Rund ein Jahr nach „Die Demokratische Krankheit“, legt der deutsche Ökonom Christoph Braunschweig erneut eine Arbeit vor, die sich mit jenen Herausforderungen auseinandersetzt, mit denen sich liberale Demokratien dieser Tage zunehmend konfrontiert sehen. Auslöser der anhaltenden Schulden- Wirtschafts- und Finanzkrise ist nach Meinung des Autors die „kollektive Unvernunft in der Massendemokratie“.
Der fortschreitende Siegeszug des Sozialismus, der nach dem Zerfall der UdSSR keineswegs zum Ende gekommen ist, findet seinen deutlichsten Ausdruck in der planmäßigen Zerstörung der Familien, die ein letztes Bollwerk des Privaten gegen den übermächtigen, alle Lebensbereiche durchdringenden Staat bilden. Ein umlagebasiertes Rentensystem ist gleichermaßen für den Geburtenrückgang und die Verlangsamung der Kapitalbildung in privater Hand verantwortlich: Wozu noch individuell für die Zukunft vorsorgen, wenn einem doch der Sozialstaat von der Wiege bis zur Bahre alle Lasten zuverlässig abnimmt? An die Stelle individueller Verantwortung tritt ein – immer häufiger kritiklos geleisteter – Gehorsam gegenüber dem Staat, der seine Fortsetzung und Erweiterung im supranationalen Imperium der EU findet. Die Vergrößerung von Entscheidungseinheiten führt indes stets zu einer immer weiteren Entfremdung zwischen Herrschern und Beherrschten und zu einer stetigen Entkoppelung von Recht und Verantwortung.
Ein ausführlicher historischer Abschnitt – der sich in mehrere Teile gliedert und an den Ideen großer Denker, von der Antike bis in die Gegenwart, orientiert – nimmt sich der Untersuchung des Gegensatzes zwischen Freiheit und Gleichheit an. Anders als die angloamerikanische Welt, die freiheitsorientierten aristotelischen Grundsätzen folgt – die über John Locke, Edmund Burke und David Hume den liberalen Verfassungsstaat hervorbringen – orientiert sich das kontinentale Europa stark an den Ideen Platons, die über Rousseau zur Französischen Revolution und in den Napoleonischen Totalitarismus und in der Tradition Fichtes und Hegels zum Deutschen Idealismus und Nationalismus führen.
Die „Kathedersozialisten“, wie Gustav Schmoller und Werner Sombart beschädigen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachhaltig das Ansehen des wirtschaftsorientierten Bürgertums in Deutschland. Besonders Sombart wird nicht müde, den angeblich verächtlichen „britischen Krämergeist“ mit dem edlen, aber kriegerischen Wesen der Deutschen zu kontrastieren. Seine Ausführungen fallen auf fruchtbaren Boden und so ist es kein Wunder, dass in deutschen Landen kein freiheitsliebendes, selbstbewusstes Bürgertum entstehen kann, wie es in Großbritannien und in den von diesem emanzipierten USA tonangebend wird. Das unentwegte Streben nach mit Gerechtigkeit assoziierter Gleichheit hat bis heute eindeutig Vorrang vor dem Kampf für die Freiheit. Dass es politische Freiheit allerdings ausschließlich dort geben kann, wo auch wirtschaftliche Freiheit herrscht, wird vielfach nicht erkannt.
Die jedem Freisinnigen haarsträubend anmutende Staatsgläubigkeit konnte dem Deutschen Michel selbst durch zwei Weltkriege und Jahrzehnte langen nationalsozialistischen, bzw. kommunistischen Terror nicht ausgetrieben werden. So oft heute ein Problem auftaucht (das oft genug durch nachteilige, hoheitliche Regulative oder Misswirtschaft bedingt ist), erschallt reflexartig der Ruf nach noch mehr Staat. Folgerichtig soll etwa dem Problem der ausufernden Staatsverschuldung durch noch mehr Schulden begegnet werden. Legionen von mit Steuergeldern bezahlten oder im Dienste des staatsnahen Finanzsektors stehenden „Experten“ und Intellektuellen liefern dazu den geistigen Unterbau, der von den Hauptstrommedien willfährig und dankbar publiziert wird. „Der Aktionismus und Machbarkeitswahn der „Mainstream-Ökonomen“ führt lediglich dazu, dass sich die Lage weiter verschlimmert – zu Lasten der zukünftigen Generation.“
Braunschweig plädiert für ein Ende des staatlichen Geldmonopols, das – als lupenrein planwirtschaftliches Instrument – mit einer freien Marktwirtschaft auf Dauer unvereinbar ist. Nur die Rückkehr zu einem Warengeld, wie es bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs international gebräuchlich war (Gold), und ein Ende des Teilreservesystems der Banken kann das Geldwesen wieder auf eine gesunde Grundlage stellen. Der Wegfall der Möglichkeit des Stimmenkaufs mittels „Fiat Money“, würde dem Leviathan einen beträchtlichen Machtverlust eintragen und die Bürger in einen großen Teil der ihnen entrissenen Rechte wieder einsetzen.
Kleine politische Einheiten sind für den Bürger vorteilhafter als große: „Kleinstaaten müssen eine Niedrig-Steuerstrategie und ein klare Ordnungspolitik praktizieren, ansonsten wandern insbesondere die produktivsten Bürger und Unternehmen ab“. Und schon Montesquieu, geistiger Vorkämpfer der Gewaltenteilung, bemerkte: „In großen Staaten wird das Gemeinwohl tausenderlei Rücksichten geopfert, während es in einem kleinen Land näher bei jedem Bürger ist.“ Es liegt auf der Hand, dass diese Verhältnisse sich im zentral kommandierten Moloch EU, selbst gegenüber großen Nationalstaaten, weiter verschlimmern. Um das Unheil zu komplettieren, ist die katastrophale Fehlentscheidung zur Einführung einer gemeinsamen Zwangswährung soeben im Begriff, längst überwunden geglaubte Ressentiments zwischen den Nationen erneut aufleben zu lassen.
Den einzig gangbaren Ausweg aus dem Dilemma sieht Braunschweig in einer Rückbesinnung auf Verantwortungsethik und liberale Ordnungspolitik. „Es gilt die zeitlose Weisheit des Perikles (500 – 429 v. Chr.): „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.“ Und Mut bedeutet, dass man standhaft gegen die Mehrheit steht.“ Eleganter kann man es nicht formulieren.
Wohlfahrtsstaat – leb wohl!
Christoph Braunschweig
LIT-Verlag Berlin, 2013
317 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-643-12112-7
€ 29,90,-
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.