Es gibt Texte, die sind immer aktuell. Vor tausenden Jahren und heute. Weil sie an das Wesentliche im Menschen rühren. Doch zu einer Zeit der völligen Geschichtsvergessenheit, wo alles scheinbar völlig neu erfunden wird und alles von früher vernachlässigbar ist, genau zu so einem Moment sind Sätze wie die folgenden unendlich wichtig:
„Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was man getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Zwar gibt es bisweilen ein Ding, von dem es heißt: Sieh dir das an, das ist etwas Neues – aber auch das gab es schon in den Zeiten, die vor uns gewesen sind. Nur gibt es keine Erinnerung an die Früheren und auch an die Späteren, die erst kommen werden, auch an sie wird es keine Erinnerung geben bei denen, die noch später kommen werden." (1, 9-11)
Man muss sich diese Worte des Buches Kohelet aus der Bibel wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Sie sind die ultimative Medizin gegen den „Medien-Rush", der uns derzeit so mächtig mitreißt. Eine Pflichtlektüre, wenn Facebook/twitter/Android etc. uns vorgaukeln, die einzige Nabelschnur zur Realität zu sein. Die kritischen Gedanken stammen aus einer Zeit mehrere hundert Jahre vor Christi Geburt. Auch damals scheint man nach dem Motto „alles neu!" verfahren zu sein, die Begeisterung über die letzten Errungenschaften war ansteckend. Daraufhin macht sich der Autor, der sich selbst als König von Israel bezeichnet, auf den Weg, um sich anzusehen, wie das mit dem Menschen so ist. Und was wirklich bestehen kann. Hier seine Erkenntnisse:
„Ich beobachtete alle Taten, die unter der Sonne getan wurden. Das Ergebnis: Das ist alles Windhauch und Luftgespinst." Alles vergänglich, unzuverlässig, heute hier und morgen weg. Mit dem Genuss, der im 21. Jh. die zentrale Lebensfunktion zu sein scheint, hat Kohelet wenig Geduld: „Ich dachte mir: Auf, versuch es mit der Freude, genieß das Glück! (…) Ich wollte dabei beobachten, wo es vielleicht für die einzelnen Menschen möglich ist, sich unter dem Himmel Glück zu verschaffen während der wenigen Tage ihres Lebens." Aber natürlich ist sein Schluss auch hier: „Auch das ist Windhauch."
All diese und noch mehr Erkenntnisse führen Kohelet in eine tiefe Sinnkrise, er kommt durch Nachdenken und Beobachten dann doch zu einigen Regeln, die einen durch das Leben führen können, er hinterfragt aber auch angeblich gültige Lebensweisheiten sehr kritisch… und doch durchweht alles ein harter Pessimismus, der schließlich halbwegs versöhnlich in der finalen Aufforderung mündet, Gottes Geboten zu folgen, das sei zumindest einigermaßen sicher.
In kleinen Schlücken wie ein Magenbitter genossen, ist Kohelet ein wichtiges Korrektiv, in seiner Knappheit twittertauglich und wirklich unendlich lesenswert. Sogar und besonders für Atheisten, Freidenker und sonstige Skeptiker.
Dr. Eduard Habsburg-Lothringen ist Autor, Drehbuchschreiber und Medienreferent von Bischof Klaus Küng.