Der liberale Journalist Christian Ortner, Betreiber der Blogs „Das Zentralorgan des Neoliberalismus“, bricht mit dieser Streitschrift mehr als nur ein Tabu. Er führt darin die heilige Kuh des modernen Wohlfahrtsstaates – das Prekariat – auf politisch höchst inkorrekte Weise vor. Er hält dessen Anwälten – den Sozialisten in allen Parteien – einen Spiegel vor, in dem absolut nichts Erfreuliches zu sehen ist. Außerdem äußert er – und dafür gebührt ihm größter Respekt – als einer der wenigen heimischen Publizisten, die populär genug sind, um nicht einfach totgeschwiegen zu werden, grundsätzliche Kritik am demokratischen System, was gewöhnlich sofort mit gesellschaftlicher Exkommunikation durch die Dressurelite geahndet wird. Das ist in seinem Fall – erstaunlich genug – nicht geschehen.
Der Grund dafür ist, dass es die herrschenden Eliten, dank des von ihnen täglich aufs Neue zu Schau gestellten Gemischs aus Inkompetenz und Niedertracht, so weit gebracht haben, dass selbst radikal gegen den Strich gebürstete Meinungsäußerungen von vielen politisch heimatlos gewordenen Bürgern nicht nur akzeptiert, sondern sogar dankbar angenommen werden. Daran ändert nichts, dass die über die Deutungshoheit verfügenden (linken) Tugendwächter mit Ablehnung reagieren. Ein erfreuliches Zeichen.
Ortners Kernthese: Stetig wachsende Anteile der Bevölkerung verblöden in immer stärkerem Ausmaß. Daraus folgt ein Niedergang der Qualität der von den „Kevins und Jessicas“ getroffenen politischen Entscheidungen. Das ist durchaus plausibel, denn wer Dreck nicht von Schuhcreme unterscheiden kann, wird bei der Beantwortung komplexer politischer Fragen kaum besondere Kompetenz an den Tag legen. Selbstverständlich sind schlichte Naturen eher am Ende der Einkommensskala zu finden und damit die zuverlässigsten Klienten des Wohlfahrtsstaates. Die immer größer werdende Zahl der Nachfrager staatlicher Umverteilungsmaßnahmen wiederum führt zu einem stetig wachsenden Stimmgewicht dieser Gesellschaftsschichten, womit sich der Kreis schließt.
Anfang der Sechzigerjahre präsentierten die genialen Kabarettisten Bronner, Qualtinger & Co. eine Nummer namens „Die Unterentwickelten“, die heute angesichts ihrer offenkundigen „Minderheitenfeindlichkeit“ völlig unvorstellbar wäre. In dieser heißt es „…wenn wir was lernen, werden wir zwar gescheiter, aber heut´ kommen wir mit der Blödheit viel weiter…“ was in einer Zeit, als Kinder (im Gegensatz zu heute) nach Abschluss der Grundschule immerhin fähig waren, zu lesen und zu schreiben, als weit vorweggenommene Bestätigung der Befunde, wie sie nach Thilo Sarrazin nun Christian Ortner vorlegt, verstanden werden kann.
Einen Ausweg scheint nur der (unvermeidliche) Systemkollaps mit anschließendem Neustart zu bieten. Auf dem Boden des gegenwärtigen Systems (Andreas Khol würde sagen „innerhalb des Verfassungsbogens“) ist deshalb nichts zu retten, weil die vom System der Prolokratie Begünstigten natürlich nicht freiwillig von ihren „wohl erworbenen Rechten“ lassen werden…
Besonders schmerzen wird es die unkritischen Apologeten der Massendemokratie, dass Ortner nicht nur die Mär von der grundsätzlichen Überlegenheit von Mehrheitsentscheidungen, sondern auch das Mantra vom demokratischen System als dem einzig erfolgreichen Freiheits- und Wohlstandsgenerator in Frage stellt, indem er mehr oder weniger autokratische (jedenfalls undemokratische!) Erfolgsmodelle wie China, Singapur oder Oman dagegenhält. Er stellt die berechtigte Frage, wie weit es denn mit der Freiheitsliebe in einem System her sein kann, das seine Leistungsträger mittlerweile um rund zwei Drittel ihres Einkommens bringt und das die gesamte Bevölkerung mit täglich neuen Regeln und Verboten drangsaliert.
Ortners Forderung, das Wahlrecht – analog zur Fahrerlaubnis – an gewisse geistige Fähigkeiten zu binden, erscheint nicht abwegig. In der Tat: Weshalb sollten Idioten kluge Entscheidungen treffen? Aus der Praxis des Alltags allerdings ergibt sich insofern ein gewichtiger Einwand (der einzige, den der Rezensent vorzubringen hat!), nämlich, dass man aus dem Mund einfacher Menschen (sofern sie ihr eigenes Geld verdienen und noch nicht durch die Segnungen des Wohlfahrtsstaates völlig korrumpiert und demoralisiert wurden), oft erheblich Gescheiteres zu hören bekommt, als aus dem von Akademikern. Insbesondere dann, wenn es sich z. B. um Soziologen oder Politikwissenschaftler handelt, die, kaum der Uni entronnen, auch schon – vorzugsweise in linken Parteien – auf politischen Mandaten hocken und von Steuergeldern leben. Formale Bildung schützt eben weder vor Blödheit noch vor Verkommenheit! Ein Blick ins Parlament, wo es von (scheinbar) gut gebildeten Menschen wimmelt, verschafft in dieser Frage absolute Gewissheit.
Wenn Ortner also fordert, „Kevin und Jessica müssen daran gehindert werden, die Konten heute noch Ungeborener zu plündern.“ Ist dem grundsätzlich zuzustimmen. Wie das (gewaltfrei) gehen soll, wird indessen nicht so ganz klar. Die Auswahl von Mandataren durch Los, anstatt durch Wählerentscheid, mag eine brauchbare Methode sein. Auch das Zitat aus Hayeks „Verfassung der Freiheit“, in dem ein Ausschluss aller Empfänger von Transferzahlungen (also auch der Beamten!) vom Wahlrecht gefordert wird, ist gut gewählt. Doch wer sollte das durchsetzen – gegen den Willen einer täglich größer werdenden Wählermehrheit?
Fazit: Angesichts des den Meinungshauptstrom beherrschenden, politisch korrekten Einheitsbreis, ein Büchlein voller erfrischender, kluger Gedanken.
Prolokratie
Christian Ortner
Edition a, Wien 2012
91 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-99001-047-1
€ 14,90,-
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.