Karl Schwarzenberg ist eine besondere Politikerpersönlichkeit in Europa, denn er sagt auch dann die Wahrheit, wenn sie ihm politisch schadet. Und so hat er seine Chancen auf das Präsidentenamt ruiniert, indem er ein tschechisches Tabuthema angesprochen hat: Die Unrechtmäßigkeit der Beneš-Dekrete und der wilden Vertreibung 1945.
Ist ein österreichischer Politiker in Sicht, der es wagt, die Wahrheit auszusprechen? Etwa, dass wir bis 70 arbeiten sollten oder dass wir uns mit unserer Schuldenpolitik in den Sack lügen? Und wie ist es mit der Neutralitäts-Lüge, der Lüge von der niedrigen Arbeitslosigkeit, der Pensionslüge oder der Lüge von den Sparpaketen, die allesamt Belastungspakete waren? Aktuell bedienen heimische Politiker den Brüsseler Wasserschmäh, sowie auch das Märchen von der Finanzautonomie der Bundesländer, die allerdings mit ihrem Rechnungswesen noch nicht einmal im 20., geschweige denn im 21. Jahrhundert angekommen sind. Überdies befinden wir uns in einem Wahljahr und erleben bereits verstärkt die populistischen Ansagen: Vom Po-Grapschen bis zur Pendlerpauschale.
Bekenntnis zur Lüge
Ein Musterbeispiel von „Wählerverarschung“ (pardon pour l’expression) wurde von entscheidungsunfähigen Politikern mit der Volksbefragung zum Bundesheer versucht; interessanterweise haben die Wähler diesmal das üble Spiel durchschaut. (Garantie dafür gibt es für künftige Fälle allerdings leider keine; bei der letzten Nationalratswahl gelang es der SPÖ mit ähnlichen Tricks – und vor allem der Geldverschleuderungssitzung wenige Tage vor dem Urnengang – die Wahl für sich zu entscheiden).
Apropos Wehrpflicht: Dazu sei an ein bemerkenswertes Politikerstatement erinnert: „Die meisten Jungen sind gegen die Wehrpflicht, sie müssen nur zur Abstimmung gehen. Wir müssen vermeiden, dass wieder andere für uns entscheiden“. Meint der Autor mit „wieder“, dass bei den letzten Wahlgängen „andere“ (also die „Falschen“?) die „Richtigen“ überstimmt haben? Ist der Autor ein radikaler Faschist, der eine Bevölkerungsgruppe gegen eine andere ausspielen möchte und der das Prinzip vom gleichen Wahlrecht aushebeln will?
Das Zitat stammt von Werner Faymann aus der „Kronen Zeitung“ vom Abstimmungssonntag (aber was tut man als verantwortungsloser Opportunist nicht alles, um die letzten Reserven zu mobilisieren?). Nein, Werner Faymann ist alles andere als ein Karl Schwarzenberg und er ist wohl auch kein Politologe, der auf interessante Konstruktionsfehler der modernen Parteiendemokratie hinweisen wollte; der Mann ist nicht dafür bekannt, sich über Grundsatzfragen den Kopf zu zerbrechen.
Dennoch hat das Thema einige Brisanz und würde sich einen seriösen Diskurs verdienen. Diesen versucht Christian Ortner in seinem neuen Buch „Prolokratie – demokratisch in die Pleite“, wenn er darauf verweist, dass „sechs Millionen Nettoempfängern des Sozial- und Umverteilungsstaates nur noch zwei Millionen Nettozahler gegenüberstehen“.
Auf rund 90 Seiten nimmt sich Christian Ortner des immer stärker herandräuenden Problems der Kompatibilität von „Demokratie und gesunden Staatsfinanzen“ an; eine empfehlenswerte und anregende, wenn auch nicht immer erfreuliche Lektüre. Leider hat Ortner ebenfalls keine Antwort, wie man diese „Fehlfunktionen des demokratischen Betriebssystems“ beheben könnte, und er zitiert resignierend den luxemburgischen Regierungschef Jean Claude Juncker, der sich auch schon gelegentlich zur Lüge bekannt hat: „Wir Politiker wissen ja, was getan werden müsste. Wir wissen nur nicht, wie wir danach wiedergewählt werden können“. Womit wir wieder bei der politischen Lüge und den fehlenden Schwarzenbergs sind.
Trottoirzeitungen
Wenn wir davon ausgehen, dass sich laut einer aktuellen IMAS-Studie nur 26 Prozent der Österreicher für Politik interessieren, aber 79 Prozent zur letzten Nationalratswahl gegangen sind, muss man sich fragen, woher beziehen die über 50 Prozent, die sich nicht für Politik interessieren, ihre Informationen? Eine rasche Antwort gibt ein Blick in die von der Politik gekauften Billigzeitungen. Die Prolokratie hat eben die Medien, die sie verdient. Komplizierte Informationen sind zu lästig, der Funfaktor steht im Vordergrund und es wird kampagnisiert. Im Jänner wurde uns wieder gezeigt, mit welcher krassen Einseitigkeit ORF, „Krone“, „Heute“ und „Österreich“ für das SPÖ-Modell des Berufsheeres geworben haben, und wie stark die Argumente für die Wehrpflicht vernachlässigt, ja lächerlich gemacht wurden. Man weiß schon, wo die Geldtöpfe sind, mit denen man es sich nicht verscherzen sollte.
Dass die Abstimmung doch anders ausgegangen ist, wurde von vielen mit Erleichterung als Beweis aufgenommen, dass diese Trottoirzeitungen (der Ausdruck Boulevard ist eigentlich viel zu nobel), doch nicht alles vermögen. Hier ist Vorsicht angebracht: Denn erstens ging die Abstimmung für die SPÖ verloren, weil sie selber nicht geschlossen war, zweitens war es bei diesem Thema sehr schwierig, gegen die großen Sympathien, die vor allem der Zivildienst in der Bevölkerung hat, anzuschreiben (die „Krone“ konnte sich diesmal nicht „im Einklang mit der Volksseele fühlen“, wie Hans Rauscher treffend meinte), und drittens haben diese Krawallzeitungen ihren Schwerpunkt in Ost-Österreich, wo es ihnen ja in Wien sogar gelang, eine Mehrheit für das Berufsheer herbeizuschreiben.
Bücherverbrennungen anno 2013
Ein besonderes Kapitel im österreichischen Medienwesen ist der Umgang mit „unangenehmen“ Büchern. Die Nazis haben Bücher noch verbrannt, die zeitgenössischen Hohepriester der Deutungshoheit ignorieren Bücher oder verreißen sie in hämischen Rezensionen. Zwei aktuelle Fälle gibt es, und auch hier sieht es die ACADEMIA als ihre Aufgabe an, über Dinge zu berichten, die zwar passieren, von „gleichgeschalteten“ Medien aber ausgeblendet werden
Das eine ist die schon erwähnte Broschüre von Christian Ortner, das andere ist das Buch von Ernst Hofbauer: Faymann – der Kanzler im Zwielicht, der schon mit zwei Klestil-Büchern für Aufregung sorgte. Der Autor legt damit nicht nur ein penibel recherchiertes Portrait unseres Bundeskanzlers vor, sondern auch ein Sittenbild der Wiener SPÖ und ihrer Netzwerke; auch keine „angenehme“ Lektüre, aber sehr erhellend.
Sittenbild
Selbstverständlich nimmt in Ernst Hofbauers Faymann-Buch der lockere Umgang mit Steuergeld zur Medienbestechung einen besonderen Platz ein, und er zitiert dazu gewichtige Zeitzeugen, wie etwa den Wiener Kunst- und Medientheoretiker Peter Weibel, „Faymanns Devise, inserieren statt regieren, ersetzt Politik schon immer durch Medienmanipulation“, oder den an sich SPÖ-freundlichen Korrespondenten der NZZ, Charles Ritterband: „Angeblich gibt keine demokratische Regierung der Welt so viel Steuergeld für gezielt eingesetzte Selbstbeweihräucherung in den Medien aus“.
Angeregt durch die Auslassungen und Behübschungen im Lebenslauf des Kanzlers hatte sich der neugierige Ernst Hofbauer ans Werk gemacht. Was er zu Tage fördert, ist mehr als bemerkenswert, ja streckenweise erschreckend. Hofbauer schildert nicht nur die praktisch ungebrochene Karriere des späteren Teflon-Kanzlers, der es schon als Jugendfunktionär der SPÖ bestens verstand, ohne anzuecken vorwärtszukommen. Seine kaum dokumentierte AHS-Zeit sowie sein Nicht-Studium bilden nur den Aufhänger für ein Buch, das einerseits ein Sittenbild der Wiener SPÖ beziehungsweise des Rathausfilzes ist, sowie andererseits die Systemschwächen der modernen Gefälligkeitsdemokratie aufzeigt. Dazu passt exakt eine Headline zu einem „Standard“-Bericht: „Mittelmäßiger Wohnbaustadtrat zum Kanzler gekauft“. Wahrscheinlich haben wir Österreicher keinen Schwarzenberg verdient.
Prof. Dr. Herbert Kaspar ist Herausgeber der ACADEMIA, der Zeitschrift des österreichischen Cartellverbandes. Dieser Kommentar ist der aktuellen Dezember-Ausgabe entnommen.
PS: Die Political Correctness als Gefahr für die Demokratie
Herbert Rosendorfer, einer der wohl gescheitesten Schriftsteller der Nachkriegszeit, hat immer wieder Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft auf’s Korn genommen und sich auch insbesondere zum Terror der Political Correctness geäußert, die die Demokratie gefährdet: „Wenn keiner mehr sagen darf, was er meint, ruft das eine Verlogenheit hervor, die schädlich für die Demokratie ist. [...] Wenn einer sagt, ich bin ein Nazi und der Hitler war ein großer Mann, dann weiß man, dass das ein Trottel ist.“
Wenn man aber befürchten muss, mit seiner Meinung Gesetze oder Konventionen zu verletzen oder sich dadurch der Ächtung der Zeitgenossen auszusetzen, dann wird man eben lügen, was die unangenehme Folge hat, dass man nicht mehr jeden Trottel sofort erkennt. Keiner sagt mehr wirklich was er denkt, sondern es wird so formuliert und verpackt, wie der Sprecher annimmt, dass es von ihm erwartet wird. Kein Wunder, dass zahlreiche Diskussionen hierzulande nicht nur langweilig, sondern vor allem auch verlogen ablaufen, was nicht so sein müsste, wenn man sich etwa Debatten im angloamerikanischen Raum ansieht.