Die SPÖ arbeitet an einem politischen PISA-Test. Es geht um sinnerfassendes Lesen von Richtlinien, die von Brüssel kommen. Diese sehen vor, dass allfällige Privatisierungen der Wasserversorgung künftighin europaweit ausgeschrieben werden müssen. Das ist alles. Es gibt keine Empfehlung, kommunale Leistungen dieser Art durch Firmen zu besorgen.
Aber manche, so auch Stefan Schulmeister in der „Presse“ vom 30.1. wittern schon einen neoliberalen Anschlag auf die Wasserversorgung. Die Reaktionen auf den Richtlinienentwurf sind, gelinde gesagt, erstaunlich. Aber nur auf den ersten Blick. Der intellektuelle Zweig der SPÖ, Staatssekretär Ostermayer, wurde „ausrückend gemacht“, um eine Privatisierung des Wassers (durch Gemeinden) zu unterbinden. Das soll in der Verfassung verankert werden.
Die künstliche Erregung ist groß und medienwirksam; der Finanzstaatssekretär (Schieder), der Bundeskanzler (zur Sicherheit: Faymann) sind dazu wild entschlossen. Wenn einem das Wasser bis zum Hals reicht, denkt man an die Krone, die „unser Wasser“ schon immer schützen wollte; und vermutlich auch an einen Wiener Bürgermeister, der es zwar nicht predigt und schon gar nicht trinkt, aber demnächst über die Privatisierung von kommunalen Dienstleistungen befragen lassen will.
Die Grünen, offensichtlich auch nicht begnadet mit der Gabe des sinnerfassenden Lesens, springen begeistert auf etwas auf, was sie für den Zug der Zeit halten. H.C. Strache, der bis vor kurzem geglaubt hat, dass ihm keiner das Wasser reichen kann, berauscht sich am imaginären Wasserprivatisierungsverbot. BZÖ und Stronach-BZÖ glucksen mit. In der ÖVP schütteln die Lesefähigen den Kopf oder ringen um eine harmlose, das heißt nichtssagende Formulierung, die dann in der Verfassung verankert werden könnte. (Dort wird es dann neben einem „Spekulationsverbot“ und der „Sozialpartnerschaft“ u.v.a.m. ruhen).
Was für ein Land! Einerseits zum Auswandern, angesichts der versuchten Volksverdummung. Andererseits zum Einwandern, angesichts der Sorgen, die man sich hierzulande macht. Es setzt durch viele seiner Politiker und seiner willfährig berichtenden Medien alles daran, zur Karikatur eines ernstzunehmenden Landes zu werden. Politik sei die Kunst, die Menschen von dem abzulenken, was sie betrifft, hat Paul Valery sarkastisch angemerkt. Diese Kunst scheint in Österreich hoch entwickelt.
Menschen, die Vorschläge (der EU z.B.) schlecht lesen können, sollten keine Diskussionen einleiten oder medial vertreten. Schließlich besteht die Gefahr, dass Stupidität ansteckend ist und die Engstirnigkeit immer breiter wird.
PS: Es gibt übrigens in Österreich fast 100 Gemeinden, die ihre Wasserversorgung durch private Firmen besorgen lassen. Bisher wurden noch keine Fälle von „Wasserraub“ oder „Verdursten“ bekannt.
PPS: Ach ja, was die Schulmeisters und Krone-Redakteure noch gerne überlesen: So exorbitante Preiserhöhungen um hohe zweistellige Prozentsätze, wie sie die (meines Wissens nicht privatisierte) Gemeinde Wien zuletzt für fast alle(!) öffentlichen Versorgungs- und Dienstleistungen dekretiert hat, sind mir von keinem der bösen Privaten bekannt.
Rudold Bretschneider ist seit Jahrzehnten in diversen Cheffunktionen bei GfK (früher Fessel-GfK) tätig und einer der prominentesten Marktforscher und politischen Analysten des Landes.