Seit einigen Jahren merkt man in ORF-Sendungen die zunehmende Bemühung von professionellen Sprechern, eine norddeutsche Aussprache einzusetzen. Sie verwenden beim Vorlesen von Texten sprachliche Eigenheiten unserer norddeutschen Nachbarn, und man hat den Eindruck, als glaubten sie, damit ein „besseres“ Deutsch zu sprechen.
So sprechen sie nicht mehr, wie in Österreich üblich, „vierzig“ mit deutlich hörbarem „g“, sondern „vierzich“ oder gar „vürzich“, es gibt Probleme in der „Würtschaft“, auch das Wetter wird „sonnich“ oder „nebelich“. Und man hört nicht mehr alle Silben von „Lehrerinnen“, sondern ein verkürztes „Lehr_rünn_n“. Bitte, warum ist das so? Wir sind in Österreich!
Im Unterschied zu den Nachrichtensprechern sind ORF-Moderatoren, die österreichisches (Hoch-)Deutsch sprechen, noch immer die Regel. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur sprachlichen Identität des Publikums. Immerhin ist Sprache ein wichtiger Bestandteil der Identität einer Nation und der ORF erfüllt dadurch seinen vieldiskutierten Kulturauftrag. Aber warum diese schleichende Anpassung an ein vermeintliches Norm-Hochdeutsch bei den Sprechern? Bekommen sie im Sprechtraining nicht gesagt, dass Deutsch eine so genannte „plurizentrische“ Sprache ist, und dass es daher nicht nur bei den Vokabeln, sondern auch in der Aussprache Unterschiede gibt? Dass österreichische Rundfunksprecher auf ein Engagement beim NDR spitzen und aus diesem Grund vorsorglich ein „Einheitsdeutsch“ eingepaukt bekommen, halte ich für eher unwahrscheinlich.
Es gibt ja bereits eine massive Bevorzugung des Norddeutschen in den Medien. Im kleinen österreichischen Markt ist es kaum möglich, österreichisches Deutsch in der Werbung oder bei synchronisierten Filmen zu hören, und auch der von Tobias Moretti gespielte Wiener Kommissar muss, auf den deutschen TV-Markt schielend, wie ein Deutscher klingen. Gleiches gilt anscheinend für die österreichischen Theaterbühnen. Aber es gibt in meinen Ohren keinen Grund, warum das Vorlesen von Texten in österreichischen Nachrichtensendungen und Magazinen auf Norddeutsch erfolgen muss. Die Auswirkungen der ständigen Bombardierung durch eine fremde Sprache kann man bereits bei Radiointerviews von Schülern und Studenten erkennen, die ansatzweise die Synchron-Aussprache von Fernsehhelden übernehmen.
Bekanntlich gibt es drei Hauptvarianten der deutschen Standardsprache: deutsches, österreichisches und schweizerisches (Hoch-)Deutsch, siehe z.B. das Variantenwörterbuch der Deutschen Sprache von De Gruyter. Wir Österreicher finden anscheinend nichts dabei, uns fast kriecherisch dem mächtigeren deutschen Nachbarn anzupassen – Sprachwissenschaftler nennen das „cringing“ (von engl. „to cringe“ = kriechen, katzbuckeln).
Warum haben österreichische Medien nicht den Mut und das Selbstvertrauen, sich zu unserer österreichischen Identität auch sprachlich zu bekennen? Und warum ist der ORF nicht in der Lage, das umzusetzen? Ich gehe davon aus, dass es österreichische Ohren sind, an die die meisten ORF-Sendungen gerichtet sind. „Kaiser“ Robert Heinrich I brachte das kürzlich zum Thema Salzburger Jedermann (natürlich überspitzt) auf den Punkt: „Es verleidet einem ja das ganze Sterben, wenn der Tod ein Piefke ist“.
Im Ernst. Wer sich im ORF bei der Aussprache des österreichischen Standarddeutsch (so bezeichnen Linguisten unser Hochdeutsch) nicht sicher ist, kann eine 2007 vom Grazer Sprachwissenschaftler Rudolf Muhr und dessen Team erstellte Aussprachedatenbank zu Rate ziehen (www.adaba.at). Dort gibt es aktuelle Hörbeispiele mit Vergleichen zum schweizerischen und deutschländischen Standarddeutsch. Und dann hätten wir wieder einen etwas österreichischeren Rundfunk.
Dr. Peter Hueber: ehemaliger Mitarbeiter im Friedrich A. von Hayek Institut und nun Biographien-Ghostwriter (www.meinebiographie.at)