Bahman Nirumand, persischer Dissident und Kenner der politischen Verhältnisse im Iran, hat mit diesem Büchlein eine dichte und faktenreiche Analyse der brisanten Lage im Nahen Osten vorgelegt.
Er beschreibt zunächst die Lage im Iran und beginnt mit einem historischen Abriss. Angesichts der gegenwärtig zwischen den beiden Ländern herrschenden Feindschaft, wird es viele überraschen zu erfahren, dass der Iran im Jahre 1948 bei den ersten war, die den eben gegründeten Staat Israel anerkannten. Auch der Umstand, dass im Iran bis heute eine große jüdische Gemeinde unbehelligt und gut integriert lebt, die, wie auch andere religiöse Minderheiten, ihre Gebräuche ohne größere Komplikationen pflegt, dürfte manchen erstaunen, der beim Wort Iran sofort an den stets angriffslustigen Regierungschef Ahmadinejad und einen Klüngel ebenso reaktionärer wie korrupter Geistlicher im „Wächterrat“ des Landes denkt.
Bis zum Ende des Schah-Regimes pflegten Iran und Israel gute Beziehungen. Erst mit der islamischen Revolution im Jahre 1979 kam es zu einer Eiszeit.
Der Autor erblickt in den von einzelnen Exponenten der Regierung Mahmoud Ahmadinejads (der von Wikipedia als „ultrakonservativ“ qualifiziert wird, was nur durch Umdeutung dieses Begriffs möglich ist) fortgesetzten Schmähungen und Drohungen gegen Israel keine ernsthafte Gefahr. Iran wäre Israel nicht nur militärisch hoffnungslos unterlegen – und seine Führer seien sich dessen bewusst – sondern er müsse es im Falle eines (mit konventionellen Mittelstreckenraketen) gegen Israel geführten Angriffs auch mit einer geschlossenen Front von Verbündeten des Judenstaates aufnehmen, meint der Autor. Eine totale Niederlage – und damit ein Ende des herrschenden Regimes – wäre die unausweichliche Folge.
Das Regime stehe auf tönernen Füßen. Da sein Einfluss auf die Jugend verloren gegangen sei, habe die Regierung, angesichts der Tatsache, dass 60 Prozent der 75 Millionen zählenden Bevölkerung des Landes jünger sind als 25 Jahre, ein veritables Problem. Internet, Facebook und Twitter machten es immer schwieriger, Propaganda wirkungsvoll zu vermarkten. Die wüsten Verbalattacken Ahmadinejads auf Israel spielten den Feinden des Landes – besonders den Falken in Israel – in die Hände. Zugleich gelinge es dem Iran allerdings, seinen Einfluss in Länden mit starken schiitischen Bevölkerungsanteilen (etwa im Irak und in Syrien) auszubauen. Die Unterstützung der Hisbollahmilizen im Libanon und der radikal anti-israelischen Hamas im palästinensischen Siedlungsgebiet verschaffe dem Iran wachsende Reputation in der arabischen Welt. Der „arabische Frühling“ indes sei für die Ambitionen Irans ungünstig und führe zu Spannungen mit seinem wichtigsten Nachbarn, der Türkei. Diese unterstützt im syrischen Bürgerkrieg bekanntlich die Aufständischen, während Iran auf Seiten des Assad-Regimes steht.
Der Israel gewidmete Abschnitt des Buches fällt kürzer aus. Der Leser spürt die kritische Distanz des Autors zu diesem Staat, der schon bei der einleitenden historischen Betrachtung nicht gut wegkommt. Spätestens die durch das siegreiche Israel – als Konsequenz des „Sechstagekrieges“ 1967 – erfolgte entschädigungslose Enteignung großer Landflächen, habe die Chance auf eine „normale Nachbarschaft“ mit anderen Staaten im Nahen Osten zunichte gemacht. Der 2006 gegen den Libanon vom Zaun gebrochene Krieg habe zudem die israelische Armee des bis dahin bestehenden Nimbus´ der Unbesiegbarkeit beraubt.
Israel sehe eine Bedrohung der Einzigartigkeit seiner strategischen Partnerschaft mit den USA in deren starkem Engagement in einigen Staaten der arabischen Halbinsel. Ein dauerhafter Frieden in der Region läge nicht in seinem Interesse, da damit seine privilegierte Stellung vollends verloren ginge. „Spätestens nach Benjamin Netanjahus Machtübernahme 1996 musste die Hoffnung auf einen Frieden und einen autonomen palästinensischen Staat wieder begraben werden.“ In der Tat lässt sich die zwischen 1993 und 2000 erfolgte Verdoppelung der Zahl jüdischer Siedler auf palästinensischem Gebiet als Desinteresse an einer politischen Lösung der Konflikte interpretieren.
Die im Westen seit der Veröffentlichung von Büchern wie Rushdies „Satanische Verse“, Mahmoodys „Nicht ohne meine Tochter“, besonders aber Huntingtons „Kampf der Kulturen“ aufgekommene Islamophobie – die Gleichsetzung von Terrorismus mit einem islamischen Glaubensbekenntnis – sei Gift für die friedliche Entwicklung im Nahen Osten. So sieht zumindest der Autor die Zusammenhänge.
Der „arabische Frühling“ bringe zunehmende Unsicherheit in der unmittelbaren Nachbarschaft Israels mit sich. Iran sei für Israels Regierung ein willkommener Popanz, um von den damit verbundenen, echten Problemen des Landes abzulenken.
Dass Israel eine militärische Intervention gegen den Iran (unter dem Vorwand einer präventiven Maßnahme gegen die nukleare Aufrüstung dieses Landes) erfolgreich durchführen kann, wäre denkbar. Die Konsequenzen einer solchen Aktion jedoch seien unabsehbar – und zwar nicht nur für Israel selbst. Dass in dieser brisanten Situation Präsident Obama dem Iran offen drohe, eröffne keine erfreulichen Aussichten. Wiederholt habe er seine Bereitschaft betont, militärische Gewalt anzuwenden, um den Iran am Bau von Atomwaffen zu hindern. Angesichts der unbestrittenen Existenz eines beträchtlichen israelischen Nuklearwaffenarsenals kann hier wohl von der Messung mit zweierlei Maß gesprochen werden. Der Autor konstatiert eine „wachsende Stimmung für einen Angriff auf den Iran“.
Einziger Lichtblick seien gegenwärtig die in beiden Staaten vorhandenen Kräfte, die einer militärischen Auseinandersetzung ablehnend gegenüberstünden. Ob die von Nirumand zitierten Friedensaktivisten über den notwendigen Einfluss verfügen, um die Kriegstreiber beider Seiten in die Schranken zu wiesen, darf bezweifelt werden.
Als Europäer braucht man sich nicht der Illusion hinzugeben, einer solchen Auseinandersetzung als unbeteiligter Zuschauer beiwohnen zu können. Ein Blick auf die Hauptrouten der europäischen Energieversorgung reicht: Die Alte Welt wäre durch einen Krieg zwischen Iran und Israel unmittelbar betroffen…
Iran Israel Krieg
Bahman Nirumand
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012
109 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3-8031-2697-9
€ 9,90,-
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.