Der Gesetzgeber schickt sich gerade an, die beliebteste Gesellschaftsform unseres Wirtschaftslebens, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, mit wenigen Federstrichen einschneidend zu ändern. Die Gründung einer GmbH soll erheblich billiger werden. Zu diesem Zweck wird das Mindeststammkapital wird von 35.000 Euro auf 10.000 Euro gesenkt. Das verführt zur Unterkapitalisierung, baut den bisherigen Gläubigerschutz ab und erhöht die Insolvenzgefahr.
All das verschwindet hinter dem Plakat der Verbesserung des Wirtschaftsstandortes Österreich und der Förderung unternehmerischer Kreativität durch eine billigere Gründung, was zwar an sich Beifall verdient, doch nur dann, wenn es Begleitmaßnahmen gibt, die verhindern, dass das Kind mit dem Bade ausgegossen wird. Eben das geschieht aber gerade.
Ein diskutabler Entwurf wird „abgeräumt“
Am 21. Mai hat der Ministerrat den diesbezüglichen Entwurf eines „Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2013“ (GesRÄG 2013) an das Parlament weitergeleitet. Nun sind die Abgeordneten am Zug. Ob sie das Gesetzesvorhaben noch ausbalancieren wollen, ist die Frage. Dabei war noch vor einiger Zeit alles im Lot. Der Wirtschaftskammer und maßgeblichen Wirtschaftskreisen ist es allerdings in der letzten Phase der Entwicklung auf höchster politischer Ebene gelungen, die ausgewogenen Vorarbeiten des BMJ zu einer GmbH-Reform so zusammenzustreichen, dass sich alle Gegengewichte zur geplanten gravierenden Herabsetzung des Mindestkapitals (auf das Niveau vor 1980!!) in Luft aufgelöst haben.
So wurden aus dem ursprünglichen Entwurf des BMJ alle dem Gläubigerschutz dienenden Begleitmaßnahmen zur Herabsetzung des Mindeststammkapitals eliminiert und damit ein Schritt zur Anglo-Amerikanisierung unseres GmbH-Rechts gesetzt, ohne die (außerhalb des Gesellschaftsrechts angesiedelten) Gläubigerschutzmaßnahmen des anglo-amerikanischen Rechts zu übernehmen.
Gegen allen Widerstand
Die zahlreichen ablehnenden Stellungnahmen zum Entwurf des GesRÄG 2013 wurden ignoriert. So lehnen alle Professoren, die sich offiziell geäußert haben, den Gesetzesvorschlag in seiner derzeitigen Form ab (Hügel, Krejci, Rüffler, Schauer, Schummer, Torggler). Noch weitere vierzehn Rechtswissenschafter, mit denen ich in der Angelegenheit kommunizierte, teilen diese Kritik. Das will bei Professoren, die bekanntlich selten einer Meinung sind, was heißen. Ferner sind insbesondere die Stellungnahmen der Bundesarbeitskammer, der Österreichischen Notariatskammer, des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, des Kreditschutzverbandes 1870, des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und des ÖAMTC klar negativ. Kritisch sind auch einige Bundesländer, die zu Recht monieren, dass sie auf rechtswidrige Weise übergangen wurden, weil sie zur Verkürzung ihrer Steuereinnahmen nicht befragt wurden.
Selbst der positiv votierende Österreichische Rechtsanwaltskammertag kann sich ergänzende Begleitmaßnahmen zur Herabsetzung des Mindeststammkapitals vorstellen. Alles verlorene Liebesmüh‘. Die Regierung ließ sich nicht beeindrucken, sondern beharrte auf dem, was die Regierungsklausur des vorigen Herbstes vorgab. Dort fanden bemerkenswerte Junktimierungen politischer Projekte statt, die der SPÖ offenbar so viel wert sind, dass sie den Gegendruck aus den eigenen Reihen allem Anschein nach aushält.
Die angebliche Invasionsgefahr
Als Begründung für den Entwurf wird angegeben, dass sich Österreich vor dem unionsrechtlich zulässigen Einmarsch ausländischer Billig-GmbHs und damit vor einem Unterwandern unseres eigenen Gesellschaftsrechts schützen müsse. Von einer solchen Gefahr kann aber keine Rede sein. Selbst die englischen Limiteds, die vormals als Alternative zur teuren österreichischen GmbH beworben wurden, haben die Gründungen österreichischer GmbHs nicht zurückgedrängt. Andere europäische Billig-GmbHs sind in Österreich überhaupt nicht bemerkbar. Und die deutsche „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ hat bislang österreichische Gründer auch nicht in hellen Scharen angelockt.
Das Projekt einer Societas Privata Europaea, einer „europäischen GmbH“, ist inzwischen (nicht zuletzt dank energischer Gegenwehr Österreichs!) in ihrer ursprünglichen anglo-amerikanischen Konzeption so gut wie tot. Trotzdem wird unter dem Feldzeichen der Abwehr ausländischen Übels marschiert, um ein gleichartiges inländisches Übel zu implementieren. Motto: „Bevor mich ein anderer in den Abgrund stößt, spring ich lieber selber.“
Der Paradigmenwechsel zum „Unternehmer zu Lasten Dritter“
Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass von maßgeblichen Kreisen der Wirtschaft die weitgehend kapitallose GmbH an sich (und nicht bloß im Hinblick auf die Abwehr ausländischer Billig-GmbHs) als Wohltat empfunden wird, die man unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung unbedingt zuteil werden lassen solle. Womit wir auf die ideologische Wurzel des angestrebten Paradigmenwechsel im GmbH-Recht stoßen:
Bislang galt der Grundsatz, dass auch Gesellschafter einer GmbH in angemessener Weise mit eigenem Kapital das unternehmerische Risiko der GmbH mit zu tragen haben. Wenn die Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten schon nicht persönlich voll haften (wie das die OG-Gesellschafter, die Komplementäre der KG oder die Einzelunternehmer tun), so sollen die GmbH-Gesellschafter doch wenigstens mit einem gewissen Teil ihres eigenen Vermögens ihr unternehmerisches Risiko auch selber tragen. Warum? Um die Allgemeinheit vor allzu großer unternehmerischer Risikofreude ausschließlich auf Kosten anderer zu bewahren. Dieses eigentlich jedem einigermaßen vernünftigen Menschen einleuchtende Anliegen ist nicht mehr das des GesRÄG 2013. Dort herrschen andere Überlegungen vor.
- Das neue Hauptdogma lautet: Es sei nicht einzusehen, warum ein Unternehmer, der es ohnehin in Österreich so schwer hat (Steuern und Abgaben bei jeder Gelegenheit, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, Verbraucherrecht, Gewerbeordnung, drückende sonstige verwaltungsrechtliche Vorschriften, steigende Verbürokratisierung, in jedem Bundesland andere Rechtsvorschriften etc etc), für seine unternehmerische Tätigkeit auch noch eigenes Geld riskieren soll. Er solle vielmehr auch auf die Gefahr hin (mitunter sogar mehrfach) zu scheitern, die Chance haben, sich ohne spürbaren Einsatz von Eigenkapital selbständig zu machen bzw das auch immer wieder neu versuchen zu können. Geht’s schief, dann soll er ruhig mit der GmbH in Konkurs gehen, ohne dabei selbst was zu verlieren. (Wenn man ihm was Kriminelles vorwerfen kann, treffen ihn ohnehin Nachteile; er soll aber das sonstige allgemeine Unternehmerrisiko nicht mit eigenem Vermögen (auch nicht mit einem in die Gesellschaft zu steckenden Vermögen) tragen. Insofern seien eigentlich schon 10.000 Euro zu viel!
Mit anderen Worten: Der Unternehmer soll ohne eigenen Einsatz Roulette spielen dürfen. Gewinnt er – so ist es gut. Verliert er – braucht er nichts zu zahlen. Die Verlierer sind Dritte. Das betrifft aber nicht nur den mittellosen Unternehmer, sondern auch den reichen, der nicht bereit ist, für sein Unternehmen eigenes Geld zu riskieren. 1906 hat man noch gesagt: Wenn die Unternehmer schon privat für ihre unternehmerischen Aktivitäten, die sie in Form der GmbH entfalten, nicht haften, dann sollen sie wenigstens in etwa den Wert eines Einfamilienhauses auf den Spieltisch legen. Jetzt hingegen soll ein Hosenknopf genügen. - Jedwede sonstige Ausweitung der persönlichen Haftung von Gesellschaftern als Gegengewicht zu ihrem Marktauftritt als GmbH mit leerer Kasse sei abzulehnen. Da könnten die „Kleinen“ ja gleich als Einzelunternehmer oder als Personengesellschaft tätig sein, was sie gerade wegen ihrer damit verbundenen persönlichen Haftung nicht tun wollen. Was der Gesetzgeber im Moment freilich nicht steuern kann, ist eine etwaige Reaktion der Judikatur im Hinblick auf die Durchgriffshaftung für qualifizierte Unterkapitalisierung. (Da sind aber derzeit noch viele Fragen offen! Hoffentlich kommt man nicht noch schnell auf den Gedanken, diese Durchgriffshaftung gesetzlich zu verbieten!!).
- Was das „Kapitalaufholungs- und Thesaurierungsmodell“, wie es die deutsche GmbH-Reform kennt, betrifft, so sei man gegen jegliches „Zwangssparen“. Das wäre ja noch schöner, Gesellschafter zu zwingen, Geld in ihrer Gesellschaft zu lassen. Daher werde begrüßt, dass auch alte Gesellschaften bis auf 10.000 Euro via Kapitalherabsetzung „ausgeräumt“ werden können. Das geht freilich nur, wenn dadurch keine Gläubigeransprüche geschmälert werden. Gibt es solche im Moment aber nicht, kann man schnell das Gesellschaftsvermögen steuersparend bis auf 10.000 Euro absenken. Dazu ermuntert der Ministerialentwurf geradezu! Dass dann der nächste Windhauch die Gesellschaft umbläst, ist offenbar uninteressant.
- Dass eine kapitalschwache GmbH die Gefahr des Missbrauchs dieser Gesellschaftsform vermehre, mag ja sein, falle aber gemessen am ohnehin schon heute geübten Missbrauch der GmbH und den sonstigen Malversationen, die es bei großen Gesellschaften gibt, nicht ins Gewicht. „Kleine“ könnten ohnehin keinen wirtschaftlich ernsthaft zu Buche schlagenden Schaden anrichten. Solche Kollateralschäden durch Missbrauch der künftigen GmbH werde unsere Wirtschaft schon aushalten.
- Die Sorge, dass eine mit 5.000 Euro gründbare GmbH ein erhöhtes Insolvenzrisiko berge, mag gleichfalls zutreffen, doch sei diese Sorge übertrieben. Das müsse angesichts der Chance für Leute, die unternehmerische Ideen, aber kein Geld haben oder, auch wenn sie es haben, einfach keine persönliche Haftung für ihre unternehmerische Tätigkeit tragen wollen, in Kauf genommen werden. Immerhin würden kreative unternehmerische Kräfte gefördert, die sich sonst nicht entfalten würden. Auch den Kollateralschaden vermehrter Insolvenzen werde unsere Wirtschaft schon aushalten.
Den, der da meint, genau das sei großartig, kann man schwerlich bekehren. In einer Zeit, in der alles unternommen wird, um dem Einzelnen sein eigenes Lebensrisiko durch unterschiedlichste „Sozialisierungen“ abzunehmen, liegt es im Trend, ihm auch noch das eigene Unternehmerrisiko weitgehend abzunehmen. Dann aber wird die Prämisse von der Eigenverantwortung des Unternehmers zur hohlen Phrase. Wer unternehmerische Eigenverantwortung nach wie vor ernst nimmt, wird ein Unternehmertum zu Lasten Dritter ablehnen, das den (freilich durch hohe Steuerlasten erheblich reduzierten) Gewinn den Gesellschaftern lässt, das Verlustrisiko jedoch vor allem den Gläubigern zuweist.
Die Methode, Gewinne den Unternehmen zu lassen, Verluste hingegen der Allgemeinheit umzuhängen, ist in jüngerer Zeit auf beklemmende Weise vor allem im Bankenbereich Mode geworden. Die verbilligte GmbH zielt auf die Kassen der Gläubiger. Banken, Versicherungen und die Industrie werden die verbilligte GmbH nicht wirklich stören; dort wird sie sich vielmehr gar nicht erst entfalten können. Die Opfer frühzeitig wegen Unterkapitalisierung in die Pleite gerutschter GmbHs werden Arbeitnehmer, Verbraucher und gleichfalls kleine Handelspartner sein.
Mittelbar freilich auch das staatliche Sozialnetz. Doch hat diesbezüglich die angestrebte Lösung des GesRÄG 2013 auch eine entlastende Seite: Wenn man Arbeitslose dazu gewinnen kann, sich mit Hilfe einer billigen GmbH selbständig zu machen, scheiden sie aus dem AMS aus – und kommen auch nicht wieder rein, weil das AMS Selbständigen nicht zur Verfügung steht. Insofern entlastet also jede – auch missglückte – Einpersonen-Billig-GmbH, die ein Arbeitsloser gründet, das AMS.
Steuer- und Tarifsenkung auf Kosten des Gesellschaftsrechts
Immerhin gelingt es dem Entwurf eines GesRÄG 2013, die (insgesamt merkwürdige) Mindest-Körperschaftssteuer und auch gewisse Tarife auf einem gesellschaftsrechtlichen Umweg – nämlich durch die Herabsetzung des Mindeststammkapitals – zu reduzieren. Das hätte man auch machen können, ohne dem GmbH-Recht (nicht zuletzt auch wegen des Effekts der Senkung der Mindest- Körperschaftssteuer) ein Bein zu amputieren.
Letzter Rettungsversuch: Sukzessiver Aufbau eines spürbaren Eigenkapitals
Wenn das aber der Gesetzgeber partout so haben will, sollte er zumindest das für die deutsche „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ vorgeschriebene „Kapitalaufholungs- und Thesaurierungsprinzip“ einführen: Gewinne einer Billig-GmbH sind zu einem gewissen Teil so lange in der Gesellschaft zu halten, bis das bisher vorgeschriebene Mindeststammkapital von 35.000 Euro (oder wie in Deutschland: 25.000 Euro) in der Gesellschaft angespart ist. Dies ließe sich leicht noch im Parlament erreichen. Man bräuchte nur die diesbezügliche deutsche Regelung in das österreichische Recht zu übernehmen – und schon hätte man eine einigermaßen erträgliche Mittellösung.
Der Start wäre allemal billig, aber zumindest dort, wo der Start geglückt ist, soll das Eigenkapital der GmbH wenigstens auf jenes Niveau anwachsen, das den Gesellschaftern die Verantwortung für den Umgang mit dem unternehmerischen Wagnis persönlich spürbar macht. Zugleich würde verhindert, dass die Gesellschafter aufgrund der neuen Rechtslage ihre bislang besser dotierten GmbHs bis auf 10.000 Euro Stammkapital „ausräumen“. Zugleich sollte die neue österreichische Billig-GmbH nach außen hin als solche gekennzeichnet sein, damit der Geschäftsverkehr, ohne vorher das Firmenbuch konsultieren zu müssen, schon vorweg die Kapitalschwäche des Geschäftspartners signalisiert bekommt.
Dass all dies maßgeblichen Protagonisten der Wirtschaft, aber auch Politikern, die ja allesamt immer wieder das zu geringe Eigenkapital österreichischer Unternehmen bedauern, so schwer als das Mindestgebotene begreiflich gemacht werden kann, verwundert.
Sonstige Vergünstigungen des Entwurfes für werdende Unternehmer halten sich in Grenzen: Dass man ein Billigformular für Einpersonen-Gründungen geschaffen hat, das erst recht Rechtsberatung erforderlich macht, damit die Leute nicht blind ins offene Messer rennen, ist eher eine Maus, die da der kreißende Berg in die Welt setzt. Das gilt auch für das Streichen der Bekanntmachung der GmbH in der Wiener Zeitung und die damit verbundene Ersparnis von nicht einmal 200 Euro. Vieles, was insbesondere Jungunternehmer (aber auch alle anderen) nervt, wurde ohnehin nicht angegangen. So unsere in vielen Belangen immer noch zünftlerische Gewerbeordnung, unsere überbordende Verwaltung und dergleichen mehr.
Alles in allem ist es halt wieder einmal so weit. Wie heißt’s so schön bei Grillparzer (Bruderzwist im Hause Habsburg, 2. Aufzug): „Das eben ist der Fluch von unserm edlen Hause: Auf halbem Wege und mit halber Kraft zu halben Zielen zögernd fortzuschreiten!“ Nur zur Klarstellung: Die Hälfte wäre erst erreicht, wenn das GesRÄG 2013 wenigstens das deutsche Kapitalaufholungs- und Thesaurierungsprinzip übernähme. Schön wär’s. Halbschön.
Zur Person:
Em. o. Univ-Prof. Dr. Heinz Krejci
Geb. 1941 in Wien; Dr. iur 1963; 1963 – 1973 Assistent am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien; 1972 Habilitation für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Sozialrecht; 1973 – 1976 ao. Univ.-Professor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, 1973/74 Gastprofessor an der Freien Universität Berlin, 1976 – 1985 Ordinarius für Privatrecht und Wirtschaftsrecht an der Karl-Franzens-Universität Graz, dort Vorstand des Instituts für bürgerliches Recht; ab 1985 Ordinarius für Handels- und Wertpapierrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, 16 Jahre bis zur Emeritierung Vorstand des Instituts für Unternehmens- und Wirtschaftsrecht. Nach wie vor Vortragender, Rechtsgutachter, Schiedsrichter, rechtspolitischer Berater insbesondere des BMJ. Über 400 wiss. Publikationen auf den Gebieten des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts, Zivilrechts, Versicherungsrechts, Verbraucherrechts, Bauvertragsrechts, Arbeits- und Sozialrechts.