Wie es um unsere Gesellschaft und Kultur bestellt ist, lässt sich am Alltäglichen und an scheinbaren Nebensächlichkeiten weitaus besser erkennen und ableiten, als an der Unzahl an wissenschaftlichen Arbeiten, Studien und Analysen. Dies vor allem deshalb, weil die Sozial- und Geisteswissenschaften nur noch produzieren, was der linken Ideologie und all ihren rezenten Erscheinungsformen wie Gendermainstreaming, Politischer Korrektheit oder Ökultismus nutzt. Selbiges gilt für einen Großteil der Massenmedien, der einstmals vierten Gewalt. „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, gilt heute wie damals.
So wirft etwa die kurze Ankündigung einer Premiere im Wiener Kindertheater „Dschungel“ im Internet ein grelles Schlaglicht auf den europäischen Zeitgeist. „Boys Don’t Cry“ – „Buben weinen nicht“ – heißt das Stück für Kinder und Jugendliche. Natürlich weiß jeder, der diesen Titel liest, dass damit das genaue Gegenteil gemeint ist, was wiederum bedeutet, die Theatermacher bekämpfen „Rollenbilder“ die längst nicht mehr existieren, sofern sie in dieser Form überhaupt jemals existiert haben.
Aber offene Türen einrennen und gegen Gegner kämpfen, die keinerlei Gefahr darstellen und sich trotzdem mutig und couragiert fühlen bzw. inszenieren, ist im Europa unserer Tage ein sozial erwünschtes und vor der Politik gefördertes Verhalten. Wie etwa der höchst unterschiedliche politisch/mediale Umgang mit islam- und kirchenkritischen Äußerungen tagtäglich eindrücklich beweist.
Kein Wunder, schließlich leben wir laut der Theaterpremierenankündigung im „postheroischen Zeitalter“. Weshalb auch der (noch nicht gegenderte) Mann und männliche Jugendliche Orientierung und Führung braucht. Und weil auch für linke Ideologen die alte Marketingregel „Schnapp sie dir, so lange sie jung sind“ gilt, behaupten die Kindertheatermacher: „Ritter, Cowboys oder Eroberer braucht kaum noch jemand.“ Um zu wissen, warum man ausgerechnet zu Zeiten der Schuldenkrise, des Zusammenbruchs der europäischen Sozialstaaten und des Clash of Cultures keine Helden – also Männer der Tat – mehr braucht, muss man wohl Theatermacher, Frauenministerin oder Soziologiestudent sein.
Wenn Helden aber nicht mehr als Vorbild dienen dürfen, was ist der Gegenentwurf? Woran soll sich der Jugendliche von heute halten? Doch halt, ganz haben die (Comic)Helden selbst im postheroischen Zeitalter nicht ausgedient. Zumindest nicht als modisches Vorbild: „Tragen nicht gerade die Superhelden vorzugsweise Strumpfhosen und Ganzkörperanzüge?“ fragen sich die Theatermacher. Ja, als Strumpfhosenmodels kann man sie noch brauchen, die Helden, zu mehr aber auch nicht.
Was lernen wir daraus? Burschen, die gerne Strumpfhosen tragen und gerne und oft weinen, haben bereits einige Eigenschaften angenommen, die vom neuen „Mann“ gewünscht oder besser gefordert werden.
Unternehmer, Macher, Pioniere, Ingenieure, Freigeister sind hingegen gnadenlos out; echter Mut, Courage, Standhaftigkeit oder Durchsetzungskraft sind nicht mehr gefragt. Warum verwundert es da nicht, dass Europa in allen Bereichen am absteigenden Ast ist? Vielleicht sind ja doch nicht die bösen Spekulanten, Banker und Kapitalisten, sondern vielmehr die falschen Vor-, Leit- und Weltbilder an der europäischen Krise schuld.
Wer so etwas öffentlich ausspricht, wird vom politischen und geistigen Mainstream verachtet und ausgegrenzt. Man muss zwar kein Held sein, aber wer seine Standpunkte nicht von ihrer Mehrheitsfähigkeit abhängig macht, der braucht zumindest ein klein wenig Heldenmut. Für den „neuen“ (Strumpfhosen)Mann im postheroischen Zeitalter völlig unvorstellbar.
Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Vor kurzem ist sein Buch „Die roten Meinungsmacher – SPÖ-Rundfunkpolitik von 1945 bis heute" im Deutschen Wissenschaftsverlag erschienen.