Mit einem Vortrag des kritischen und unbequemen Philosophen Rudolf Burger feierte der Club Unabhängiger Liberaler seinen 25. Geburtstag. Das löste tiefgehende Reflexionen und Diskussionen über das Wesen des Liberalismus aus.
Mit der Frage, ob 1989, als der Realsozialismus in der Sowjetunion zusammenbrach, eine „welthistorische Fundamentalentscheidung“ zugunsten des liberalen Gesellschaftsmodells getroffen worden sei, begann Burger seine Ausführungen. Er antwortete darauf zunächst mit einem Zitat von Alexandre Kojève, der 1946 gemeint hatte, dass nach Friedrich Hegels Tod im Jahre 1831 lediglich Interpretationen seiner Welterklärung, linke wie rechte, erfolgt wären, weiter aber gar nichts. Der berühmte Aufsatz Francis Fukuyamas vom „Ende der Geschichte“, wäre demnach nur eine Fortsetzung dieser Überlegung gewesen.
Realpolitisch sei die These Fukuyamas „grotesk“. So etwas wie einen „Endpunkt der politischen Entwicklung“ könne und werde es nie geben. Geistesgeschichtlich allerdings sehe die Sache anders aus. In der Tat sei weit und breit keine neue Idee in Sicht, die über ausreichende Kraft verfüge, um einer neuen „Massenbewegung“ eine gedankliche Basis zu bieten. Burger meinte, dass „alles schon einmal da gewesen“ sei und in der einen oder anderen Form wiederkehren werde. Insbesondere sei denkbar, verschiedene Faschismen erneut zu erleben, da „der Faschismus sein Potential noch nicht völlig ausgeschöpft“ habe.
Heute lasse sich, unter Berücksichtigung der historisch bedingten Veränderungen, die den Begriffsinhalt des Liberalismus ausmachten, durchaus von dessen „Triumph“ über seinen sozialistischen Herausforderer sprechen.
„Nun zum Waterloo: Wir befinden uns in der Krise. War das also tatsächlich ein liberales Vierteljahrhundert, welches hinter uns liegt?“ Er, Burger, meine nein. Zwar bestehe ein offensichtlicher Unterschied zwischen der „liberalen Massendemokratie“ und totalitären Systemen. Allerdings habe dieses „westliche“ System mit dem klassischen Liberalismus kaum mehr etwas gemeinsam. Dieser habe zwar zu einer unerhörten Steigerung des allgemeinen Wohlstands geführt, wäre aber eben auch „rassistisch“ (ein Produkt des Kolonialismus) und „machistisch“ gewesen, habe großen Teilen der Bürgerschaft (z. B. den Frauen) kein politisches Wahlrecht eingeräumt und habe auch mit den Menschrechten nicht viel am Hut gehabt.
Politische Großbegriffe würden sich immer (auch) über ihre Gegner definieren. In reiner Form wären Konservativismus, Liberalismus und Sozialismus zuletzt im Revolutionsjahr 1848 zu sehen gewesen. Damals hätten alle drei klar voneinander unterscheidbare Handlungskonzeptionen geboten, die seither stark verwaschen worden seien – insbesondere durch das Aufkommen des Bürgertums.
Liberale würden heute oft als „Rechte“ oder „Konservative“ punziert. Nichts könne weiter von der Realität entfernt sein, da der (klassische) Liberalismus alles andere als eine bewahrende Ideologie gewesen sei. Während das konservative Weltbild von mittelalterlich-feudalistischen Vorstellungen geprägt sei, in der jeder seinen fixen und unverrückbaren Platz in der Gesellschaft einnehme, würde der Liberalismus die Gesellschaft dauerhaft „dynamisieren“. Nicht der durch Geburt erlangte Status wäre für ihn relevant, sondern die individuelle Position durch freie Übereinkunft. Liberale und Konservative stünden demnach weit voneinander entfernt.
Die allgemeine Umwertung der Begriffsinhalte sei u. a. daran zu erkennen, dass man im Jahre 1989 Helmut Kohl als „konservativ“, Michail Gorbatschow aber als „progressiv“ eingestuft habe. Für die politische Verortung verschiedener Akteure seien althergebrachte Begriffe offensichtlich nicht mehr zu gebrauchen. „Konservative“ gäbe es seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (dem Triumph des Bürgertums), spätestens aber seit der Reichsgründung 1871 schlicht nicht mehr.
Auch mit dem Liberalismus sei es mit der „Entdeckung der Armen als Konsumenten“ bergab gegangen. So seien etwa „Frauenwahlrecht und Homoehe“ definitiv keine Anliegen des klassischen Liberalismus gewesen. Weltbild und Selbstverständnis hätten sich durch die „Verschmelzung von Bürgertum und Proletariat“ dramatisch verändert. Die Klassenkategorien von Karl Marx würden demnach längst nicht mehr greifen.
Burgers These: Der Liberalismus habe anno 1989 zwar gewonnen – allerdings in einer derart veränderten Form, dass er mit seinen Wurzeln nichts mehr gemein habe. Eine massendemokratische Gesellschaft habe mit einer liberalen Gesellschaft eben kaum etwas zu tun. Wir lebten, so Burger, heute in einem System des „privatisierten Keynesianismus“: Nicht allein die Staaten würden sich hemmungslos verschulden, sondern auch Private (siehe die Immobilienblasen in den USA und in Spanien). Der „Überhang an Liquidität“ führe zu einer Verstärkung des Kurzfristdenkens, da langfristige Planungssicherheit verloren gehe.
Seiner Meinung nach werde es, mangels attraktiver Alternativen, „in kapitalistischer Form weitergehen.“ Künftige Auseinandersetzungen würden sich auf Fragen von „wie viel Staat?“ und das „Ausmaß staatlicher Interventionen“ konzentrieren. Im Übrigen sei schließlich auch der klassische Liberalismus niemals „staatsfeindlich“ gewesen, sondern habe – ganz im Gegenteil – geradezu als der Schöpfer des modernen Staates gewirkt.
Anschließende Debatte
In der anschließenden Diskussion ging es u. a. um Alternativen zur Massendemokratie – etwa in Form der von den „Anarchokapitalisten“ favorisierten Idee einer staatsfreien Privatrechtsgesellschaft. Burger hält diese deshalb für utopisch, weil sie auf einem „positiven, Locke´schen Weltbild“ basieren würde. Der Mensch aber sei nicht immer „gut“, sondern oft „gefährlich“. Deshalb bedürfe es eines Frieden sichernden Gewaltmonopols. Es komme allerdings darauf an, mittels ausbalancierter Gewaltenteilung dafür zu sorgen, dass es zu keiner extremen Machtsakkumulation in den Händen Weniger kommen könne.
Der Klimabewegung messe er keine Bedeutung von einer Qualität zu, die es ihr erlauben würde, Sozialismus oder Liberalismus zu „ersetzen“. Ihr „totalitärer Charakter“, die Verabsolutierung der Notwendigkeit zur Verhinderung des Klimawandels, sei allerdings unübersehbar.
Die immer weiter reichende Regulierung aller (privaten) Lebensbereiche durch nationale und supranationale Bürokratien würde ihn mit Sorge erfüllen. Wir erlebten dadurch das, was er „Mikronormierung des Alltags“ nenne. Damit sei leider auch eine drastische Vermehrung des Typs des „Sykophanten“ verbunden.
„Transzendentale Obdachlosigkeit“ sei ein Massenphänomen unserer Zeit. Der Mensch bedürfe indes einer Richtschnur. Sei ihm die Religion verloren gegangen, so bedürfe er zur Identifikation eben einer Ideologie.
„Gerechtigkeit“ bedeute „jedem das Seine“, nicht aber „jedem das Gleiche“.
In einer im Zusammenhang mit dem laufenden parlamentarischen Untersuchungssausschuss abgeführten Debatte mit Peter Pilz von den Grünen habe er diesem mitgeteilt: „Ich verabscheue Korruption, aber Moralisten machen mich schaudern.“
Im Zuge des Vortrags und der Debatte wurden einige Buchempfehlungen ausgesprochen, die an dieser Stelle angeführt seien:
Margret Boveri „Der Verrat im 20. Jahrhundert"
http://books.google.at/books/about/Der_Verrat_im_20_Jahrhundert.html?id=IekSAQAAMAAJ&redir_esc=y
C.S.Lewis „Der innere Ring"
http://www.gomeck.de/lewis-innerering.html oder (engl. download: http://johnrepici.com/Misc/TheInnerRing.pdf)
Josef H. Reichholf „Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends" und „Warum die Menschen sesshaft wurden: Das größte Rätsel unserer Geschichte"
http://www.amazon.de/Josef-H.-Reichholf/e/B001JOZJMU
Terry L. Anderson & Peter J. Hill “The Not So Wild, Wild West: Property Rights on the Frontier”
http://www.amazon.com/The-Not-Wild-West-Economics/dp/0804748543
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.