Der Wohlfahrtsstaat europäischen Zuschnitts befindet sich in einer Krise. Sein durch ständig steigende Steuerlasten und riesige Schuldenberge gekennzeichnetes, unaufhörliches Wachstum, führt zu einer fortschreitenden Belastung der Leistungsträger und schafft völlig falsche Anreize. Dass eine sichere Anstellung im Staatsdienst besonders auf gut ausgebildete, junge Menschen so große Anziehungskraft ausübt, spricht Bände.
Dass sie – anstatt sich für die mit dem Wagnis einer beruflichen Selbständigkeit verbundenen Chancen zu interessieren – scheinbar sichere, unselbständige Erwerbsarbeit vorziehen, ist ein offensichtliches Symptom der Fehlleitung von (humanen) Ressourcen. Wenn eine Gesellschaft so weit (ver-)kommt, dass die Bestgebildeten lieber weisungsgebundene Verwalter als kreative Macher sein wollen, dann ist es um deren Zukunft nicht gut bestellt.
Keines der gegenwärtig artikulierten Reformvorhaben zieht die Segnungen des Wohlfahrtsstaates in Zweifel. Keine der aktuellen Parteineugründungen stellt ein alternatives System zur Diskussion. Nicht einmal eine Neuordnung des Steuersystems (etwa auf Grundlage einer Proportionalsteuer) erscheint derzeit möglich. Dass es zur sozialen Organisation in Gestalt des allsorgenden Gouvernantenstaates, der die Menschen ihrer Freiheit beraubt und zu wohlgenährten Sklaven degradiert, eine plausibel erscheinende Alternative gibt, soll hier anhand einiger grundlegender Überlegungen dargstellt werden.
Das segensreiche Eigentum
In deren Zentrum steht das private Eigentum, dessen rechtmäßiger Erwerb und Schutz. Grund dafür bildet die Erkenntnis, dass letztlich alle bürgerlichen Rechte Eigentumsrechte sind, deren Unantastbarkeit für eine funktionierende soziale Ordnung von entscheidender Bedeutung ist. Die Grundlagen einer staatsfreien Privatrechtsgesellschaft sollen anhand der Gedanken eines der kompromisslosesten und radikalsten Denker im libertären Lager, Hans-Herman Hoppe, erläutert werden. In der Folge wird ein Auszug aus einem am 26. 11. in dem Blog von Freitum.de erschienenen Beitrag über einen aktuellen Vortrag Hoppes in der Freiheitsakademie im Modelhof im ostschweizerischen Müllheim wiedergegeben:
- Jedes Individuum ist Eigentümer seines eigenen Körpers, alles andere ist Sklaverei.
- Es gilt die Eigentumsgarantie, jeder hat Anspruch auf das, was er aus naturbelassenem Zustand an sich genommen hat. [„naturbelassener Zustand“ ist jener, in dem noch kein Eigentumsrecht an einer Sache begründet wurde – etwa durch die Inbesitznahme einer bislang unentdeckten Insel. Diese Art der Eigentumsbegründung ist heute – ehe es zu einer Besiedelung des Mondes oder fremder Planeten kommt - nicht mehr von Bedeutung, Anm.]
- Alle mit seinem Körper und den in naturbelassenem Zustand an sich genommenen Gütern produzierten Güter oder Dienstleistungen sind zudem legitimes Eigentum.
- Eigentum kann auch durch freiwilligen Tausch entstehen.
- Alles andere ist Diebstahl.
Die aus ökonomischer Sicht heikle Frage des Gemeineigentums (öffentliche Güter) stellt sich aus oben genannten Regeln nicht, wenn sie streng angewendet werden. Dennoch zeigte Hoppe gekonnt auf, dass bei solchen Gütern nicht immer Harmonie der Interessen bestehen wird und nicht zuletzt eine dadurch entstandene Moral-hazard-Problematik nur durch Eigentum gelöst werden kann.
Steuern sind Diebstahl
Doch wie ist mit Rechtsbrechern vorzugehen, die Eigentum ungerechtfertigt an sich nehmen? Die meisten (minarchistischen) Liberalen beantworten diese Frage mit „Staat“. Nicht so Hoppe. Er zeigt auf, dass der Staat bei allen Konfliktfällen, wo er die letzte Instanz ist, jeweils das letzte Wort hat. Der Staat bestimmt über Recht und Unrecht, insbesondere auch bei Fällen zwischen Privaten und dem Staat (öffentlich-rechtliche Streitfälle). Der Staat als Monopolist der Rechtssprechung kann also Konflikte anstiften und mit seinen Regeln die Leute dazu zwingen, nach seinem Gusto den Konflikt wieder zu lösen.
Dies zum Beispiel im Bereich Diebstahl. Der Staat darf die Bürger durch Steuern bestehlen. Sofern man sich gegen den Fiskus stellen möchte, muss man vor staatliche Gerichte treten, die staatliches Recht anwenden. Der Staat verknüpft geschickt sein Monopol auf Rechtssprechung mit seinem Gewaltmonopol. Denn wird der Diebstahl (Steuern) vom Bürger nicht legitimiert, wird das Geld mittels Gewaltmonopol eingetrieben.
Zumindest die Ökonomen müssten bei der aktuellen Situation des Staates aufschreien, denn diese Wissen, dass Monopole immer schlecht sind. Ein Monopolist ist der Einzige, der etwas darf. Er kann hohe Preise durchsetzen und die Qualität niedrig halten. Monopolisten hassen Wettbewerb. So ist es auch zu erklären, dass Diebstahl verboten ist, denn der Staat hasst Konkurrenz.
Während nahezu allen Ökonomen der Ansicht sind, dass Monopole stets schlecht sind, sind nur ganz wenige der Ansicht, dass auch bei der Produktion von Sicherheit ein Monopol schlecht ist. Hoppe ist einer davon. Der Produzent von Sicherheit (Staat) müsste im Wettbewerb stehen. Schon heute gibt es private Sicherheitsdienstleister, dennoch ist das Gewaltmonopol noch immer beim Staat. Professor Hoppe bezeichnet mit seiner klaren Sprache den Staat als einen „rechtsbrechenden Rechtsschützer und enteignenden Eigentumsschützer“, der die Ausgaben für die Produktion von Sicherheit maximiert, den Output, die Sicherheit, jedoch minimiert.
Schlechte Monarchen werden entfernt, Gauner wiedergewählt
Hoppe bricht mit jeglichem bestehendem Denken. Er ist auch bekannt dafür, dass er die Demokratie in Frage stellt. Dass auch die Demokratie nicht die ideale Staatsform ist, zeigte er mit einem typischen Vergleich auf: Dem Vergleich der Demokratie mit der Monarchie. Dass die Monarchie einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellt, dürfte klar sein. Alle sollen vor dem Gesetze gleich sein, waren es in einer Monarchie jedoch nie. Auf die Monarchie folgte die Demokratie, in der nun plötzlich jeder „König“ werden konnte.
Jedoch werden auch in einem demokratischen System die Bürger unterschiedlich behandelt, nicht zwingend mit persönlichen Privilegien, sondern vielmehr mit funktionellen Privilegien. Öffentliche Leute (Beamten) dürfen stehlen (Steuern), private nicht. „Bei einer Privatperson ist es Stehlen und Geben, beim Staat heißt es dann Sozialpolitik“, so Hoppe. Ohne Zweifel, der Staat ist sehr großzügig beim Geldausgeben – das wären wir auch, wenn wir fremdes Geld ausgeben dürften.
Ein weiteres Problem der Demokratie ist die Kurzfristigkeit. In einer Monarchie ist der König der Eigentümer des Bodens, in einer Demokratie ist der Politiker der temporäre Verwalter. In der Zeit der Legislatur, die meistens vier bis acht Jahre dauert, kann er als Nutznießer möglichst viel aus dem geliehenen Boden (Volk) rausholen. Wäre es sein Eigentum, würde er es nicht derart aussaugen. Die Bürger lassen dies in einer Demokratie zu, denn auch sie könnten einmal vom Sklaven zum Peitscher aufsteigen.
Zudem: Ein König wird per Zufall in die Königsfamilie hineingeboren. Ist er ein guter König, gibt es keine Probleme. Ist er ein schlechter König, wird er von seiner eigenen Familie „entfernt“. Denn diese wird nicht zulassen, dass die Dynastie zerbricht. Keine unsympathische Selektion. In einer Demokratie werden diejenigen Politiker gewählt, die dem Volk am meisten versprechen, am verschwenderischsten fremdes Geld ausgeben. Hoppe nennt dies den „Wettbewerb der Gauner“ und verdeutlicht: „Demokratie fördert die Bildung von üblen Charakteren, es kommen die rauf, die am übelsten sind.“
Nach dieser Einführung in seine konsequente Denkweise zeigte er die Grundzüge einer Privatrechtsgesellschaft auf. Ganz nach der Denkweise aller Wirtschaftswissenschafter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie gibt er zu verstehen, dass er sich niemals anmaßen würde zu wissen, wie eine solche Gesellschaft im Detail aussehen könnte. Er weiß jedoch, dass jegliche Staatsaufgaben von Privaten besser erledigt werden können.
Ausgehend von den oben aufgeführten Grundregeln bezüglich Eigentum zeigte er auf, dass Sicherheit von Privaten besser produziert werden kann. Auch die Rechtssprechung könne von im Wettbewerb stehenden Privaten besser erledigt werden. In einer Privatrechtsgesellschaft sind freiwillige Verträge der Kern der Sache, da kein staatlicher Zwang mehr vorhanden ist. „Der Staat ist ein vertragsloser Zustand – oder haben Sie jemals so etwas wie einen Gesellschaftsvertrag, der Sie zu all Ihren Bürgerpflichten zwingt, unterschrieben?“
Für Libertaristen gibt es so etwas wie einen Rousseau´schen Gesellschaftsvertrag nicht. Auch der „volonté générale“ kann nicht als Legitimation von Macht und Zwang gegenüber mündigen Individuen geltend gemacht werden.
Jeder gehört sich selbst, kollektive Machtausübung gegen den Willen des Individuums ist nicht tolerierbar. Oder denken Sie, dass irgendjemand besser weiß, was für Sie gut ist? Diese auf freiwilligen Verträgen basierende spontane Ordnung (vgl. auch Mises) wäre eine Alternative zum System „Staat“.
Wer zahlt ist sicher
Kein privatrechtlicher Sicherheitsdienstleister kann den Preis fixieren, jedoch keine Leistung garantieren. Niemand würde einen solchen Vertrag unterzeichnen. Der Staat hingegen bestimmt den Preis (Steuern), garantiert jedoch keine Leistung. Mehr noch: Wenn er mal Leistung von dem gestohlenen Geld zurückgibt, dann tut er das mit großem Gebrüll als Ausdruck des „Sozialstaates“.
In einer Privatrechtsgesellschaft würde die Leistung (Sicherheit) definiert werden. Der Preis pro Einheit Sicherheit würde zweifelsohne fallen. Es gäbe keine planwirtschaftliche Unter- oder Überproduktion von Sicherheit, da die Produzenten von Sicherheit im Wettbewerb untereinander stehen. Zudem ist Sicherheit ein Gut, welches mit anderen Gütern konkurriert, denn wenn Sie mehr Geld für Sicherheit ausgeben, haben Sie, unter Annahme von Knappheit hinsichtlich des Gutes „Geld“, weniger Geld für andere Güter übrig. Sie werden also entsprechend Ihren individuellen Präferenzen Sicherheit nachfragen, die einen mehr, die anderen weniger. So kriegt jeder soviel Sicherheit, wie er auch nachfragt und bezahlt nicht für nicht nachgefragte Sicherheit. Eine effiziente Allokation, gerechter geht es nicht.
Gäbe es auf die Produktion von Sicherheit kein staatliches Monopol, so gäbe es auch keine Beamten oder Polizisten, die mittels Ihrer Steuern fürs Nichtstun bezahlt werden. Im System „Staat“ muss ein Polizist keine Verbrecher jagen, denn er kann ja bequem Strafzettel verteilen, bis der Feierabend naht. Zudem werden im Staat die Opfer von Verbrechen nicht entschädigt, schlimmer noch, das Opfer (Bürger) bezahlt mit seinen Steuern ja noch die Unterbringung des Verbrechers.
Ein privatrechtlicher Anbieter von Sicherheit wäre im Gegensatz zum Staat an Prävention sehr interessiert, denn er muss im Schadensfalle bezahlen. Folglich würde er vorbeugende Maßnahmen zur Verbrechensverhütung unterstützen, ein Staat tut so etwas nicht. Er würde auch eher die Diebesbeute zurückführen, denn dann müsste er weniger Schadensersatz bezahlen.
Private Anbieter von Sicherheit wären sogar friedensfördernd, denn eine Privatperson würde keinen großangelegten Krieg gegen andere Völker führen, da sie selbst bezahlen müsste. Die Option von Steuereinnahmen und Geldausweitung über die Zentralbanken zur Kriegsfinanzierung gibt es nicht. Staaten sind viel aggressiver, da die Aggressoren die Kosten nicht selber tragen müssen; das Volk bezahlt die Kosten und die Bürger verlieren unfreiwillig ihren Kopf auf dem Schlachtfeld, nicht die Aggressoren.
Jedem seine Rechtsordnung
Hoppe befasst sich auch mit privaten Rechtssprechern. Diese könnten verschiedene Rechtsnormen anbieten, so könnten Muslime ihr Rechtssystem nachfragen, Juden ihre Rechtssprechung. Bei Konflikten zwischen den jeweiligen Rechten würden unabhängige Schlichtungen entstehen, die ebenfalls in Konkurrenz stehen. Eine universelle, internationale Rechtssprechung würde sich etablieren, richterliches Ermessen auf ein Minimum begrenzt. Wenn diese Schlichtungsstellen scheitern, würden sie in einem nächsten Fall nicht wiedergewählt und verschwinden vom Markt, diejenigen, die im Sinne der beiden Streitparteien schlichteten, werden am Markt bestehen können.
http://www.freitum.de/2012/11/privatrechtsgesellschaft-eine-skizze.html?spref=fb
Der Übergang vom Status quo zur Privatrechtsgesellschaft ist – ohne gewaltsame Ausschreitungen – nur zu schaffen, wenn zuvor einer großen Zahl von Menschen klar wird, dass der Staat kein einziges ihrer Probleme lösen kann, ohne damit zugleich eine Vielzahl neuer Probleme zu schaffen. Ludwig Mises sprach von einer „Interventionsspirale“:
Der Staat selbst ist das Problem! Je größer, desto drückender seine auf den Bürgern ruhende Last. Ein Rückbau des Staates – sowohl hinsichtlich seiner räumlichen Ausdehnung (10.000 Liechtensteins sind besser als eine EU), als auch in Bezug auf seine Regelungskompetenzen, ist anzustreben. Dazu bedarf es weder einer Revolution noch der Anwendung oder Androhung physischer Gewalt. Es reicht eine einzige Einsicht: Wenn wir den Staat nicht umbringen, wird der Staat uns umbringen…
Diese und andere, in erfrischender Weise gegen den Strich gebürstete Gedanken, finden sich in Hoppes im heurigen Jahr erschienen Buch „The Great Fiction“:
http://propertyandfreedom.org/hoppes-new-book-the-great-fiction/
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.