Wenn „Experten“ vom finnischen Schulsystem schwärmen, „vergessen“ sie penetrant zwei Bereiche – einen wohl aus Ignoranz, den anderen wahrscheinlich aus ideologisch motivierter Absicht:
- Finnische Kinder lesen beim Fernsehen, und zwar nicht, weil sie begeisterte „Multi-Tasker“ wären, sondern zwangsweise. Die US-Massenware an mehr oder weniger dümmlichen TV-Serien wird in Finnland nämlich nicht synchronisiert, sondern mit finnischen Untertiteln versehen.
- Finnische Lehrer sind Weltmeister im „Frontalunterricht“.
Allein das Wort „frontal“ löst bei vielen kalte Schauer aus, kommt es doch in der Alltagssprache häufig in negativem Zusammenhang vor (Frontalzusammenstoß, Frontalangriff etc.). Seit den Sechziger-Jahren kursiert der Begriff, der von Haus aus darauf angelegt war, der Gruppenarbeit ein Monopol auf pädagogische Fortschrittlichkeit und Sinnhaftigkeit zu sichern. Ich bevorzuge daher seit langem den nicht abwertenden Begriff „direkte Instruktion“.
Auch hierzulande ist die direkte Instruktion seit Jahrzehnten verpönt. Insbesondere in der Aus- und Fortbildung werden alle möglichen anderen didaktischen Konzepte gepriesen. „Das Image des Frontalunterrichts ist so schlecht, dass Lehrer nur mit schlechtem Gewissen auf diese Weise Stoff vermitteln“, stellt der Bildungsökonom Guido Schwerdt vom Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo fest.
Guido Schwerdt hat sich zusammen mit seiner Kollegin Amelie Wuppermann von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf ideologisch spiegelglattes Parkett gewagt und „den Frontalunterricht rehabilitiert“. In einer groß angelegten Analyse wurde nachgewiesen, „dass Schüler in Tests umso besser abschneiden, je mehr Zeit der Lehrer für die frontale Vermittlung des Stoffs aufgewendet hat“. Die Neue Zürcher Zeitung zitiert Guido Schwerdt weiter: „Wenden Lehrer nur zehn Prozent mehr Zeit für Frontalunterricht auf, zeigen die Schüler einen Leistungsvorsprung, der einem Wissenszuwachs von ein bis zwei Monaten Schulbildung entspricht.“
Die Analyse räumte auch mit einer weiteren Mär auf: „Mehr Frontalunterricht verbessert die schulische Leistung sowohl von schwächeren als auch von begabteren Schülern.“ Endgültig schwarz vor Augen wird manchem Schreibtisch-„Experten“ wohl bei der Lektüre des folgenden Satzes: „Von den modernen Ansätzen profitierten vor allem die Schüler aus bildungsnahen Gesellschaftsschichten.“ Die direkte Instruktion verhilft also besonders Kindern mit benachteiligendem sozio-ökonomischen Hintergrund zu besseren Lernerfolgen.
Im Gegensatz zu den „Experten“ wundern uns Lehrer diese Erkenntnisse wohl wenig. Wir haben längst erkannt, dass ein sinnvoller Methodenmix, angepasst an die jeweilige Klasse, den optimalen Lernerfolg sichert.
Wir werden Finnland nicht blind hinterherlaufen, beim Unterricht Marke „brutal frontal“ ebenso wenig wie bei der Gesamtschule. Für sinnvoll eingesetzte direkte Instruktion genieren müssen wir Lehrer uns aber sicher nicht.
Dr. Eckehard Quin ist AHS-Lehrer für Chemie und Geschichte sowie Vorsitzender der AHS-Gewerkschaft.