Der kleine dritte Weltkrieg

Er dauert nicht lange, sieht aber heftige Schlachten mit modernstem Kriegsgerät – und die Kampfhandlungen umspannen den gesamten Planeten Erde.

8. März 2013 – ein Sprecher der südkoreanischen Regierung droht der nordkoreanischen Führung die komplette Auslöschung an, falls sie eine nukleare Attacke auf den Süden wagen sollte. Nur Stunden zuvor hatte Nordkorea mit einer atomaren Vernichtung südkoreanisch-amerikanischer Kommandozentren gedroht. Worauf der UN-Sicherheitsrat erstmals einstimmig eine Resolution verabschiedete – mit weiteren Verschärfungen der seit den jüngsten nordkoreanischen Atom- und Raketentests bereits ziemlich harten Sanktionen. Das Regime unter der Führung des jungen Kim Jong-Un antwortet mit der Aufkündigung des Waffenstillstandes von 1953, mit dem der 1950 durch eine kommunistische Attacke auf den Süden ausgelöste Koreakrieg gestoppt werden konnte.

Reine Rhetorik, Kraftmeierei, in der sich der kommunistische Norden seit langem übt – gestärkt durch eine wachsende Atomrüstung? Und ist der kapitalistische, demokratische Süden Koreas nun auf diesen Wagen harscher Worte aufgesprungen, weil es sonst absolut gar nichts gibt, mit dem man die „Verrückten“ in Pjöngjang in die Schranken weisen könnte?

Wenn es nur so einfach wäre. Worte können leicht eskalieren. Und irgendwann verliert jemand an der seit 1953 bestehenden Waffenstillstandslinie am 38. Breitengrad die Nerven und schießt scharf. Dann könnte der Norden mit einer Atombombe den für eine Panzerarmee undurchdringlichen Minengürtel „freischießen“ und die Reste der im Süden noch stationierten US-Truppen vernichten und die Marineeinheiten der 7. US-Flotte im Gelben Meer versenken.

Seit Wochen sind wieder gemeinsame Manöver Südkoreas mit den USA an Land und auf dem Meer im Laufen. Wieder haben Teile der 7. US-Flotte im Pazifik ringsum Stellung bezogen – von Okinawa bis hinter Taiwan und hinunter nach Australien. Seit Jahren berichten höchstrangige Überläufer aus Nordkorea, dass das Regime in Pjöngjang nicht deshalb so aggressiv vorgeht und u. a. freihändig südkoreanische Schiffe versenkt, um ein paar Barrel Öl und Getreide zu erpressen, sondern dass man dort alles auf eine einzige Karte setzt: Nämlich Südkorea zum geeigneten Zeitpunkt per Überraschungsangriff zu überrennen. Das war die Politik Kim Il Sungs seit 1945 und wurde von seinem Sohn Kim Jong-Il fortgesetzt. Nun scheint dem erst im Vorjahr installierten Enkel Kim Il Sungs – Kim Jong-Un – der Kamm geschwollen zu sein und er könnte auf einen Angriff seiner Millionenarmee setzen.

Das Warten auf den Tag X enerviert den Westen seit dem 15. Jänner 1975, als auf einem ganz anderen Schlachtfeld in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus – tausende Kilometer weiter im Süden – 1600 nordvietnamesische Panzer, unter Bruch des Friedensvertrages von Paris aus dem Februar 1973, aus heiterem Himmel über den 18. Breitengrad preschten und Südvietnam im Sturmlauf bis Saigon binnen dreier Wochen eroberten.

Die Armee Südvietnams war damals gut gerüstet und trainiert gewesen. Aber die Machtzentrale in Washington D.C. war durch den Rücktritt von Richard Nixon im Zuge der Watergate-Krise geschwächt und das US-Parlament nicht mehr bereit, nach zehn Jahren Krieg in den Dschungeln Südostasiens auch nur das Leben eines einzigen weiteren Amerikaners für ein westlich orientiertes Südvietnam zu opfern. Den Flugzeugträgern wurde per Eilbeschluss verboten, in die Kampfhandlungen einzugreifen. Dabei wären die russischen T-72 Panzer für die amerikanischen lasergesteuerten Bomben ein leichteres Ziel gewesen als die früher im Dschungel versteckten Vietkong, mit dem Effekt, dass die Südvietnamesen ihre teuren Waffen hinschmissen und sich den Truppen General Giaps massenweise ergaben. Ein tolles Lehrstück auch für die Militärkamarilla in Nordkorea. Jetzt, 2013, ist man am Ziel lang gehegter Wünsche. Mit nachweislich mindestens zehn Atombomben in der Rückhand kann Nordkorea einen Überfall auf Seoul wagen.

Alle sind sehr besorgt, was nun kommen mag. Die Südkoreaner an erster Stelle; ein voller Krieg auf ihrem Territorium würde sie sehr schwer treffen. Die Amerikaner, die noch mit ein paar tausend Mann nahe dem 38. Breitengrad stehen und wohl die ersten Ziele für die schwere Artillerie von 11.000 an der Grenze stationierten nordkoreanischen Haubitzen wären. Japan, das mit der Möglichkeit rechnen muss, dass in seinem Perimeter abermals Atombomben zum Einsatz kommen. China, das in den letzten drei Jahren still und leise 300.000 Mann in seiner Nordprovinz zusammengezogen hat, ohne deutlich zu sagen, ob sie eine Warnung an die Adresse Nordkoreas sein sollen oder gar eine stillschweigende Rückenstärkung für ein militärisches Abenteuer. Zuletzt das mit seiner sibirischen Fernost-Provinz ebenfalls betroffene Russland, dem es nicht egal sein kann, ob es in unmittelbarer Nähe seines Pazifikhafens Wladiwostok zu nuklearen Kampfhandlungen kommt.

Gefahrenherd Iran

Und es ist eben dieses Russland, das in diesen Tagen eines asiatischen Nervenspiels in einer anderen Weltecke mit zwei Problemen zu kämpfen hat. In seinem langjährigen Satrapen Syrien herrscht Bürgerkrieg und Russland droht dort seinen Kriegshafen Latakia und seinen Einfluss generell zu verlieren – wie nach der US-Invasion im Irak im Frühjahr 2003.

Als Zweites droht ein israelischer Militärschlag auf die Atomanlagen im Iran. Das wäre weit weg von Korea, aber nicht ohne Zusammenhang. Denn der fanatische islamische Fundamentalist Mahmud Ahmadinejad – am 8. März beim Begräbnis des venezolanischen Liders Hugo Chavez in Caracas – vertritt voller Überzeugung die Meinung, dass Israel zerstört werden muss, und dass diese Tage der Entscheidung nun vor der Tür stünden. Und er sagt das wahrscheinlich nicht von ungefähr. Denn der Iran ist seit langem mit Nordkorea verbündet und die Vermutung steht im Raum, dass die Steinzeitkommunisten vom anderen Ende der Welt nicht nur Baupläne für eine Atombombe geliefert haben, sondern auch ein, zwei Stück echter, einsatzbereiter Hardware.

Israelische Jets haben am 6. September 2007 einen von Nordkoreanern errichteten Plutoniumreaktor in Syrien eingeäschert, was andeutet, dass der Iran – so wie die Amerikaner 1945 – auf zwei verschiedenen Wegen eine Atomwaffe entwickelt – und neben einer Uran-Bombe auch noch den Besitz einer Plutoniumbombe anstrebt. Während viele gut meinende, friedensbewegte Menschen im Westen noch überlegen wollen, ob der Iran überhaupt an nuklearen Waffen arbeitet, hat Teheran weitere Uran-Zentrifugen unterirdisch errichtet. Nun hat auch die internationale Atombehörde IAEA den Alarmknopf gedrückt. Die deutliche Verschärfung der Sanktionen gegenüber Teheran durch die Vereinten Nationen und einzelne Großmächte scheint also das erwartete Ergebnis gebracht zu haben – nämlich keines.

Diese Faktenlage hat Israel von Anfang an in seinem Kalkül gehabt und sich vorbereitet. „Wir werden einen nuklearen Iran nicht dulden“, hieß die Losung in allen politischen Parteien. Israel schärfte sein Schwert – unter Präsident Bush mit offener amerikanischer Hilfe, unter Barack Obama verdeckt. Eine lückendichte Raketenabwehr gegen ballistische Geschoße – „Iron Dome“ – wurde installiert, die Amerikaner lieferten dafür das hochsensible Radarsystem, stellten es in die Negev-Wüste und bemannen es – gegen das Versprechen, den Iran nicht vorzeitig anzugreifen. Vorzeitig heißt für die Israelis: Warten mit einem Angriff auf die iranischen Atomeinrichtungen, bis wirklich klar ist, dass die Sanktionen nicht greifen.

Sobald eine ballistische Rakete mit einem Sprengkopf an der Spitze sich zwei Meter über den Staub der iranischen Wüsten erhebt, wissen das die Computer in der Negev-Wüste und schießen das Projektil ab. Aber auch seine eigenen Abwehrraketen hat Israel weiterentwickelt. Das „Arrows“-System ist mittlerweile sogar bei den Amerikanern heiß begehrt. Im Herstellen von Mittelstreckenraketen, Cruise-Missiles und Kampfdrohnen sind die Techniker in Tel Aviv nunmehr Weltmeister. Elektronik und Software sind zu israelischen Exportschlagern geworden. Technologien, die sich auch in den Bildscannern österreichischer Druckereien und Werbeagenturen finden oder in den neuartigen Biotechlabors in Wien. Im vergangenen Herbst bewiesen die Abwehrraketen in der einwöchigen „Gaza-Krise“ ihre Leistungsfähigkeit. Ein Großteil der feindlichen Projektile wurde abgeschossen oder landete elektronisch fehlgeleitet in Meer und Wüste.

In Israel gehören militärische Übungen in großem Stil seit dem Amtsantritt von Ahmadinejad im Iran zur Routine. Fast wöchentlich fliegt eine Rotte von Kampfjets mit Tankflugzeugen von Tel Aviv bis Gibraltar und retour, dann wieder üben 100 Bomber Angriffsmanöver auf Kreta, Zypern oder Sardinien. Der Zivilschutz errichtet Zeltlager von Haifa bis Eilath mit allem, was dazugehört: Großküchen, Operationssälen und Lagern für Gasmasken. Die Kommentatoren halten das für bloße Abschreckung und für ein Druckmittel zum Durchsetzen von Sanktionen. Die Sanktionen sind nun da, die Wirkung aber lässt nach wie vor auf sich warten.

Ahmadinejad hingegen hat keinen Zweifel daran gelassen, dass Tel Aviv komplett zerstört werden wird, falls Israel die iranischen Atomanlagen angreift. Wie kann er so etwas sagen? Mit konventionellen Bomben gelingt das sicher nicht. Wenn er nicht nur prahlt, dann bedeuten seine Worte möglicherweise, dass er bereits im Besitz einer einsatzfähigen Atombombe ist. Die hätte der Iran wohl aus Nordkorea beschafft, oder aus Pakistan, oder aus den unmittelbar nach der Wende zeitweise unbewachten Depots der zerfallenden Sowjetunion. „Israel muss vorsichtig sein“, sagte er in einem Interview mit dem Spiegel vor Jahren, „Eine Bombe genügt, um den kompletten Staat Israel auszulöschen. Der Iran ist aber auch mit 10 Atombomben nicht zu vernichten.“ Was die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton 2009, kaum im Amt, veranlasst hat, von einer totalen Zerstörung des Iran zu sprechen. Als Senatorin hatte sie in ihrem Staat New York auch eine Million Staatsbürger jüdischen Glaubens zu vertreten.

Die Lage spitzt sich weltweit zu

Israel nimmt diese Sprüche nicht auf die leichte Schulter. „Ahmadinejad ist ein neuer Hitler,“ heißt es in Jerusalem, „Und Hitler hat alles durchgeführt, was er je angekündigt hatte.“ Es war ein jüdisches Psychiaterteam in New York, das 1942 für Präsident Franklin D. Roosevelt auf 1200 Seiten festhielt, wie der verhaltensgestörte Maniker in Berlin tickte. Sie haben ein Meisterwerk abgeliefert, das von den alliierten Strategen leider kaum beachtet wurde. Denn in der Philosophie der damaligen Zeit war nicht Hitler der Gegner, sondern Deutschland. Jede einzelne psychologische Prognose der New Yorker Forschungsgruppe Hitler hatte sich bewahrheitet. Sogar einen Putschversuch von Wehrmachtsoffizieren sahen sie voraus. Die Nachfahren dieses New Yorker Teams im heutigen Tel Aviv haben sich wahrscheinlich ebenso wissenschaftlich genau ein Bild von Ahmadinejad gemacht. Ihr Verdikt: „Er ist ein neuer Hitler“. Einer, der noch dazu daran glaubt, dass ein Krieg die Wiederkehr des 12. Imam herbeiführen wird. Das hat er sogar vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen der Welt mitgeteilt. Nicht auszuschließen, dass er, Ahmadinejad, sich selber für den Mahdi hält, für die Inkarnation des Propheten, für den Messias der neuen islamischen Zeit.

Die Schlinge um den Iran zieht sich zu. Mit einem Militärschlag Israels ist zu rechnen, sobald feststeht, dass eine iranische Atombombe im Eigenbau einsatzbereit sein könnte. In Israel wollte man vorher zwei Wahlen hinter sich bringen – die eigenen und die amerikanischen. Am 20. März hat sich der US-Präsident angesagt, vordergründig, um für einen endgültigen Stopp der israelischen Siedlungstätigkeit auf den Territorium der West-Bank zu „werben“, aber wahrscheinlich wohl vor allem, um das eigene Ultimatum Barack Obamas an Teheran – 31. März – zu besprechen. Hier könnte sich entscheiden, ob die USA bei einem Militärschlag auf die Atomforschungszentren mitmachen werden.

Und das zu einer Zeit, in der es im Fernen Osten ebenfalls nach Krieg riecht. Bei einem Regimewechsel in Teheran im Gefolge eines israelischen Angriffes würde es für Pjöngjang ziemlich eng werden, wenn sich seine unter der Tuchent entwickelten nuklearen Verbindungen mit dem Iran offenbarte. Es lässt sich nicht voraussagen, was zuerst kommt, ein Angriff Nordkoreas auf Südkorea oder ein Angriff Israels auf den Iran. Da beide Schauplätze „unter der Tuchent“ ineinander wirken, spricht viel dafür, dass es ziemlich zur gleichen Zeit ablaufen wird. Ein Krieg an beiden Enden der Erde mit nuklearen Komponenten. Irgendwann kurz davor, dazwischen oder danach wählt Rom einen neuen Papst!

Paul Fischer ist Journalist und Vorstandsmitglied des Wiener Akademikerbundes.

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