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Wenn Jean Ziegler Unwahrheiten verbreitet – und es keinen stört

Seit Jahren schürt der Schweizer Soziologe mit teils abstrusen Behauptungen über „Nord-Süd“-Beziehungen die Wut der Bürger. Als Lösung aller Weltprobleme scheint der „Kommunist im Marxschen Sinne“ die Verschwörung des Kapitals ausgemacht zu haben.

Auf den Medientagen in Salzburg war der „Hassprediger gegen den Kapitalismus“ jetzt als Gastredner eingeladen. Nachstehend eine kleine Auswahl großer Unwahrheiten.

Falsche Zahlen zur Entwicklungshilfe

Ziegler: „Im Jahr 2003 belief sich die öffentliche Entwicklungshilfe der Industrieländer des Nordens für die 122 Länder der Dritten Welt auf 54 Milliarden Dollar. Im selben Jahr haben diese Länder der Dritten Welt den Kosmokraten des Nordens 436 Milliarden Dollar als Schuldendienst überwiesen.“

Tatsächlich flossen 54 Mrd. Dollar Entwicklungshilfe und tatsächlich gab es Schuldenrückzahlungen von 436 Mrd. – nur haben die Zahlen nichts mit einander zu tun. Die 436 Mrd. stammen aus (fast-) EU Ländern wie Polen, Tschechien und der Türkei oder aus steinreichen Ölländern wie Venezuela, Russland oder Kasachstan.

Die Ärmsten bezahlen gar nichts: Seit 1999 wurden den 18 ärmsten Ländern in mehreren Runden (auf Initiative der G8) 100 Prozent der Schulden erlassen (alleine 2000: 47 Prozent). Afrikas Haushalte werden jährlich zu 40 Prozent durch Geschenkzahlungen des Westens finanziert.

Zieglers Konzern-Verschwörung

Ziegler: „Jede transkontinentale kapitalistische Gesellschaft organisiert (…) ihre eigenen Spionage- und Gegenspionagedienste. Sie infiltrieren nicht nur die Hauptquartiere konkurrierender Kosmokraten (Schimpfwort für „Manager“), sondern auch die nationaler Regierungen“.

Ziegler wird nicht müde, vor dem Streben der Konzerne nach der Weltherrschaft zu warnen. Millionen von Kleinunternehmern und Erfindern war in Süd- und Ostasien der Aufstieg aber erst mit der „Wende“ gelungen – vom Marxismus weg hin zum Kapitalismus: In Indien ab 1991, China ab 1979.

Beispiel Suzlon

Der indische Tüftler Tulsi Tanti schraubte 1995 im indischen Pune Windkraftanlagen zusammen, weil seine kleine Textilfabrik wegen der dauernden Stromausfälle in Konkurs gegangen war. Heute setzt sein Suzlon-Konzern mit weltweit 13.000 Menschen 3,8 Mrd. Dollar um. Er hat die deutsche Repower gekauft und errichtet mit indischem Know-How Windparks in der Nordsee.

Kein Spion eines westlichen Konzerns hatte versucht, Tulsi Tanti am Aufstieg bzw. am Know-How-Aufbau bzw. -Transfer nach Deutschland zu hindern. Niemand brachte eine Regierung gegen ihn auf.

Ziegler: Konzerne schaffen keine Jobs – und nutzen Konsumenten aus

Ziegler: „Der globalisierte Kapitalismus ist im Stadium immer schnelleren Wachstums ohne Schaffung von Arbeitsplätzen, ohne sozialen Aufstieg seiner Arbeitnehmer und ohne die Erhöhung der Kaufkraft seiner Konsumenten“. Ziegler wirft Microsoft vor, Kunden mit überteuerten Produkten auszunutzen.

Microsoft hat die Kaufkraft seiner Kunden nicht beschnitten: Preisbereinigt wurden Betriebssysteme und Office-Pakete fast immer billiger – obwohl sie gleichzeitig um ein Vielfaches leistungsfähiger geworden waren als ihre jeweiligen Vorgänger. Kostete Windows 2.x im Jahre 1986 noch 326 Dollar, waren für Windows 98 nur mehr 267 Dollar hinzublättern. Windows 7 gibt es heute schon für 120 Dollar.

Beschäftigte bei Microsoft seit Gründung

Jahr

Angestellte

1980

40

1981

125

1982

200

1983

383

1984

608

1985

910

1986

1.200

1987

2.000

1988

2.800

1989

3.900

1990

5.200

1991

11.700

1992

15.300

1993

16.500

1994

20.900

1995

17.800

1996

20.561

1997

22.232

1998

27.055

1999

31.575

2000

39.170

2001

48.030

2002

50.621

2003

54.468

2004

57.086

2005

61.000

2006

71.172

2007

78.565

2008

91.259

2009

92.736

2010

88.596

2011

90.412

Verleumdung: „Kapitalismus an Hunger schuld!“

Ziegler ist besessen von der Verschwörung des internationalen Kapitals. Dieser soll am Hunger in der Welt schuld sein. Tatsächlich sank der Hunger aber nur dort, wo marxistische Strukturen durch Freihandel und Kapitalismus ersetzt werden konnten. So sank die Zahl der Armen in Indien ab 1991 um 200 Millionen, in China seit 1979 um 600 Mio. In China ist der Hunger nach 40 Jahren Kapitalismus heute ausgerottet. 

  • Zieglers Vorwürfe sind aggressiv, eindimensional, bemerkenswert unwissenschaftlich – und unbewiesen.
  • Obwohl Zieglers gefälschte Zahlen manchmal ins Groteske gehen und er in seiner Heimat wegen seiner Falschbehauptungen mit zahlreichen Prozessen konfrontiert wird, regt dies österreichische Medienfachleute nicht zu Recherche oder gar Kritik an.
  • Wenn man eine Bevölkerung (wie in den 1920ern) heute wieder gegen Sündenböcke (wie Spekulanten und Kapitalisten) aufbringen kann, ohne von Medien kritisiert zu werden, dann scheint ein medialer Mainstream seine demokratische Kontrollfunktion verloren zu haben.

Michael Hörl ist Wirtschaftspublizist aus Salzburg. In seinem aktuellen Buch „Die Gemeinwohl-Falle“ beschäftigt er sich kritisch mit den Thesen Christian Felbers, Jean Zieglers, der Arbeiterkammer oder der Caritas.
mail@michaelhoerl.at www.michaelhoerl.at 0043 699 15 09 18 52
Bisher erschienen:
Die Finanzkrise und die Gier der kleinen Leute (2011), Die Gemeinwohl-Falle oder Wie man eine Gesellschaft mit Halb- und Unwahrheiten aufwiegelt (2012)

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