenfälle ist lang. Im Printbereich sind vor allem die kartellrechtlichen Fehlleistungen bezüglich Mediaprint (1988) sowie die „Formil-Fusion“ (2001) hervorzuheben, dazu kommen auch noch andere wirtschaftliche Verflechtungen innerhalb der kleinräumigen österreichischen Medienlandschaft, die die oligopolartigen Zustände verstärken.

Im audiovisuellen Bereich haben wir einen Staatsrundfunk, der in Folge einer gezielten Personalpolitik durch vier Jahrzehnte hindurch heute politisch alles andere als unabhängig oder objektiv ist. Zwar hat der ORF stark Marktanteile verloren, hält aber im Informationsbereich immer noch eine wichtige Position.

Ein weiteres Charakteristikum der heimischen Medienlandschaft ist die weltweit einzigartige Stellung einer Boulevardzeitung („Kronen Zeitung“) mit einer Reichweite von über 37 Prozent und mit damit 2,7 Millionen Lesern täglich! An diese dominierende Stellung kommen auch so bekannte Boulevard-Giganten wie etwa die deutsche „Bild-Zeitung“ oder die britische „Sun“ nicht annähernd heran.

Schon 2010 stellte Fritz Plasser fest: Die „Kronen Zeitung“ ist „ein potenter innenpolitischer Macht- und Einflussfaktor und repräsentiert (…) das informelle Gravitationszentrum österreichischer Innenpolitik“. Am 18. Februar 2013 wurde er in einem „profil“ Interview noch deutlicher: „Österreich ist eine Boulevarddemokratie. Der Boulevardsektor sucht im europäischen Vergleich seinesgleichen und betreibt seit vielen Jahren in informeller Koalition mit politischen Akteuren redaktionellen Populismus, der den politischen Populismus verstärkt. Die Boulevardkampagnen gehen weit über das hinaus, was die deutsche „Bild“-Zeitung betreibt, und werden zudem mit Steuergeldern alimentiert.“

„Krone“ und ORF-TV stellen laut Plasser „zwei mediale Macht- und Meinungszentren“ dar, zu denen mittlerweile wohl auch „Heute“ und „Österreich“ gehören. Man denke etwa nur an die Beeinflussung der letzten Nationalratswahlen, vor allem durch die „Kronen Zeitung“, sowie an die einseitige Berichterstattung anlässlich der Wehrdienstbefragung.

Wahlverhalten bei der Nationalratswahl 2008

Stimmenanteil (Prozent) SPÖ ÖVP FPÖ Grüne BZÖ
„Krone"-Leser (ausschließlich)

39

17

26

1

12

Leser anderer Zeitungen

24

32

11

16

7

Quelle: GfK Austria, telefonische Wahltagsbefragung 2008

Als ob die Segnungen mit diesem Produkt der täglichen Trivialisierung noch nicht genug wären, haben sich in den letzten Jahren – gegen den internationalen Trend des Zeitungssterbens! – zwei weitere Boulevardblätter am Markt etabliert, die heute mit rund einer Million Leser („Heute“) beziehungsweise 680.000 Lesern („Österreich“) bereits Rang zwei und vier in der österreichischen Presselandschaft belegen. Kumuliert mit der „Krone“ haben diese drei Blätter über 4,3 Millionen Leser täglich! Das erklärt ihre Kampagnenmacht und ihre nicht unbeträchtlichen Möglichkeiten der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. (Dagegen nimmt sich die so genannte Qualitätspresse wie etwa die „Presse“ oder die „Salzburger Nachrichten“ mit rund je 260.000 Lesern oder der „Standard“ mit etwa 360.000 Lesern vergleichsweise bescheiden aus.)

Zeitungsparadies Österreich

Während etwa vor kurzem die „Frankfurter Rundschau“ und die „Financial Times Deutschland“ schließen mussten, sowie auch in den USA reihenweise Tageszeitungen zugesperrt werden, weil sie einerseits von den audiovisuellen Medien sowie andererseits insbesondere durch den Vormarsch des Internets unter Druck geraten, wurden hierzulande neue Zeitungen gegründet.

Sind die ökonomischen Gesetze für Österreich aufgehoben? Mitnichten – die neuen Zeitungen in Österreich verdanken ihre wirtschaftliche Existenz dem massiven Einsatz von Steuermitteln, mit denen sich Ministerien, Landesregierungen, öffentliche Stellen und Unternehmungen mittels Inseraten Wohlmeinung und positive Berichterstattung kaufen.

Der Autor hat diese beklagenswerte Entwicklung neulich bei einem Vortrag in Deutschland thematisiert und ist auf generelles Unverständnis gestoßen. Rechnet man die österreichischen Regierungsausgaben für Eigenpropaganda (rund 200 Millionen) auf deutsche Verhältnisse um, dann würde das bedeuten, dass Deutschland rund zwei Milliarden Euro für Regierungseigenwerbung zur Verfügung hätte. Die deutsche Praxis sieht allerdings anders aus: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte schon 1977 auf Antrag der CDU die SPD/FDP-Regierung verurteilt, weil sie durch „Anzeigenserien, Faltblätter und sonstige Publikationen (…) für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit unter Einsatz von Haushaltsmitteln“ das Grundgesetz verletzt hatte. Seitdem gibt es in unserem Nachbarland derartigen Unfug nicht mehr, ebenso wenig wie in anderen zivilisierten Ländern.

Aber Österreich ist anders. Der öffentliche Protest hielt sich in Grenzen, was ja niemanden wundern wird, denn die Medien, die von dieser korrupten Praxis profitieren, wollen sich das gute Geschäft nicht verderben. Ja wir haben die perverse Situation, dass Medien, die selbst Korruption aufdecken sollten, sich gegen Bezahlung zu Partnern und Helfershelfern politischer Kräfte machen.

Aber den einen oder anderen bissigen Kommentar gab es doch, insbesondere in Medien, die vom Füllhorn politischer Zuwendungen weniger profitierten. Und die Politik hat reagiert. Man hat aber nicht den anständigen Weg gewählt, diese Exzesse abzustellen, sondern man hat ein „Medientransparenzgesetz“ beschlossen, das lediglich dafür sorgt, dass derartige Inserate gemeldet werden, sodass der Rechnungshof und damit auch die Bürger nachträglich Rechenschaft darüber bekommen, welche Stelle wie viel Geld in welchen Medien verpulvert hat. Wer gehofft hatte, dass damit dieser Inseratenwahnsinn weniger werden würde, wurde enttäuscht: Die Ausgaben haben dramatisch zugenommen, denn jetzt ist ja nach den Buchstaben des Gesetzes die Bestechung legalisiert. Wenn man brav meldet, kann man Steuergelder in beliebiger Höhe verbrennen. Es gibt weder eine gesetzliche noch eine moralische Grenze – ein Blankoscheck für die rücksichtslose Verschwendung von Steuergeld (und das noch dazu in Zeiten, in denen wir alles andere als ausgeglichene Budgets haben).

Allein im zweiten Halbjahr 2012 inserierten Ministerien, Länder und öffentliche Stellen um 102,5 Millionen Euro (davon über ein Fünftel allein die Gemeinde Wien!). Und das in einer relativ politikschwachen Zeit ohne Wahlen oder Volksbefragungen. Man wird also nicht sehr falsch liegen, für das Wahljahr 2013 einen Betrag jenseits von 200 Millionen Euro aus Steuergeldern für die Selbstbeweihräucherung der Politik anzusetzen; bereits im ersten Quartal des heurigen Jahres wurden 42 Millionen Euro versenkt – aber da hatte der Wahlkampf ja noch nicht richtig begonnen.

Kein Wunder, dass sich viele angewidert von diesen Medien abwenden, was den Trend – vor allem bei jungen Menschen – verstärkt, sich der neuen elektronischen Konkurrenz zuzuwenden. Dennoch haben aber die etablierten Medien (die ja auch im Internet vertreten sind), gerade dank der problemlosen Finanzierung nach wie vor einen wichtigen Anteil an der politischen Meinungsbildung („share of voice“). An den mageren Verkaufszahlen von „Österreich“ (dort, wo das Blatt nicht als Gratiszeitung auftritt) sieht man, dass „Heute“ und „Österreich“ als Kaufzeitungen wohl nicht bestehen könnten. Als Gratiszeitungen, die großzügig verteilt den öffentlichen Raum verunreinigen, werden sie aber doch wahrgenommen und zumindest überflogen, und mehr Aufmerksamkeit würde man einem Flugblatt einer politischen Partei wohl auch nicht widmen.

Während diese Boulevardmedien mit ihrem Primitivjournalismus, bestehend aus Trivialisierung, Hysterisierung und Skandalisierung, höchst bescheidene mediale Qualität bieten, sind sie also als massenmediale Flakhelfer von größter Bedeutung.

Es werden auch im heurigen Wahljahr wieder die stark der SPÖ zuzurechnenden Medien (vom Küniglberg bis „Heute“) ihre „guten“ Dienste verrichten, wovon man sich bereits täglich überzeugen kann. Die ÖVP, die es seit Jahrzehnten verabsäumt hat, sich ernsthaft mit Medienfragen auseinanderzusetzen, hat kein erkennbares Medienkonzept und keine Medienstrategie. Es wird schwer werden, gegen diese geballte Meinungsmache anzukämpfen.

Prof. Dr. Herbert Kaspar ist Herausgeber der ACADEMIA, der Zeitschrift des österreichischen Cartellverbandes. Dieser Kommentar ist der Juni-Ausgabe entnommen.

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